Niedrigzinspolitik

Schäuble und die EZB: Der Feuerschrei des Brandstifters

Gustav Horn04. Mai 2016
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble kritisiert die Niedrigzinspolitik der ­Europäischen Zentralbank (EZB). Dabei hat er seine Hausaufgaben nicht gemacht: Schäuble hat die EZB mit der Bewältigung der Finanzmarkt- und Euro-Krise schlicht alleingelassen.

Der EZB-Präsident steht unter deutschem Beschuss. Verbände, Parteien, aber auch Teile der Bundesregierung werfen Mario ­Draghi vor, mit seiner Niedrigzinspolitik die Sparer zu „enteignen“, die Banken, Sparkassen, vor allem Versicherungen in den Ruin zu treiben und damit insgesamt den deutschen Interessen zuwider­zuhandeln. Das alles könnte man als Lobbyistengeschwätz, Vorwahlkampf oder als hysterischen Ausdruck der Eurokrise abtun, wenn der Hintergrund nicht so ernst wäre und damit die Angelegenheit einer genaueren Betrachtung bedarf.

Finanzmarktkrise nicht bewätigt

Offenbar haben viele vergessen, dass Europa und auch Deutschland immer noch unter den Nachwirkungen der ­Finanzmarktkrise und der unbewältigten Krise des Euroraums leiden. Dieses Leiden zeigt sich nicht nur in dem seit den Krisen gedämpften Wachstum, sondern an der schwelenden Unsicherheit, die sich immer wieder in nervösen Kurseinbrüchen an den Finanzmärkten und einer ausgeprägten Investitionszurückhaltung zeigen. Das alles mündet in einer Inflationsrate, die in Deutschland wie im Euroraum weit unter ihrem stabilitätsgerechten Soll liegt. Damit besteht eine fortwährende Deflationsgefahr, die die kümmerliche Erholung im Euroraum jederzeit zum Erliegen bringen kann.

Es gehört zu den Kernraufgaben der EZB, eine solche monetäre Schieflage zu bekämpfen. Das Instrument ist ein niedriger Leitzinssatz, mit dem sich Banken refinanzieren können. Die Hoffnung ist, dass ein niedriger Leitzins zu geringeren Kreditzinsen führt. Das sollte die Unternehmen veranlassen, mehr zu investieren und die privaten Haushalte, weniger zu sparen und mehr zu konsumieren. Auf diese Weise würde die ökonomische Aktivität an Fahrt gewinnen, was am Ende auch zu Inflationsraten in der Nähe der Zielmarke führt. Dann könnten nicht zuletzt die Zinsen wieder steigen.

Konsum soll belohnt werden, nicht Sparen

Die Wahrnehmung der Kritiker der EZB, dass diese Strategie zu Lasten der Sparer geht, ist also vollkommen richtig. Schließlich wird Ausgeben belohnt und Sparen bestraft. Das entspricht zwar nicht den Interessen der Sparer, aber es entspricht gesamtwirtschaftlichem Interesse. Ohne eine durchgreifende wirtschaftliche Belebung sind Beschäftigung und Einkommen immer wieder gefährdet. In einer schwächelnden Volkswirtschaft lassen sich aber keine hohen Renditen auf Sparkapital erzielen. Für Zinsen gilt eben das Gleiche wie für Löhne, nur was vorher erwirtschaftet wurde, kann nachher ausgezahlt werden. Für Beschäftigte wird diese Erkenntnis als Selbstverständlichkeit angesehen, für Sparer muss sie offenbar erst noch erlernt werden.

Der Einwand, dass die Hoffnung auf einen Aufschwung sich durch die Niedrig-Zins-Politik ja nicht erfüllt habe und sie daher auch ohne Schäden korrigiert werden könne, ist eine gefährliche Halbwahrheit. Richtig ist, dass sich die Hoffnung auf eine durchgreifende Belebung nicht erfüllt hat. Das heißt aber nicht, dass die Geldpolitik bislang wirkungslos gewesen wäre. Ohne sie wäre der ­Euroraum noch immer in einer Rezession mit noch höherer Arbeitslosigkeit. Die niedrigen Zinsen haben vor allem dazu geführt, dass der Euro im Vergleich zu anderen Währungen relativ schwach ist, was die Exporte aus allen Mitgliedsländern, darunter Deutschland, gefördert hat. Eine Abkehr von diese Strategie würde dies gefährden.

