Im Gespräch mit Klaus Hurrelmann

Shell-Jugendstudie: SPD könnte mit Quote politische Jugendliche begeistern

Benedikt Dittrich22. Oktober 2019
Die „Fridays-for-future“-Bewegung ruft ins Gewissen, dass die bisherigen Anstrengungen in der Klimapolitik nicht ausreichen.
Die „Fridays-for-future“-Bewegung ruft ins Gewissen, dass die bisherigen Anstrengungen in der Klimapolitik nicht ausreichen.
Die Shell-Jugendstudie attestiert dem Nachwuchs ein hohes politisches Interesse. Trotzdem demonstrieren die Jugendlichen lieber bei „Fridays for Future“ statt in eine Partei einzutreten. Eine Jugendquote für Parteien könnte das ändern, meint Dr. Klaus Hurrelmann, Autor der Shell-Jugendstudie – und die richtige Kommunikation.

Das politische Interesse unter den Jugendlichen hat sich laut der aktuellen Shell-Jugendstudie auf einem hohen Niveau stabilisiert. Ist die Zeit der desinteressierten Jugendlichen erstmal vorbei?

Das sieht im Moment so aus. Meist halten solche Trends 10, 15 Jahre an. Wenn man genauer hinschaut, merkt man: Sie hängen zusammen mit der beruflichen Chancenlage der jungen Generation. Wer damit rechnen kann, dass er oder sie in Ausbildung und Beruf kommt, dann werden Kräfte frei um sich nicht nur um die eigene Karriere und die materielle Absicherung zu kümmern. Dann ist Zeit dafür, den Blick zu heben und zu schauen, wo wir als Gesellschaft insgesamt stehen. Das erleben wir gerade. Es geht um Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens bis hin zur zum ökologischen Gleichgewicht auf der ganzen Welt.

Unterscheiden sich die politischen Interessen der Jugendlichen von denen der Erwachsenen?

Es geht inzwischen nicht mehr um klassisch linke oder rechte Ideologien. Es geht um Weltoffenheit, Ökologie, eine vielfältige, bunte Gesellschaft auf der einen Seite und auf der anderen Seite um Sicherheit, Nationalismus und die Einschränkung von Zuwanderung. Das kommt den Grünen auf der einen Seite und der AfD auf der anderen Seite zu Gute. Es gibt also eine Verschiebung im politischen Spektrum. Wenn das an der SPD und der CDU vorbeigeht, wird es für diese Parteien schwierig, die Jugend zu erreichen. Generell ist außerdem das politische Interesse bei den jungen Frauen und Mädchen deutlich gestiegen.

Dr. Klaus Hurrelmann ist Bildungsforscher an der Hertie-School of Governance und Mitautor der Shell-Jugendstudie.

Ist die SPD für die Jugendlichen uninteressant geworden, weil die klassischen SPD-Themen wie Arbeit und soziale Absicherung gerade uninteressant sind?

Keineswegs. Die SPD muss die Themen nur glaubwürdig besetzen. Die junge Generation besteht nicht nur aus sehr gut gebildeten Jugendlichen, für die die Sicherung der natürlichen Grundlagen im Vordergrund stehen. Es gibt auch eine Gruppe, die durchschnittlich gut gebildet ist und vielfältige Interessen hat. Bei denen ist zwar eine Sympathie für den Klimaschutz da, aber es rücken andere Themen wie Gerechtigkeit, soziale Sicherheit und physische Sicherheit, also zum Beispiel der Schutz vor Terroranschlägen, in den Mittelpunkt. Das sind Themen, die einer sozialdemokratischen Partei sehr gut zu Gesicht stehen. Die sollten glaubwürdig erschlossen werden, denn Jugendliche registrieren schnell, ob etwas nur taktisch besetzt wird.

Die Shell-Jugendstudie

Für die Shell-Jugendstudie werden Jugendliche im Alter von 12 bis 25 Jahren befragt. Seit 1953 werden dafür unabhängige Wissenschaftler beauftragt. Abgefragt werden verschiedene Themen vom Familienbild, Schulbildung und Berufswunsch bis hin zu politischen Interessen, Wertvorstellungen und Zukunftsperspektiven. Alle vier Jahre wird eine neue Studie veröffentlicht und auch mit den vorigen Publikationen verglichen.

Die aktuelle Studie wurde im Oktober 2019 veröffentlicht unter der Überschrift „Eine Generation meldet sich zu Wort“. Eine Zusammenfassung ist auf der Internetseite der Studie zum kostenlosen Download verfügbar, die ganze Studie kann dort ebenso kostenpflichtig bestellt werden.

Die aktuellen Autoren sind: Prof. Dr. Mathias Albert, Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, Prof. Dr. Gudrun Quenzel, Ulrich Schneekloth, Ingo Leven, Sabine Wolfert, Hilde Utzmann.

