Ehegattensplitting

Relikt aus Adenauers Zeiten

Renate Faerber-Husemann20. Februar 2013

Das Familienleben wird immer bunter, aber das Ehegattensplitting betoniert die Welt von gestern.

Es war Ende der siebziger Jahre, und auch damals schon wurde vor allem in der SPD über Sinn oder Unsinn des Ehegattensplittings gestritten. Da machte die im Familienministerium angesiedelte erste Frauenbeauftragte der sozialliberalen Bundesregierung, Marlies Kutsch, folgenden Vorschlag: Nicht nur für das Finanzamt sollte das Einkommen eines Ehepaares addiert und dann durch zwei geteilt werden – was wegen der Progression zu niedrigeren Steuersätzen führt – sondern auch ganz real. 

Mann und Frau bekommen jeweils die Hälfte des gemeinsamen Einkommens auf ein eigenes Konto. Nur so könne die Leistung jener Frauen fair gewürdigt werden, die sich um Haushalt und Kinder kümmern, während der Mann das Geld verdient.

20000 Milliarden Euro für der Gang zum Standesamt
Die Begeisterung der Männer hielt sich in Grenzen. Das galt auch für andere Vorschläge aus Zeiten, in denen die Risiken der so genannten Hausfrauenehe allmählich diskutiert wurden: Zum Beispiel gab es die Anregung, den Splittingvorteil in eine eigene Altersversorgung der nicht oder nur in schlecht bezahlter Telzeitarbeit beschäftigten Ehefrauen zu stecken. Frauen mit Kindern waren die klassischen Zuverdiener, denn fehlende Krippen-, Kindergarten- oder Hortplätze erlaubten ihnen kaum ein anderes Lebensmodell.

Inzwischen hat sich die Familienwelt radikal geändert, geblieben aber ist das Ehegattensplitting, das den Staat rund 20 Milliarden Euro pro Jahr kostet. Dazu kommt noch die beitragsfreie Mitversicherung des nicht erwerbstätigen Ehepartners in der Krankenversicherung. Belohnt wird  steuerlich nicht die Tatsache, dass Paare, ob verheiratet oder nicht, sich wie auch die wachsende Zahl der Alleinerziehenden um Kinder kümmern, sondern allein der Gang zum Standesamt.

Allein verdienende Spitzenverdiener profitieren
Je größer die Einkommensunterschiede eines Ehepaares sind, desto höher ist der Splittingvorteil. Am höchsten ist er für allein verdienende Spitzenverdiener. Da können in Ausnahmefällen schon mal 15000 Euro Steuervorteil im Jahr zusammenkommen, unabhängig davon, ob Kinder im Haushalt leben oder nicht.

Dieses Relikt aus Zeiten, in denen Männer gerne sagten: „Meine Frau hat es nicht nötig zu arbeiten“, ist allerdings heute ein gefährliches Lebensmodell für Frauen. Im Falle von Trennung und Scheidung stehen sie mit leeren Händen da, denn das moderne Unterhaltsrecht geht längst von der wirtschaftlichen Selbständigkeit beider Ehepartner aus. Wer über viele Jahre nicht berufstätig war – verführt auch durch das Ehegattensplitting – hat wenig Chancen auf attraktive Jobs, die den Lebensunterhalt sichern und muss sich trotz des gesetzlichen Versorgungsausgleichs auf Altersarmut einstellen.

Für Frauen ein gefährliches Lebensmodell
Nach wie vor sieht die kurzsichtige Rechnung in vielen Familien so aus: Wenn die Ehefrau „dazuverdienen“ möchte oder gar einen vollen Job anstrebt, verringert sich der Splittingvorteil, sinkt bei gleichem Einkommen auf Null. 

Dafür fallen Betreuungskosten für die Kinder an, die Haushaltsführung wird teurer, die beitragsfreie Krankenversicherung entfällt. Und das Leben für den in der Regel immer noch männlichen „Ernährer“ wird unbequemer, denn seine Hilfe im Haushalt und bei den Kindern wird nun eingefordert. Also ist es doch praktischer, wenn Mutter zu Hause bleibt – wenigstens bis zum Tag der Scheidung.

