Die Pressefreiheit ist eine tragende Säule der Demokratie. Wer die Axt daran anlegt, untergräbt unsere europäischen Werte. Die Orbán-Regierung droht diesen ehernen Grundsatz jetzt mit ihrem
Mediengesetz zu kippen. Drei Punkte beunruhigen mich besonders:
Erstens: die Mitglieder der Medienaufsicht werden durch das ungarische Parlament mit qualifizierter Mehrheit gewählt. Da die Regierungspartei über eine Zweidrittelmehrheit verfügt, besteht die
Gefahr einer einseitigen Vertretung der Regierungspartei - kein Proporz, keine Opposition, keine gesellschaftliche Gruppen. Die Pluralität der Gesellschaft wird so im Kontrollrat nicht
widergespiegelt.
Verstoß gegen Gewaltenteilung
Zweitens: Aufgabe des Medienrats soll es sein, über eine "ausgewogene Berichterstattung" zu wachen. Was dabei unter "ausgewogen" zu verstehen ist, entscheidet - der Medienrat. Im Klartext
bedeutet das: ein Gremium, in dem nur eine Partei vertreten ist, bestimmt, was ausgewogene Berichterstattung ist. Das nennt man nach meinem Dafürhalten Zensur. In Europa gibt es keinesfalls eine
Pflicht zur ausgewogenen Berichterstattung, möglicherweise einen Appell an Objektivität, aber ganz sicher die Freiheit zur Meinungsäußerung!
Drittens: das Mediengesetz verstößt meiner Meinung nach gegen das Prinzip der Gewaltenteilung. Denn der Medienrat kann Strafen bis zu 700.000 Euro gegen Medien verhängen, d.h. er ist in der
Lage mit einem Federstrich die wirtschaftliche Existenz eines Mediums zu zerstören. Das ist Letztlich der größte Verstoß, denn damit maßt sich ein Regierungsorgan die Rechte der Justiz an. Hier
geht es ja nicht um Ordnungswidrigkeiten, die von der Verwaltung geahndet werden können.
Pressefreiheit verteidigen
Für die ungarische EU-Ratspräsidentschaft ist das umstrittene Mediengesetz eine schwere Belastung. Die Kontroverse droht die EU in einer Phase zu lähmen, in der Europa entschiedenes Handeln
mehr denn je bedarf. Die Soziademokratische Fraktion hat den ungarischen Premierminister darauf gedrängt, das Gesetz zurückzuziehen. Ich hoffe, dass die Orbán-Regierung Vernunft annimmt und über
ein Medienrecht nachdenkt, dass unseren gemeinsamen europäischen Werten entspricht.
Von der EU-Kommission erwarte ich, dass sie die juristische Prüfung des Gesetzes beschleunigt. Wenn ein österreichisches Bundesland ein LKW-Durchfahrtsverbot erlässt, fällt die Kommission in
eine tiefe Sinnkrise und verhängt Sofortmassnahmen gegen Österreich. Wenn wie im Fall Ungarn die Grundlagen der europäischen Demokratie berührt werden, dann prüft sich die Kommission einen langen
Bart! Europa darf nicht wegschauen, wenn sich ein Mitgliedsland auf den Weg in die Medienzensur begibt. Pressefreiheit ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie, den gilt es in Brüssel und Budapest
zu verteidigen.
Martin Schulz ist seit 1994 Mitglied des Europäischen Parlaments. Seit 2004 ist er dort Vorsitzender der
Sozialdemokratischen Fraktion.