Öffentliche Investitionen nötig

Dass die bisherige Geldpolitik bislang keinen durchgreifenden Aufschwung bewirkt hat, liegt also nicht an ihr. Sie hat ihr Möglichstes getan und ist nunmehr mit Zinsen von Null und darunter an der Grenze ihres Könnens. Sie bedarf dringend der Flankierung durch die ­europäische Fiskalpolitik. Denn die Geldpolitik verharrt im Leerlauf, wenn die der Volkswirtschaft zugeführte Liquidität nicht aufgenommen und am besten für investive Ausgaben verwendet wird. Da die Privaten in ihrer Verunsicherung hierzu keine Anstalten machen, bleiben nur die europäischen Staaten als Impulsgeber. Mit anderen Worten, es bedarf fiskalischer Mehrausgaben, insbesondere von öffentlichen Investitionen, was ja auch zu Recht vom Bundeswirtschaftsminister gefordert wird. Hinzu kommt, dass die niedrigen Zinsen die Finanzierung dieser Mehrausgaben ausgesprochen günstig machen.  

Die Kritik des Bundesfinanzministers am EZB-Präsidenten ist folglich der Feuerschrei des Brandstifters. Er hat seine Hausaufgaben nicht gemacht und lässt die EZB mit der Bewältigung der Krise allein. Dieser Attentismus zerstört jede Hoffnung auf eine durchgreifende Belebung im Euroraum, was dessen ­politischen Zerfallstendenzen Auftrieb verleihen dürfte. Aber vielleicht ist dies ja auch das eigentliche Ziel der Kritik.

 

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Kommentare

Banken- und Finanzmarktkrise nicht von Schäuble verursacht

Man gucke auf

- die Unternehmenssteuerreform von SPD&Grünen, die dem Staat das Geld für Investitionen entzog.

- die SPD&Grünen Agenda 2010, die den Arbeitnehmern das Geld entzog. O-Ton G. Schröder 2005 in Davos: "Wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt."

- die Finanzmarktderegulierungen von SPD&Grünen, die die Banken- und Spekulationskrise erst ermöglichte.

- die anschließend vollständige Unfähigkeit der SPD in der ersten großen Koalition diese Verwerfungen rückgängig zu machen.

- die Übetragung der finanziellen Lasten des Freikaufs der Banken und Spekulanten ["Bankenrettung"] aus deren Verantwortung auf die Steuerzahler.

- fehlende Vorschläge der SPD für eine aufeinander abgestimmte Wirtschafts-, Fiskal-, Finanz-, Sozial-
und Arbeitsmarktpolitik

Dafür ließ man Hunderttausende Armutszuzügler ins Land, die den Staat auf Jahre schwer belasten werden.

Wie und von was soll da der Staat eine aktive Konjunkturpolitik machen?

Sollen deshalb noch mehr Schulden aufgenommen werden?

Sozialdemokratische Kompetenz hatten nur Brandt und Schmidt.

Schäuble ist der Sündenbock.

Schäuble trägt aber der noch nie funktionierenden Austerität bei

Es ist schon bezeichnend, wie immer wieder Deutschland sich als "Opfer" darstellt. Tatsächlich war es Deutschland, der sich an Verträge nicht an europäische Verträge gehalten. Es war nämlich vereinbart, das die Löhne entsprechend der Produktivitätssteigerungen plus Inflationsausgleich jährlich steigen. Alle haben sich daran gehalten, nur wieder einmal Deutschland nicht. Im Übrigen es gibt kein Recht auf „Zinsen“ denn Geld arbeitet nicht sondern durch Menschen erst erwirtschaftet werden. Deshalb ist es absoluter Unsinn, davon zu sprechen die Sparer würden enteignet? Würde das gesamte Kapital, welches an den Finanzmärkten hin und her geschoben wird, in die Realwirtschaft investiert worden und investiert, hätten wir nicht Millionen Arbeitssuchende, sondern Vollbeschäftigung. Da aber mittlerweile die Realwirtschaft nur noch ein Anhängsel der Finanzwirtschaft ist, wird sich das auch nicht ändern. Insbesondere dann wenn die Irreführung der Verbraucher weiter geht.