Die steuerliche Bevorzugung der schieren Tatsache, dass zwei Menschen geheiratet haben, kann aber nicht nur für Frauen aus besser verdienenden Schichten fatale Folgen haben.

Ehefrauen, die in Familien mit so niedrigem Einkommen leben, dass keine oder nur geringe Steuern anfallen, werden durch die kostenlose Mitversicherung in der Krankenkasse geradezu in die Schwarzarbeit getrieben. Man versuche einmal, eine Haushaltshilfe, Pflegerin für alte Angehörige oder Kinderfrau zu bekommen, die eine versicherungspflichtige Anstellung akzeptiert. „Ich bin bei meinem Mann mitversichert“, lautet die klassische Antwort. Und übel nehmen kann man das den Frauen nicht einmal. Denn eine eigenständige Altersversorgung lässt sich bei niedrigem Lohn und großen Lücken in der Erwerbsbiografie kaum aufbauen.

Familienarbeit: unsichtbar, weil unbezahlt
Das Ehegattensplitting mag also seine Berechtigung gehabt haben in Zeiten, in denen Ehepaare in aller Regel mehrere Kinder hatten, Scheidungen selten waren und die Arbeitsteilung eindeutig: Sie kümmerte sich um die Familie, er schaffte das Geld heran. Viele Frauen haben da über Jahrzehnte Knochenarbeit geleistet, den früher sehr arbeitsintensiven Haushalt geführt und, wenn die Kinder aus dem Haus waren, pflegebedürftige Eltern und Schwiegereltern versorgt.

Familienfrauen haben sich bei diesem Lebensmodell den Splittingvorteil im Wortsinn verdient. Der Nachteil aber war immer: Ihre Arbeit blieb unsichtbar, weil unbezahlt. Das Sagen hatte der Mann, er hatte das Geld und damit die Macht in der Familie, sie war in jeder Beziehung von ihm abhängig. Auch aus diesem Grund war jener alte Vorschlag, das Einkommen nicht nur steuerlich sondern ganz real zu splitten, einleuchtend.

Inzwischen haben die Zeiten sich völlig geändert: Jede dritte Ehe – in Großstädten teilweise jede zweite – wird geschieden. Viele Paare leben ohne Trauschein zusammen, haben aber gemeinsame Kinder. Vom Ehegattensplitting profitieren sie nicht.  Es gibt die unterschiedlichsten Patchworkfamilien, die eines verbindet: Geteilte Verantwortung für Kinder und Erwerbstätigkeit beider Partner. Es gibt eine hohe Zahl Alleinerziehender, die wie Ledige besteuert werden, obwohl die Alleinverantwortung für Kinder und Lebensunterhalt den Alltag teuer und anstrengend macht.

Kinder fördern statt Alleinverdienerehe
In dieser bunten Familienwelt, die auch noch ständigen Veränderungen ausgesetzt ist, gibt es eine Konstante: die Kinder. Sie gilt es zu schützen, auch durch steuerliche Anerkennung, und nicht die Alleinverdienerehe ohne Kinder. Mit den zwanzig Milliarden Euro (plus knapp zehn Milliarden für die Krankenversicherung) ließe sich vieles vorstellen, um die Situation der Familien zu verbessern: Großzügige Kinderfreibeträge beispielsweise, kostenfreie und qualitativ hochwertige öffentliche Kinderbetreuung. So könnten langjährige Lücken in der Erwerbsbiografie von Frauen verhindert werden. Aus vom Mann abhängigen Familienmüttern würden Steuer- und Beitragszahler und im Falle einer Scheidung käme zur menschlichen Tragödie nicht auch noch die Armutsfalle.

Warum dennoch trotz aller Diskussionen, trotz des wachsenden gesellschaftlichen Unbehagens am Ehegattensplitting keine Agenda 2020 zur Familienpolitik angestrebt wird? Böse Zungen behaupten, diejenigen, die etwas ändern könnten, seien eben die Profiteure des jetzigen Systems, verheiratete männliche Politiker und Spitzenbeamte nämlich mit nicht erwerbstätigen Ehefrauen. Aber auch hier lässt sich auf ein Umdenken hoffen, da auch deren Lebensmodelle bunter werden, vor allem aber, weil immer mehr Frauen mit Kindern sich einflussreiche Positionen in Politik und Ministerien erkämpfen.       

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