
Die Angst zu Beginn des Wahlkampfjahres war groß. „Die Bürger und die Medien müssen in diesem Wahlkampf besonders sensibel auf Nachrichten reagieren. Sie müssen wissen, dass es Versuche gibt, sie zu manipulieren“, warnte Bundeswahlleiter Dieter Sarreither im Januar. Allzu präsent war noch der Präsidentschaftswahlkampf in den USA, in dem die absurdesten Geschichten genutzt wurden, um vor allem der demokratischen Bewerberin Hillary Clinton zu schaden.
Fake News kommen vor allem von Rechtspopulisten
Wie groß aber war der Einfluss von Fake News auf die bevorstehende Bundestagswahl bisher wirklich? „Es gibt sie, aber ihre Reichweite ist überschaubar“, sagt Alexander Sängerlaub. Er leitet das Projekt „Measuring Fake News“ der Stiftung Neue Verantwortung in Berlin. Erforscht werden Umfang und Auswirkungen von Fake News im Bundestagswahlkampf. Nun ist dieser noch nicht vorbei, aber erste Erkenntnisse stehen bereits fest. So kämen Falschmeldungen vor allem aus dem rechtspopulistischen Raum. Einmal verbreitet oder auf Facebook geteilt, nähmen Internetnutzer sie auch dann nicht zurück, wenn sie klar widerlegt worden seien, so Sängerlaub.
Bei der heutigen Flut an Informationen seien zudem viele Konsumenten nicht in der Lage, richtig und falsch zu unterscheiden – und teilten deshalb unbewusst Falsches. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der amerikanischen Indiana University. Vor allem Ältere scheinen davon betroffen zu sein. Die jüngeren Internetnutzer zeigen höhere Medienkompetenz: Die 14- bis 24-Jährigen seien am ehesten bereit, eine dubiose Nachricht zu überprüfen, heißt es in einer Untersuchung der Landesanstalt für Medien NRW.
Autoren von Fake News setzen auf Emotionen
Ein anderer Grund dafür, warum Fake News häufig virale Verbreitung finden, liegt an ihrem Inhalt. Die Autoren der Falschmeldungen setzen meist voll auf Emotionen wie Angst oder Hass. Fake News sollen unter die Haut gehen, panische Reaktionen hervorrufen. Kanzlerin Merkel als Hassobjekt läuft zum Beispiel gut im Netz: So ist die Falschmeldung „Angela Merkel: Deutsche müssen Gewalt der Ausländer akzeptieren“ laut einer Analyse von „Buzzfeed“ die erfolgreichste Nachricht über die Kanzlerin, die in den vergangenen fünf Jahren per Facebook geteilt wurde. Urheber ist der katholisch-fundamentalistische Internetsender „Gloria.tv“, der das falsche Merkel-Zitat im Februar 2015 bei Facebook verbreitete – und damit sogar große Portale wie SpiegelOnline, Süddeutsche.de oder FAZ.net in Sachen Reichweite abhängte.
Bei „Gloria.tv“ ist auf den ersten Blick erkennbar, dass es sich um ein recht dubioses Angebot handelt. Aber auch seriöser anmutende Webseiten teilen in den Sozialen Medien eine beträchtliche Menge an Falschnachrichten, zeigt nun eine Untersuchung der „Vice“-Tochter „Motherboard“. Die Autoren haben sechs Tage lang die Facebook-Auftritte von acht deutschsprachigen Nachrichtenseiten unter die Lupe genommen. Herausgekommen ist: Bis auf die Macher von SpiegelOnline verbreiteten alle beobachteten Redaktionen falsche oder zumindest irreführende Nachrichten. Spitzenreiter war die Seite „Sputnik“ mit 47 Prozent, gefolgt von „HuffingtonPost Deutschland“ (44 Prozent) und dem Kreml-Sprachrohr „RT Deutsch“ (42 Prozent). „Focus Online“ kam auf 15 Prozent Fake News. Die „Bild“-Zeitung auf elf Prozent.
Viele Nutzer vertrauen Facebook nicht
„Journalistische Kriterien wie Richtigkeit und Vollständigkeit spielen bei Nachrichten, die per Facebook verbreitet werden, kaum eine Rolle“, weiß Daniel Moßbrucker von „Reporter ohne Grenzen“. Hinzu komme, dass Facebook von vielen „nebenbei“ genutzt werde. Das erhöhe die Anfälligkeit für Fake News. Allerdings werde das soziale Netzwerk auch nicht als sehr glaubwürdige Quelle wahrgenommen, der politische Einfluss überschätzt. Zu dem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Mainz.