Austerität hat noch nie in der Geschichte funktioniert

Es ist schon bezeichnend, wie immer wieder Deutschland sich als "Opfer" darstellt. Tatsächlich war es Deutschland, der sich an Verträge nicht gehalten hat? Es war nämlich u.a. vereinbart, das die Löhne entsprechend der Produktivitätssteigerungen plus Inflationsausgleich jährlich steigen. Alle haben sich daran gehalten, nur wieder einmal Deutschland nicht. Im Übrigen es gibt kein Recht auf „Zinsen“ denn Geld arbeitet nicht, sondern muss durch Menschen erst erwirtschaftet werden. Deshalb ist es absoluter Unsinn, davon zu sprechen die Sparer würden enteignet? Würde das gesamte Kapital, welches an den Finanzmärkten hin und her geschoben wird, in die Realwirtschaft investiert worden und investiert, hätten wir nicht Millionen Arbeitssuchende, sondern Vollbeschäftigung. Da aber mittlerweile die Realwirtschaft nur noch ein Anhängsel der Finanzwirtschaft ist, wird sich das auch nicht ändern. Insbesondere dann wenn die Irreführung der Verbraucher weiter geht.

Erbarmungswürdig

Vor dem Hintergrund einer derartig erfolglosen EZB-Geldpolitik wäre ein "Erbarmungswürdig-Aufschrei" von Finanzminister Schäuble angebracht. Ich habe aber bisher nichts dergleichen vernommen. Ach ja: das wäre ja gegen seine "Schwarze-Null-Politik". Denn die EZB-Geld-Politik" ist offensichtlich wesentlicher Bestandteil von Schäubles Konzept. Und den Bürgern wurde das schmackhaft gemacht durch das Versprechen: "keine Steuererhöhung "! Rentner und Sparer verlieren aber Geld! Das kann dann wohl nur ein Versprechen für die wohlhabendere Oberschicht gewesen sein. Er ist eben ein: "falscher Fuffziger", unser Finanzminister!
Da findet durch die aktuelle EZB-Politik (Fluten der Finanz-Märkte mit frischem Geld, negative Zinsen) die größte Umverteilung bei Sparern und Rentnern seit der Währungsreform von 1948 statt, und Wirtschaft/wirtschaftsnahe Politikkreise warnen: aber nicht vor einer Verarmung von Sparern und Rentnern, sondern vor "weiteren" Belastungen der Wirtschaft (Mindestlohn, mehr Rentengerechtigkeit, Frauenquote, Mietpreisbremse, Regelung der Leiharbeit, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, ..). Aber: "Die deutsche Wirtschaft wächst wie seit Jahren nicht mehr!" Wie wäre es, mal ...

Erbarmungswürdig- 2

...
Wie wäre es, mal die aktuellen Entlastungen der Wirtschaft (geringere Finanzierungskosten, günstigere Exportbedingungen wegen EURO-Verfall, Steueroptimierung über Off Shore-Konstrukte ...) und das weitere Pampern der Finanzwirtschaft zu loben. Stattdessen wird bekannt, dass jetzt auch noch - zumindest in Frankreich und Italien - durch die EZB klammheimliche Staatsfinanzierung betrieben wird.
Verkehrte Welt?
Hört mal an, was Singer Songwriter Sigismund Ruestig dazu zu sagen bzw. zu singen hat:
http://youtu.be/QqoSPmtOYc8
http://youtu.be/QGOx8I0COYg
Viel Spaß beim Anhören!

Man könnte das auch ganz anders ausdrücken:
Die EURO-Rettungsschirme dienten und dienen in erster Linie dazu, die Verluste der Finanzbranche, die sich in EURO-Ländern wie Griechenland verzockt hatte, zu sozialisieren, d.h. den Steuerzahlern aufzubürden. Was sind die EURO-Rettungspakete demnach anderes als wieder einmal die Wirtschaft, insbesondere aber die Finanzbranche zu pampern, die doch eigentlich im Nachgang der Finanzkrise noch in großer Schuld gegenüber den Staaten und deren Steuerzahler steht. Und die Wohlhabenden werden u.a. auch durch die EURO-Rettungspolitik weiterhin noch reicher. Wie ...

Erbarmungswürdig. - 2

...
Wie lange wollen wir uns das noch gefallen lassen? Haben denn unsere Volkswirte keine anderen Methoden in petto, als immer wieder Programme zulasten der Mittelschicht und der Geringverdiener, Unvermögenden, Rentner vorzuschlagen? Insofern sind Piketty und auch Weidmann immerhin ein Lichtblick!