Außerdem gibt es noch diejenigen, die sich abgehängt fühlen. Das sind überwiegend junge Männer, die wenn überhaupt nur niedrige Schulabschlüsse geschafft haben. Da rückt die materielle Absicherung in den Vordergrund. Das wird sehr schnell von Parteien wie der AfD mit rechtspopulistischen Positionen aufgegriffen. Aber das ist keine verfestigte, rechtsorientierte Gruppe. Es steht nirgendwo geschrieben, dass eine SPD diese jungen Erwachsenen nicht ansprechen kann. Viele Jugendlichen aus dieser Gruppe sind verunsichert, haben das Gefühl, dass man sich nicht um sie kümmert. Für eine sensible, kluge SPD-Politik wären sie voll ansprechbar. Das ist in den vergangenen Jahren aber nicht gelungen.

Die SPD hat also eigentlich die richtigen Themen, müsste sie nur glaubwürdiger vertreten?

Der Schlüssel für die SPD ist aktuell die Verknüpfung von sozialer und physischer Sicherheit. Das wird derzeit nur mit der heißen, langen Nadel angefasst, ist aber eigentlich ein ureigenes SPD-Thema. Denn je niedriger die Jugendlichen ihren sozialen Status bewerten, desto stärker fühlen sie sich verunsichert. Desto kritischer schauen sie darauf, wie viele Menschen zuwandern, wie die Sozialsysteme in Deutschland mit diesen Menschen und mit ihnen selber umgehen. Das zu einem politischen Tabu zu erklären und einer rechtspopulistischen Partei zu überlassen, ist fahrlässig.

Politisch aktive Jugendliche sind derzeit vor allem am Freitag auf der Straße unterwegs. Warum engagieren sich diese Menschen nicht stattdessen in den Parteien?

Weil sie das Gefühl haben, dass sie so erfolgreicher sind. Objektiv stimmt das ja auch: Innerhalb von einem Jahr hat die Bewegung „Fridays for Future“ es geschafft, die politische Agenda zu drehen. Es gelingt ihnen sogar, eine Bundesregierung vor sich her zu treiben. Wenn man die Jugendlichen fragt, ob sie das nicht auch innerhalb einer Partei erreicht hätten, schütteln sie zu Recht den Kopf.

Warum zu Recht?

Weil sie innerhalb einer Partei in einem Jahr nicht so eine Wirkung erzielt hätten. Das liegt an der Arbeitsweise von Parteien. Diese Jugendlichen wären in den Parteien eine kleine Gruppe unter vielen gewesen, müssten sich in langfristigen Diskussionen durchsetzen, Parteitagsbeschlüsse einbringen, die Regierungspolitik beeinflussen. Das ist ein sehr langer Prozess, gar nicht richtig berechenbar. Der notwendige öffentliche Druck lässt sich so nicht herstellen.

Misstrauen gegenüber Parteien weit verbreitet

Insofern ist die Kritik berechtigt, dass die heutigen Parteien auf wichtige Herausforderungen nicht in der Form und Schnelligkeit reagieren, wie es notwendig ist. Das wird an der Klimapolitik immer wieder deutlich. Diese grundsätzliche Kritik wird zwar vor allem von den politisch sehr aktiven Jugendlichen geäußert, das Misstrauen gegenüber Parteien und Politikern gibt es aber auch in den anderen Gruppen.

Was könnte die SPD dagegen unternehmen? Manche Verfahren brauchen im demokratischen System ja nun mal etwas Zeit.

Ich bin sehr für eine Jugendquote. Die Parteien müssten eine Selbstverpflichtung unterschreiben, dass bei den nächsten Wahlen beispielsweise 30 Prozent der Kandidaten höchstens 30 Jahre alt sind – wie eine Frauenquote. Dadurch müssen sich die Parteien automatisch um die Jugendlichen bemühen. Wenn der Nachwuchs dann nicht mehr nur eine Minderheit ist, müssen sich die Jugendlichen nicht mehr den alten Traditionen unterwerfen. Außerdem würden die Jugendlichen dann ihre eigenen Erfahrungen mit den Sachzwängen machen, die es in unserem System eben gibt: Kompromisse schließen, aushandeln, auch mal geheim verhandeln. Das muss die junge Generation selber erfahren und nicht von den Alten gesagt bekommen.

Es wäre außerdem eine gute Geste, das Wahlalter auf 16 abzusenken. Ich bin froh, dass die Familienministerin die Diskussion darüber aufgegriffen hat. Bei unserem Bildungssystem und der schnellen Persönlichkeitsentwicklung, die wir inzwischen beobachten, sind die Jungen und Mädchen im Grunde sogar schon mit zwölf Jahren in der Lage zu wählen. Das würde auch den jungen Frauen entgegenkommen, die gerade politisch erwachen.

