Pro und Kontra Präimplantationsdiagnostik (PID)

Eine schwere Entscheidung

Andrea Nahles22. Februar 2011

Manuela Schwesig, stellvertretende SPD-Parteivorsitzende: Ich traue es unserer Gesellschaft zu, mit dem Fortschritt in der Bio-Medizin verantwortungsvoll umzugehen. Die Politik
muss dafür den Rahmen setzen und angesichts der rasanten Entwicklung ihn - wenn nötig - auch anpassen. Vor diesem Hintergrund halte ich eine Zulassung der PID in strikt geregelten Ausnahmefällen
für vertretbar. Die Entscheidung soll in jedem Einzelfall eine Ethikkommission fällen.


Ich kenne die Leidensgeschichten von Paaren, die das genetische Risiko tragen, ein möglicherweise nicht lebensfähiges Kind zu zeugen. Diesen Menschen die medizinische Möglichkeit
vorzuenthalten, das Leid zu vermeiden, ist für mich höchst problematisch. Wie sollte man ihnen das absolute Verbot der PID erklären, wenn es gleichzeitig rechtlich möglich ist, bei schweren
Behinderungen des Embryos eine Schwangerschaft im fortgeschrittenen Stadium abzubrechen?

Keine Frau entscheidet sich leichtfertig für eine PID. Sie setzt eine künstliche Befruchtung voraus und ist mit hohen Belastungen verbunden. In Deutschland sind jährlich 100 - 200 Paare
betroffen. Die Angst, dass die PID dafür missbraucht werden könnte, Eltern den perfekten Sprössling zu garantieren, halte ich deshalb für unbegründet. Paare, die eine PID anwenden müssen, haben
einen langen Leidensweg hinter sich. Sie handeln nicht leichtfertig.

Die PID wird europaweit in rund 60 Zentren praktiziert. Schon heute gibt es einen grenzüberschreitenden PID-Tourismus. Wir sollten deshalb in Deutschland kontrollierte Möglichkeiten für
Einzelfälle eröffnen. Auch weil es ungerecht ist, wenn sich wohlhabende Paare den Zugang zur PID in anderen Ländern erkaufen, während sich andere dies nicht leisten können.

Ich wünsche mir, dass wir diese wichtige Diskussion ohne Zeitdruck und mit der gebotenen Sorgfalt führen. Denn es wird nicht das letzte Mal sein, dass uns der medizinische Fortschritt
schwierige ethische Fragen aufgibt.

A
ndrea Nahles, Generalsekretärin der SPD: Manche Frauen fragen mich verärgert oder verzweifelt, warum ich mich öffentlich für ein Verbot der PID ausspreche. Ich müsse doch
verstehen, wie bedeutsam der Wunsch nach einem gesunden Kind sei. Weiß Gott, das lässt mich nicht unberührt.

Lasst mich meine Haltung an einem Beispiel verdeutlichen: Eine Freundin von mir hat ein Kind mit einer kleinen Fehlbildung. Der Kleine ist ansonsten putzmunter. Als ihr zweites Kind nun
dieselbe Fehlbildung aufwies, fragte die Ärztin sie: Haben Sie sich denn nicht genetisch beraten lassen? Das zeigt mir: Wenn etwas möglich ist, wird es nicht nur gemacht, sondern es wird
unterschwellig zur neuen Norm. Und das darf meiner tiefen Überzeugung zufolge nicht sein: Dass wir die Grenzen dessen, was wir als lebenswertes Leben erachten, immer weiter verschieben.

Zudem gibt es einfach zu viele Fragezeichen. Derzeit können 120 Erbkrankheiten unterschiedlicher Schwere nachgewiesen werden. Aber ob eine solche Erbkrankheit im späteren Leben tatsächlich
ausbricht, ist in vielen Fällen völlig offen. Wir wissen es schlichtweg nicht, wenn wir im Labor darüber entscheiden. Können wir uns trotzdem über die Zweifel hinwegsetzen? Ich befürchte, dass
uns ein "Dammbruch" droht. Denn letztlich steht die Frage im Raum: Welches Leben ist lebenswert? Und wer entscheidet das?

Kann ich mit diesen Abwägungen auf das Leid der betroffenen Menschen eine zufriedenstellende Antwort geben? Nein. Aber wir müssen auch die Frage beantworten, ob wir es einzelnen Frauen und
Familien überlassen wollen, welches Leben lebenswert ist. Und meine Antwort darauf ist: Wir sollten in aller Freiheit des aufgeklärten Geistes die ethischen Grenzen des menschlichen Handelns
anerkennen.


Warum erregt die Präimplantationsdiagnostik (PID) derart die Gemüter?

PID ist ein diagnostisches Verfahren an befruchteten Eizellen außerhalb des Körpers der Mutter. Bei erblich vorbelasteten Paaren sollen genetisch vererb-bare Krankheiten damit bereits in
der Eizelle diagnostiziert werden. Das ist jedoch keine rein diagnostische oder medizinische Frage. Es geht um eine genetische Beurteilung von Leben, also eine zutiefst ethische Frage.

Erst 2002 hatte der Bundestag ein Verbot der PID beschlossen. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes muss nun neu entschieden werden.

Drei Gruppen von Abgeordneten haben über Parteigrenzen hinweg Gesetzentwürfe vorgelegt. Eine Gruppe steht für eine weitgehende Freigabe der PID. Eine andere will sie in streng begrenzten
Ausnahmefällen zulassen. Die dritte will die Beibehaltung des Verbotes.

Im Anhang finden Sie zwei Positionspapiere der

Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ) zum Thema PID von:

Anke Pörksen, Bundesvorsitzende der ASJ: Präimplantationsdiagnostik - eine rechtspolitische Betrachtung

und


Prof. Dr. Stefan Huster, NRW-Landesvorstand der ASJ: Für eine Zulassung der PID

"100 Jahre Frauentag - war's das schon?!"



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