Bundestagswahlkampf 2017

Wie Schulz im TV-Duell Merkel zur Kurskorrektur zwang

Lars Haferkamp03. September 2017
Damit hätte wohl keiner gerechnet: Mitten im TV-Duell erreicht SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz zwei spektakuläre Kursänderungen der Bundeskanzlerin. In der Renten- und Türkeipolitik übernimmt sie die Positionen der SPD.

Es sollte alles genau so laufen, wie die Kanzlerin es wollte: Ein TV-Duell statt zweien, kein Publikum im Studio, keine Freiheit für die Moderatoren, kein Dialog der Kandidaten. „Ein Korsett für die Kanzlerin, in dem sie sich nicht bewegen muss. Und zugleich eines für Schulz, in dem er sich nicht bewegen darf“, so der frühere ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender im „Spiegel“. Und das Ganze dann auch noch „unter Erpressung durch das Kanzleramt“ erzwungen, so Brender.

Schulz punktet trotz Merkel-Format

Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) Frank Überall forderte deshalb sogar, „die Sender hätten lieber auf das Duell verzichten sollen, als sich den Wünschen der Kanzlerin zu beugen“. Das haben sie nicht getan. Das Duell fand in dem Format statt, wie Merkel es wollte.

Doch Martin Schulz punktete, indem er Merkel ganz konkret Fehlentscheidungen, Versagen und Untätigkeit vorwarf. Vor allem aber gelang es ihm, Merkel in zwei Politikfeldern zu einer spektakulären Kurskorrektur zu zwingen.

Kehrtwende Merkels in der Rentenpolitik

So führte die Kritik von Schulz an den Plänen aus der Union, das Renteneintrittsalter zu erhöhen – „bei der Union wird bis 70 gearbeitet“ – dazu, dass Merkel sich erstmals und öffentlich von diesen Plänen distanzierte. Am Renteneintrittsalter „ändert sich nichts“, so Merkel, „ein ganz klares Nein“. Schulz lobte diese Kehrtwende, indem er der Kanzlerin zurief: „Danke, dass Sie die sozialdemokratische Position übernommen haben.“

Zugleich weckte er Zweifel an Merkels Glaubwürdigkeit, denn auch beim jüngsten TV-Duell vor vier Jahren hatte sie ein Versprechen gegeben, dass sie dann brach: Mit ihr werde es keine Maut geben. „Beim letzten Duell war es die Maut, jetzt lassen wir uns mal überraschen“, so Martin Schulz, wie es nach der Wahl bei der Rente laufe.

Schulz: Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit Ankara

In einem zweiten wichtigen Thema zwang Schulz die Kanzlerin zu einer Neupositionierung, nämlich in der Türkei-Politik. Er sei „entschieden anderer Auffassung, was den Umgang mit Herrn Erdoğan angeht“ als Merkel. Der türkische Präsident verstehe nur „eine einzige Sprache, die der konsequenten Haltung“ und der „klaren Kante“. Als Kanzler werde er das Abkommen mit der Türkei über Imame kündigen und die Beitrittsgespräche mit der EU abbrechen, so Schulz. Erdoğan habe „alle roten Linien überschritten“, „deshalb kann dieses Land nicht mehr Mitglied der EU werden“.

Darüber hinaus kündigte Schulz an, als Kanzler die Vorbeitrittshilfen für die Türkei von 4,2 Milliarden Euro zu stoppen. Als Reaktion auf diese klare Positionierung kündigte dann auch die Kanzlerin an, sich für den Stopp der Vorbeitrittshilfen für die Türkei einzusetzen.

Klare Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik

Deutliche Kritik übte Schulz an der Flüchtlingspolitik Merkels. Die Migrationsfrage nahm das komplette erste Drittel der Sendung ein. Schulz kritisierte besonders die Äußerung der Kanzlerin, sie würde alles wieder genauso machen wie auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015. Alles wieder so zu machen, „da kann ich nicht zu raten“, so der SPD-Kanzlerkandidat. So habe Merkel 2015 die „Partner nicht vorher einbezogen, sondern hinterher vor vollendete Tatsachen gestellt“. Diesen schweren Fehler von 2015 rate er „nicht zu wiederholen“. Schulz bekräftigte, „man hätte die Partner in Europa vorher einbeziehen müssen“.

Merkel versuchte sich zu rechtfertigen, indem sie auf die schwierige Situation im Umgang mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban hinwies. Schulz reagierte mit der Frage an Merkel, warum Horst Seehofer Herrn Orban denn dann als Ehrengast zur CSU eingeladen habe. Diese Frage wollte die Kanzlerin nicht mehr beantworten.

Schulz für Verbraucher, Merkel für Autoindustrie

In der zweiten Hälfte der Sendung war dann die aktuelle Krise der deutschen Automobilindustrie Thema. „Hochbezahlte Manager haben betrogen“, kritisierte Martin Schulz. Für ihn war klar: „Die Verursacher müssen zahlen.“ Er forderte Prämien der Auto-Konzerne für den Umtausch von alten Diesel-Pkw, das sei „ein Mindestmaß, das man von diesen Konzernen erwarten kann“.

Merkel zeigte sich hier deutlich zurückhaltender. So sehr, dass sie sogar von ZDF-Moderatorin Illner kritisiert wurde: Merkel sei „so zurückhaltend gegenüber der deutschen Autoindustrie, man bezeichnet sie schon als Autokanzlerin“. Illner verwies in diesem Zusammenhang sogar auf die engen personellen Verflechtungen zwischen der CDU und der Automobilindustrie.

Steuern: Schulz konkret – Merkel schwimmt

Gegen Ende des Duells ging es um die Steuerpolitik. Martin Schulz wurde nach der konkreten monatlichen Entlastung gefragt, die eine Familie mit zwei Kindern und einem Monatseinkommen von 3.500 Euro zu erwarten habe, wenn die SPD regiere. Schulz nannte eine Entlastung von 200 bis 250 Euro pro Monat. Die Kanzlerin dagegen kam in der Steuerpolitik erkennbar ins Schwimmen. Sie konnte keine Zahlen nennen und sagte, die Entlastung nach den Unions-Plänen „kann durchaus eine bestimmte Größenordnung bedeuten“.

Mit diesem Statement bestätigte sie einmal mehr die Einschätzung von Michael Spreng, des Stoiber-Beraters beim TV-Duell 2002. Spreng sagte der „Süddeutschen Zeitung“, „Merkel zu stellen“ sei so, als ob man versuchen würde, „einen Pudding an die Wand zu nageln“. Was den Moderatoren auch 2017 oftmals nicht gelang, schaffte Martin Schulz immerhin in der Renten- und Türkeipolitik.

 

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Kommentare

von Corbyn lernen, hieße siegen lernen...

....und nichts davon war gestern bei Schulz zu sehen: Keine Idee, kein wirkliches Interesse an der sozialen Frage, keine Diskussion über die Ursachen von Terrorismus und Flüchtlingsströmen. Insgesamt eine groteske...und das Wahlergebnis der SPD wird entsprechen sein: 24% oder weniger (40% Corbyn), vielleicht 12 Mio Stimmen (Corbyn 13 Mio bei um 30% weniger Wahlberechtigten), -1% (+10% Corbyn) Steigerung des Stimmenanteils. Und vor allem die gleiche neoliberale Grütze wie bisher und der Vorwärts, der lebt offensichtlich auf einem anderen Planeten.

Das Duell

Leider nichts Neues und nur eine private Unterhaltung ......,wenn die Wähler darauf rein fallen dann ist ihnen nicht zu helfen.....