 

Dr. Klaus Hurrelmann ist am Montag, 28. Oktober, auch bei der Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin zu Gast. Ab 18 Uhr geht es unter dem Motto „Jung, laut und politisch!?“ ebenfalls um die Ergebnisse aus der aktuellen Jugendstudie. Auf dem Podium ist unter anderem die SPD-Europaabgeordnete und stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende Delara Burkhardt zu Gast. Um Anmeldung wird gebeten.

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Kommentare

Zukunft nicht verspielen !

Parteien die am nur scheinbar Altbewährten festhalten und nicht erkennen was die Zukunft schon geschlagen hat, die noch immer dem grenzenlosen Wachstum mitsamt den daraus sich ergebenden Verwerfungen, Ungerechtigkeiten, Zerstörungen huldigen und gleichzeitig die Infrastruktur für eine funktionierende Gesellschaft verkommen lassen werden eine aufgeklärte Jugend,die längst weiter ist wie die zuletzt gewählte Politik nicht begeistern können! Da hilft auch keine Quote, da braucht es erst einmal grundlegende inhaltliche und personelle Erneuerung die den Namen verdient hat !

Wenn der Wähler zu sehr nachdenkt...

Muß man halt Wähler gewinnen die hoffentlich noch nicht so informiert und aus Erfahrung zynisch sind.

Jugendquote, Frauenquote, Quotenquote.
Was genau soll das bringen wenn wie zum Beispiel in Frankreich per ENA schon die Jugend macronisiert wurde ?

Politikwechsel geschieht nicht per Quote, die von denen gesteuert wird die gegen jeden ernsthaften Wechsel sind, egal wie sehr dieser vom Wähler gefordert wird.

Was im Artikel angerissen wird, die Verschleppung auch wichtiger Entscheidungen, die Verzerrungen, die ursprünglich brauchbare Vorschläge beim Weg nach "oben" (so er denn überhaupt stattfindet) erfahren bis sie das Gegenteil des Vorgeschlagenen sind, all das behebt man nicht mit Quoten.

Der Bundestag betreibt bereits eine Petitionsseite.
Da sieht man sehr genau wie wenig "repräsentative Demokratie" funktioniert.
Aus den unzähligen Petitionen gegen die GEZ wurde in all den Jahrzehnten nichts, außer das man die freiberufliche Drückerkolonne in ein System umwandelte, das Zwangsbezahlung auch für Boykotteure durchsetzt ohne auch nur minimale Qualitäts- oder Unabhängigkeitsstandards durchzusetzen. Von Effizienzsteigerungen oder Einsparbemühungen ganz zu schweigen.

Die Studie hat aber auch

Die Studie hat aber auch hervorgebracht, dass 68 % der Befragten die Meinungsfreiheit in DE als nicht gegeben ansehen. Meinungsfreiheit für alle ist eine Grundvoraussetzung für eine Demokratie. Wenn das Volk nur noch einer Bürgerviehherde gleicht, welches gelenkt und nötigenfalls unterdrückt und ausgenutzt wird, hat das sicher nichts mehr mit Demokratie zu tun.

Das steht so pauschal nicht in der Studie!

Das ist faktisch auch nicht begründet. Den es darf in der Öffentlichkeit alles gesagt werden was unsere Verfassung zulässt.
Ab einem gewissen Punkt gibt es strafbare Beleidigungen,ansonsten ist vieles großzügig von unserer Verfassung gedeckt.
Die Jugendstudie nimmt was Meinungsfreiheit anbelangt beispielhaft Bezug auf die Meinungsfreiheit mit Äußerungen bezüglich Ausländern.
https://www.shell.de/ueber-uns/shell-jugendstudie/_jcr_content/par/topta...
Wenn eine größere Personengruppe pauschal verunglimpft wird, so kann das schon rassistisch sein.
https://de.wikipedia.org/wiki/Rassismus
Wenn der/die Einzelne sich einmal unbedacht rassistisch äußert, so gibt es natürlich zwei Möglichkeiten: Entweder war es nur ein nachgeplapperter Fauxpas oder der-bzw diejenige hat sich damit tatsächlich als Rassist/Rassistin geoutet.
Da sollten wir tatsächlich genauer hinschauen. Ansonsten darf in unserem Staat jeder/jede sagen was ihm/ihr beliebt, die jeweils Antwort darf in dem verfassungsrechtlich Rahmen aber natürlich auch gegeben werden!
Deutsche sind auch Ausländer, vor allem im Ausland !

in Ihrem

Staat vielleicht. Aber ist Ihr Staat auch unser Staat, oder welchen Staat meinen Sie, wenn Sie behaupten , in Ihrem Staat dürfe jeder sagen , was ihm beliebt?