Ruhrgebiet

Eine Region zwischen Strukturwandel und Aufbruch

Bernd Neuendorf17. September 2018
Olaf Scholz bei der Veranstaltung "Ruhrgebiet – Tradition neu denken" in Bottrop
Im Ruhrgebiet ist der Anteil der in Langzeitarbeitslosigkeit lebenden Menschen vergleichsweise hoch. Um die richtigen politischen Weichenstellungen zu treffen, wurde am vergangenen Freitag bei der Ruhrgebietskonferenz unter dem Motto "Ruhrgebiet: Tradition neu denken / Heimat im Herzen Europas" in Bottrop diskutiert.

So einfach wie bei Olga Lysytska gelingt der Strukturwandel im Ruhrgebiet dann leider doch nicht. Die beeindruckenden Bilder der Sandmalerin werden am Freitag Abend auf eine riesige Leinwand im Lichthof der Berufsschule in Bottrop projiziert. In rascher Abfolge zeigt die Ukrainerin die Geschichte des Steinkohle-Bergbaus im Revier auf, um letztlich ein Bild zu kreieren, auf dem eine idyllische Landschaft mit Windrädern, Schmetterlingen, eine Sonne und Blumen zu sehen ist.

Sandmalerei ist eine vergängliche Kunst. Sie lebt vom Wandel. Und um den Wandel einer ganzen Region geht es auch an diesem Tag in Bottrop. Die SPD in Nordrhein-Westfalen hatte eingeladen, um gemeinam mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz zum Thema "Ruhrgebiet – Tradition neu denken" zu diskutieren. Der Zeitpunkt hätte kaum besser gewählt werden können. Denn fast zeitgleich wird an diesem Tag auf  Deutschlands letztem aktiven Steinkohlebergwerk der Regelbetrieb beendet. Nach 155 Jahren ist auf der Zeche Prosper Haniel in Bottrop Schicht im Schacht.

Längst nicht alle Probleme gelöst

Bereits in den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Gesicht des Ruhrgebiets stark  verändert. Innovative Unternehmen haben sich angesiedelt, es findet ein ökologischer Wandel statt, Kunst- und Kulturveranstaltungen strahlen weit über die Landesgrenze hinaus. Die Menschen sind stolz auf das Erreichte. Es ist so etwas wie ein Aufbruch spürbar. "Wir können Wandel", erklärt der der Vorsitzende der NRWSPD, Sebastian Hartmann. Aber er weiß auch: Der Strukturwandel im Ruhrgebiet ist noch lange nicht abgeschlossen, längst sind nicht alle Probleme gelöst. Das wird an diesem Abend vor allem in den Beiträgen der beiden sozialdemokratischen Oberbürgermeister Frank Baranowski (Gelsenkirchen) und Bernd Tischler (Bottrop) deutlich.

Es sind mehrere Problemfelder, die Baranowski, der zugleich Sprecher der Ruhr-SPD ist, und sein Kollege aus Bottrop ansprechen. Deren Bewältigung ist aus ihrer Sicht nur mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen und des Bundes zu leisten. Die hohen Soziallasten seien von vielen Kommunen – gerade im Revier – nicht länger zu stemmen. In Gelsenkirchen, so Baranowski, seien seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts 70.000 Arbeitsplätze weggefallen. Das habe dazu geführt, dass die Langzeitarbeitslosigkeit, und damit auch der Anteil der in Armut lebenden Menschen, vergleichsweise hoch sei. Es könne aber nicht sein, dass die Städte für die dadurch entstehenden Sozialausgaben aufkommen müssten. 

Sanierung von Bergbauflächen nötig

Bernd Tischler erhofft sich Hilfe vom Bundesfinanzminister bei der Entwicklung moderner Gewerbegebiete. Die bisherigen Bergbauflächen müssten zunächst saniert und aufbereitet werden, um sie dann vermarkten zu können. Investoren kämen aber nur, wenn es bei Mobilität und Digitalisierung beste Voraussetzungen gebe, sagt Bernd Tischler. Viele bestehende Brücken, Straßen und Tunnel seien vor Jahrzehnten mit Bundesmitteln gebaut worden, ergänzt Frank Baranowski. Sie müssten dringend saniert werden. Auch dies sei eine Gemeinschaftsaufgabe. Auf Dauer würden die vielen Sonderprogramme des Bundes zur Unterstützung der Kommunen nicht helfen. "Sonderprogramme", so Baranowski, "sind der beste Beleg dafür, dass das gesamte System unterfinanziert ist." Und für diese Feststellung erntet er stürmischen Beifall der rund 500 Gäste.

Konzentriert und nachdenklich hat Olaf Scholz die Ausführungen auf dem Podium verfolgt. Und er lässt durchaus erkennen, dass er sich den Anliegen der Menschen im Ruhrgebiet nicht verschließen will. Man könne "nicht achselzuckend wegschauen, wo es Probleme gibt", sagt er. Strukturwandel bedeute für ihn, "dass ein ganzes Land zusammenhalten muss." Strukturpolitik könne nirgendwo auf der Welt "von einem alleine" bewältigt werden. Unterstützung sei notwendig – aber sie dürfe keinesfalls nach dem Gießkannenprinzip organisiert werden. Das sieht auch Thomas Kutschaty so. Der Chef der SPD-Landtagsfraktion in Düsseldorf mahnte an, dass das Ruhrgebiet mit seinen spezifischen Herausforderungen mehr Hilfe benötige als andere Regionen in Deutschland. Man müsse endlich "Ungleiches ungleich behandeln".  

