Das Politische Buch 2016

Warum Salafismus und Islamhass zwei Seiten einer Medaille sind

Paul Starzmann11. Mai 2016
Salafismus vorzubeugen heißt auch, gegen die Islamfeindlichkeit von AfD und Pegida vorzugehen, sagt Lamya Kaddor. Für ihr Buch über jugendliche Dschihadisten hat die Islamwissenschaftlerin den Preis „Das politische Buch 2016“ der Friedrich-Ebert-Stiftung erhalten.

Lamya Kaddor räumt auf. Sie räumt auf mit den Klischees über den Islam. „Jeder meint Islamexperte zu sein“, sagt Kaddor – obwohl kaum jemand Ahnung von der Kultur des Islam habe. Rückständig sei der Glaube, behaupten viele. Die Wissenschaftlerin widerspricht: „Der Islam hatte die Aufklärung schon lange bevor sie in Europa ankam.“ Die Araber hätten den hellenistischen Geist der Antike über das Mittelalter hinweg bis zur europäischen Renaissance bewahrt. Erst in den letzten 200 Jahren sei das „eigene Erbe“ bei einigen Muslimen verloren gegangen, habe an manchen Stellen Platz gemacht für religiösen Extremismus.

Warum Jugendliche in den Dschihad ziehen

In ihrem Buch „Zum Töten bereit: Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen“ geht die Islamwissenschaftlerin der Radikalisierung auf den Grund. Frust und Wut über Ungerechtigkeiten und Ausgrenzung in der Gesellschaft mache einige junge Muslime anfällig für extremistisches Gedankengut. „Jede Sarrazin-Debatte, jeder Pegida-Aufmarsch“ helfe den Fundamentalisten dabei, neue Anhänger zu rekrutieren. Der Islamhass von AfD und Pegida sei „Wasser auf die Mühlen der Salafisten“, so Kaddor.

Dem Hass sieht sich die Religionspädagogin selbst ausgesetzt. Viele Muslime müssten sich täglich für ihren Glauben rechtfertigen, nicht wenige würden beschimpft und bedroht. Auch Kaddor erhält unzählige Hassbotschaften, erklärt sie in Berlin. „Es beschämt mich, so vor Ihnen sprechen zu müssen“, sagt sie zu den Gästen der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) als sie einen Brief vorliest, dessen Urheber sich Kaddor und alle Muslime in die „Gaskammer“ wünscht.

Muslime in der Schusslinie

Aydan Özoğuz, SPD-Staatsministerin für Migration, lobt die Entscheidung der Jury, der Autorin Kaddor den Preis „Das politische Buch 2016“ zu verleihen. Die Islamwissenschaftlerin habe ein Buch über den Islamismus geschrieben, ohne die hiesigen Muslime „in die Schusslinie zu werfen“. „Das gelingt nicht vielen“, meint Özoğuz. Kaddor tauge nicht als „Kronzeugin“ für jene, die den Islam pauschal als die Ursache für alle möglichen Probleme sehen wollten.

Die „offen islamfeindlichen“ Positionen im Programm der AfD empfindet die SPD-Politikerin als „Angriff auf den inneren Frieden unserer Gesellschaft“. Özoğuz erklärt, sie sei „guten Mutes“, dass in der Öffentlichkeit ein aufgeklärtes Bild des Islam Einzug erhalten werde. Dazu sei es aber nötig, dass der Islam zu „Normalität“ in Deutschland werde. Als Muslim und zugleich als Deutscher zu gelten, müsse eine Selbstverständlichkeit sein. „Herkunft darf nicht Schicksal sein“, fordert die Staatsministerin.

Der Kampf gegen Extremismus

Lamya Kaddor empfindet die Auszeichnung der FES als Unterstützung in ihrem „persönlichen Kampf gegen Radikalisierung“. Bei einigen konnte Kaddor das Abdriften in den Extremismus jedoch nicht aufhalten – 2013 musste die Religionslehrerin feststellen, dass sich fünf ihrer Schüler dem „Islamischen Staat“ in Syrien angeschlossen hatten. Um so wichtiger sei es, dass der Kampf gegen den Islamismus nicht nur von Muslimen geführt werde, fordert sie. „Wir müssen gemeinsam gegen den Hass vorgehen“, lautet Kaddors Appell an die gesamte Öffentlichkeit.

Die Gesellschaft dürfe sich nicht auseinander dividieren lassen – weder von radikalen Islamisten noch von deren nationalistischem „Pendant“, wie Kaddor die Islamhasser aus der rechten Ecke nennt. Die Politik müsse die Voraussetzungen schaffen, unter denen Jugendliche weniger gefährdet sind, ins Radikale abzudriften – die Muslime dürften dabei nicht alleine gelassen werden. Mit dem Blick auf die Berdohung durch religiöse und nationalistische Fanatiker fordert Aydan Özoğuz: „Wir, Muslime und Nicht-Muslime, müssen mehr tun, um unsere Gesellschaft zu schützen.“

Lamya Kaddor: „Zum Töten bereit: Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen“, Piper Verlag, 256 Seiten, 14,99 Euro, ISBN: 978-3-492-05703-5

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Kommentare

Der Islam ist eine Religion aber keine Kultur

Mit der Aufklärung des Islam ist es nicht weit her, wenn man gemäß des Korans Muslim oder Nicht-Muslim ist, nicht aber Deutscher, aus'm Pott, Bochumer mit schlesischen Ururgroßeltern, Elektriker, Ex-Opelaner, SPDler, Gewerkschafter, verheiratet und katholisch.

Würde der Islam jemals fortschrittlich gewesen sein, wären schon lange islamisch beherrschte Staaten an der Weltspitze, sie sind es nicht nur nicht, sondern die Staaten, in denen der Islam nicht vorgedrungen war und die europäische Aufklärung stattfand: Frankreich, England, Deutschland. Japan ist noch ein anderes Beispiel, das durch den Islam nicht erklärbar ist.

Der Beitrag der islamischen Araber zur 6000 jährigen Technikgeschichte geht nahezu gegen Null und die Neuzeit begann mit einem vollständigen Wechsel der Wissenschaft durch Galilei, Leibniz und Newton.

Den Salafismus gab es lange vor den Islamkritikern und die Radikalisierung fand in jüngerer Zeit bereits Ende der 1970er im Iran statt. Der politische Islam ging und geht vom Iran, Saudi-Arabien und der Türkei aus.

Man lese den Literaturnobelpreisträger V.S. Naipaul: Eine islamische Reise (1981) und Jenseits des Glaubens (1998). Das sollte ernüchtern.