Trotzdem versuchen Politiker immer wieder, die Nutzer der Sozialen Medien gezielt in die Irre zu führen. Vor allem die Funktionäre der AfD fallen dabei auf. Beliebt ist bei den Rechtspopulisten die falsche Wiedergabe von Zitaten ihrer politischen Gegner – teilweise werden die Zitate sogar kurzerhand frei erfunden. Obwohl die AfD doch eigentlich den Leitspruch „Mut zur Wahrheit“ hat.
Auch die Junge Union verbreitete Fake News
Besonders hervor tut sich in Sachen Faken News die AfD-Europaabgeordnete Beatrix von Storch: Im vergangenen August legte sie SPD-Justizminister Heiko Maas auf Twitter die Worte in den Mund: „Auf Facebook gilt Meinungsfreiheit nicht.“ Natürlich hat Maas nie etwas dergleichen gesagt. Von Storch blieb trotzdem bei ihrer Darstellung. Auch die ehemalige Bischöfin Margot Käßmann ist bereits Opfer einer Twitter-Kampagne der AfD geworden: So behauptete von Storch, Käßmann habe alle Nachfahren deutscher Eltern Nazis genannt. Das stimmt aber natürlich nicht – die Theologin hatte lediglich die Familienpolitik der AfD kritisiert.
Das Problem der gezielten Falschmeldungen geht jedoch über die Grenzen des Rechtspopulismus hinaus. Auch die „Junge Union Bayern“ (JU) sorgte im Wahlkampf mit einer Falschmeldung für Schlagzeilen. Bei Facebook hatte die Jugendorganisation der CSU im Juli dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz das folgende Zitat untergeschoben: „Wir empfinden Linksextremismus als aufgebauschtes Problem“, soll der SPD-Chef angeblich getwittert haben. Was Schulz jedoch nie getan hatte, weshalb das Landgericht Hamburg die Twitter-Lüge der JU per einstweiliger Verfügung und der Androhung einer 250.000 Euro-Strafe stoppte – die Falschmeldung musste umgehend gelöscht werden.
Was auf Facebook passiert, bleibt im Verborgenen
Angesichts der Flut an falschen Nachrichten im Internet möchte die Kommunikationswissenschaftlerin Lisa-Maria Neudert keine Entwarnung geben. Sie forscht an der Universität Oxford zum Thema Fake News, Social Bots und automatisierte Propaganda. Gerade hat sie mit zwei Kollegen untersucht, was Nutzer während des Bundestagswahlkampfs auf Twitter teilen. Ein Ergebnis: Rund 20 Prozent aller geteilten Links enthielten Fake News. Die AfD sorgte mit rund 30 Prozent der Tweets insgesamt für den meisten Traffic. Ungefähr 7,4 Prozent des Traffics kamen automatisiert von sogenannten Bots.
Neuderts Fazit: „Es gibt Bots in Deutschland und sie sorgen für Traffic. Aber im internationalen Vergleich spielen sie eher eine geringe Rolle.“ Allerdings spielt Twitter in Deutschland auch eher eine untergeordnete Rolle. Rund drei Millionen deutschen Twitter-Konten stehen 29 Millionen bei Facebook entgegen. Hier gibt es zudem verborgene Gruppen, deren Inhalt unbekannt ist. „Wir sehen, was auf Twitter läuft. Aber was auf Facebook passiert, wenn etwa ein AfD-Sympathisant eine geschlossene Gruppe hat mit 5.000 oder mehr Mitgliedern und wenn in dieser Gruppe aktiv Bots gepostet werden: Das sehen wir nicht“, räumt auch Lisa-Maria Neudert ein.
Hinzu kommt: Auch im französischen Präsidentschaftswahlkampf schienen Fake News und Social Bots kaum eine Rolle zu spielen. Das änderte sich einen Tag vor der Wahl. „Da kamen die Macron-Leaks, die ganz massiv von Social Bots amplifiziert, also verstärkt oder verbreitet worden sind“, so Neudert. „Es kann also noch was kommen. Wir sind wachsam.“