Wirtschaftskraft, Arbeitsmarkt und Lebensqualität

Zielgerichtete Hilfe möchte auch Olaf Scholz. Der Finanzminister verweist auf eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland. Dort soll über die - gerade in vielen Städten des Reviers zu beobachtende - Überschuldung von Kommunen, Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten, kaputte Straßen, leere Geschäftshäuser, sozialen Wohnungsbau und gute Bildung gesprochen werden. Bis Herbst 2020 werden  Ergebnisse vorliegen.

Letztlich, das wird auch durch die zahlreichen Fragen aus dem Publikum deutlich,  geht es an diesem Abend im Herzen des Ruhrgebiets vor allem um faire Chancen auf echte Teilhabe. "Wir brauchen eine große Investitionsanstrengung des Bundes. Das muss in Deutschland statfinden", sagt Olaf Scholz. Das ist eine starke Aussage, die viele Gäste mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Und damit ein solcher Satz nicht verloren geht, hat ihn Sebastian Hartmann auf seinem Zettel notiert. Die Zusage des Finanzminsters soll nicht so flüchtig, so schemenhaft sein, wie die Sandmalerei.  

Kommentare

Strukturwandel verpennt ?

Eigentlich ist es unfassbar und es muß die Frage erlaubt sein ob unsere SPD insbes. in NRW nicht zurecht heftig abgestraft wurde.
Mindestens seit den 1980ern war klar, dass Kohle mit d. einhergeheden Folgen für Klima, Umwelt und Gesundheit nicht längerfristig tragbar war !
Dann kam die nächste Sackgasse die insbes. auch für die kommenden Generationen völlig untragbare Atomkraft.
Protektionismus nicht nur eine deutsche Spezialität: Schädliche und absurd teure Umweltfolgen und Gesundheitsschäden wurden nicht eingepreist !
Vermeintlich günstige Energie, zum Verschwenden prädestiniert !
Bis heute werden Energieintensive ressourcenfressende Produktionsmethoden (insbes. Aluminium) mit Billigtarifen künstlich gestützt !
Mit vorne dabei: Die Gewerkschaften! Stützen in Deutschland antiquierte, aus der Zeit gefallene Energieformen, Technologien (s. Verbrenner) u. energoeintensive Produktionsmethoden . Groko-Politik hält bis heute umweltschädl. Fördermassn. und absurden Kohleabbau am Laufen.
Der Strukturwandel im Ruhrgebiet wurde nicht verpennt, wie oft von der Politik fast entschuldigend gesagt, er wurde, auch mit Hilfe der Gewerkschaften künstlich aufgehalten und blieb ungestaltet !

verstehe ich

logische Verbing richtig? Es besteht eine logische Verbindung zwischen SPD Regierung und Looserland?

Bremen, ja, da passt es, und Berlin, da auch, NRW, ja gut .....

aber was folgt daraus. CSU wählen, weil Bayern sich nicht nur in der Fußball- Bundesliga abgesetzt hat in ferne Welten? Das geht ja nicht, die treten ja außerhalb Bayerns nicht an.

Also: Eher nicht wählen, die SPD, schon um schlimmeres zu vermeiden??

das kann doch die Lösung nicht sein.

Gute Ansätze für Erneuerung wie in Bayern-SPD unterstützen !!

...Niedersachsen... Wahlen zwar mit Ach und Krach auf niedrigen Niveau gewonnen, aber Ministerpräsident stützt Menschen- u. tierverachtende Fleischindustrie und versagt im Aufsichtsrat eines betrügenden (aktuell Kartellabsprachen mit anderen Konzernen) Autokonzerns, das ist SPD/Alt ! Bayern-SPD zwar momentan noch auf niedrigem Zustimmungsnivreau mangels vorzeigbarer und wegen Bundespolitik wenig glaubhafter Nachhaltigleitsthemen aber wenigstens mit anderen für die Parteierneuerung tauglichen Ansätzen.! Noch gibt es Hoffnung für die SPD! Ob das für Wählerstzustimmung im Bund reicht, soll jeder selbst entscheiden. Mein Tip: Kleine bürgernahe Strukturen stärken (Genossenschaften etc.) bei Wirtschafts- u. Wohnungpolitik und in vielen anderen Bereichen. Marktmacht und politisch. Einfluß der "Big-Player" massiv beschränken.
Nachhaltige Rahmenbedingeungen zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen und für nachhaltige gerechte Verteilung der Produktivitäts- u. Effektivitätsgewinne. Placebo-Politik mit Beruhigungspillen wird mittlerweile als solche entlarvt !
Mehr Druck auf den Koalitionspartner o. besser: Raus aus der Sache und Neustart mit glasklaren Progr. für Ger.keit und Nachhalt.keit !