Zu den Flachheiten des Geredes über die Zukunft der Medien und das Internet gehört die Behauptung, das Internet sei schnell, die Zeitung langsam. Die Zeitung könne nicht das Tempo toppen, mit
der das Internet auf ein Ereignis reagiert. Dafür aber füge sie Tiefendimension hinzu, schaffe Reflexion.
Die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel verkaufte diesen Gegensatz von schnellem Netz und tiefem Print in der "FAZ" als medientheoretische Expertise: "Für einen Überblick über die
Tagesaktualität, die kurze Einordnung der Welt... braucht es erst mal keine Edelfedern... Eine andere Art des Journalismus wird weiter mit dem gedruckten Wort arbeiten, am Kiosk zu kaufen oder
per Abo im Briefkasten zu finden sein. Das sind die Geschichten, die nicht in Häppchen als Schnäppchen im Sekundentakt im Netz platziert werden."
Medien verlieren Torwächterfunktion
Und Thomas Steinfeld, Feuilletonchef der "Süddeutschen Zeitung", schrieb: "Die Institution Journalismus ist an Zeitungen gebunden: In ihnen wird nicht nur gemeldet, sondern auch mit
notwendiger Verspätung nachgedacht."
Hier trifft eine alte journalistische Weisheit zu: Je bedeutender der Augenaufschlag, desto banaler die Erkenntnis. Ausgerechnet der Journalismus, der Inbegriff zynischer Rasanz, rühmt sich
seiner Langsamkeit. Dahinter steckt weniger die Suche nach Erkenntnis als der Phantomschmerz der verlorenen Torwächterfunktion: Seit es das Netz gibt, braucht die Öffentlichkeit nicht mehr die
Filter der Medien, um sich zu artikulieren - für die Demokratie eine Bereicherung, für die Journalisten ein Verlust der Priesterfunktion.
Immer mehr Bücher nur noch im Netz
Wer argumentiert wie Meckel oder Steinfeld, verhält sich wie ein Autofahrer, der den linken Rückspiegel fixiert, während er von rechts längst überholt wurde. Auf einmal leben sie in einer
Welt, in der das Internet immer zuerst da ist. Zwar tippen Meckel und Steinfeld ihre Verteidigung des Papiers zunächst einmal in einen Computer, und von dort aus wird sie in eine Datenbank
gestellt und dann eventuell in einer Zeitung ausgedruckt. Aber diese Datenbank - das ist das Internet.
Mag sein, dass Meckels und Steinfelds Artikel nicht online frei zugänglich sind: Dann muss man eben 3,21 Euro (mehr als für die Zeitung selbst) berappen, wenn man an ihrer Meinung
interessiert ist, aber die Datei steht doch im Netz, passwortbewehrt oder nicht. Sämtliche Medieninhalte sind heute digital und somit in den allermeisten Fällen Online-Inhalte: Print ist ein
Online-Inhalt, den man auf Zeitungspapier ausdruckt. Fernsehen ist eine Datei, die man sendet. Das Buch ist eine Website, die man bindet.
Gerade das Buch zeigt, dass sich die Öffentlichkeit des Ausmaßes der Revolution immer noch nicht bewusst ist. Auch in zehn Jahren wird man am Strand seinen Krimi auf Papier lesen. Aber das
E-Book, über das man sich beim ersten Anlauf noch amüsierte, wird als Kindle oder Iphone schon ernster genommen. Inzwischen sind Millionen von Büchern, von Verlagen und Bibliotheken zur Verfügung
gestellt und von Google digitalisiert, als Internetdateien lesbar.
Wer über den Buchmarkt spricht, sollte einen Blick auf die "Professional Information"-Verlage werfen: Konzerne wie Thomson verkaufen ihre Fachpublikationen nur ausnahmsweise noch zwischen
Pappdeckeln. Was sie eigentlich verkaufen, ist Zugang.
Der Buchmarktexperte Rüdiger Wischenbart hat ausgerechnet, dass achtzig Prozent aller von diesen Verlagen produzierten Inhalte heute ausschließlich per Internet vertrieben werden. Wer
nachdenkt, dem fällt's wie Schuppen von den Augen. Bestimmte Arten von Büchern werden immer seltener benutzt: Stadtpläne, Wörterbücher, Lexika. Wer hat noch Loseblattsammlungen im Regal?
Urheberrecht als Auslaufmodell
Zugleich toben natürlich Kriege um Schutz und Wert von Medieninhalten. Das Dumme am Urheberrecht ist, dass es ein Copyright ist. Solange es an physische Kopien gebunden ist, lässt es sich
schützen. In Zeiten, da digitale Kopien ohne Qualitätsverlust zirkulieren, lässt sich dieser Schutz bestenfalls künstlich erhalten. Die Ökonomie der Information gerät ins Wanken. Die Open source
und Creative Commons-Bewegungen suchen nach Antworten auf diese Fragen.
Thomas Steinfeld ist also ein Online-Journalist. Er weiß es nur nicht. Noch wird er ja besser bezahlt als das Prekariat aus der Online-Abteilung. Aber Print teilt mit allen Online-Inhalten die
Probleme der Refinanzierung. Das heißt nicht, dass die Zeitungen verschwinden. Schon ruft man nach Artenschutz.
Wer weiß, ob nicht demnächst dem mit acht Milliarden Euro versorgten öffentlich-rechtlichen System von Fernsehen und Radio eine staatlich subventionierte Presse gegenübersteht, zwei Horte
verwalteten Tiefsinns und "notwendiger Verspätung", während sich im übrigen Netz die freie - unbezahlte und misstrauisch beäugte - Öffentlichkeit tummelt.
Übrigens können Zeitungen bis heute schneller sein als jedes andere Medium. Journalistische Schnelligkeit bemisst sich ja nicht nach der Spanne zwischen dem Ticker und seiner Verwurstung. Die
eigentliche Schnelligkeit liegt im Erspüren von Themen. Keine Verspätung tut hier not.
Thierry Chervel, 1957 geboren, hat Musikwissenschaften studiert. Er war Redakteur bei der "taz" (Film, Musik, Tagesthemen), und Kulturkorrespondent für die "Süddeutsche Zeitung" in
Paris. Er ist Mitbegründer und fester Mitarbeiter des online-Kulturmagazins "Perlentaucher".
www.perlentaucher.de