Thüringen

Rechtsextremismus-Experte Quent: Thüringen könnte erst der Anfang sein

Kai Doering05. Februar 2020
Mahnende Worte zum Umgang mit der AfD reichen nicht mehr aus. Rechtsextremismus-Experte Matthias Quent
Mahnende Worte zum Umgang mit der AfD reichen nicht mehr aus. Rechtsextremismus-Experte Matthias Quent
Für Rechtsextremismus-Experte Matthias Quent sind mit der Wahl von Thomas Kemmerich alle Dämme gegen rechts gebrochen. Er warnt: „Wenn jetzt nicht entschieden reagiert wird, ergießt sich ein brauner Strom aus dem kleinen Thüringen hinaus auf den Rest der Republik.“

Wie bewerten Sie die Wahl von Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten?

Mit der Wahl von Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD sind alle Dämme gegen rechts gebrochen. Bürgerliche machen sich mit Rechtsextremisten gemein und lassen sich von ihnen zur Macht verhelfen. Das ist eine Zäsur. Die Mehrheit der Bevölkerung wollte Bodo Ramelow als Ministerpräsident behalten. Die FDP hat es nur mit ein paar Stimmen Vorsprung in den Landtag geschafft. Das zeigt, wie irrational und machtgetrieben diese Aktion ist.

Sie gehen also von einem abgesprochenen Manöver aus?

Das sind doch alles keine politischen Anfänger. Die CDU hätte sich bei der Ministerpräsidentenwahl enthalten müssen. Das hat sie nicht gemacht. Deshalb ist sie für dieses Ergebnis auch mit verantwortlich.

Nun ist ein Ministerpräsident gewählt, der sich aber auf keine Koalition stützen kann. Führt aus Ihrer Sicht noch ein Weg an einer Neuwahl des Landtags vorbei?

Nein, daran führt aus meiner Sicht kein Weg vorbei. Rot-Rot-Grün wird jetzt auf Fundamentalopposition gehen müssen, um dem Rechtsruck überhaupt etwas entgegen zu setzen. Thomas Kemmerich könnte nur dann Ministerpräsident bleiben, wenn er eine Mehrheit unter den Abgeordneten von FDP, CDU und AfD findet, aber das würde zwei dieser Parteien wohl zerreißen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Bundesspitzen von CDU und FDP das zulassen.

Wie sollten Annegret Kramp-Karrenbauer und Christian Lindner reagieren?

Mahnende Worte zum Umgang mit der AfD, wie es sie ja in der Vergangenheit schon gab, reichen aber offensichtlich nicht mehr aus.

Welche Folgen erwarten Sie nach diesem Tag über Thüringen hinaus?

Das hängt davon ab, wie die Zivilgesellschaft, die Wirtschaft und die Parteien bundesweit reagieren. Wenn man nicht will, dass dieser Dammbruch über Thüringen hinausreicht, muss man auch bundespolitisch sehr harsch reagieren. Aus meiner Sicht muss die SPD nach dieser Aktion die Koalition mit der CDU auf Bundesebene infrage stellen, wenn sie eine Brandmauer gegen rechts sein will, wie sie es immer betont. Im kommenden Jahr wird in Sachsen-Anhalt gewählt. Dort hat die AfD keinen Höcke. Wenn jetzt nicht entschieden reagiert wird, ergießt sich ein brauner Strom aus dem kleinen Thüringen hinaus auf den Rest der Republik.

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Kommentare

Sie werden es immer wieder tun.

Es war zu erwarten: Sie werden es immer wieder tun.
Immer wieder werden grosse Teile der Union und der FDP bereit sei, reaktionären und faschistischen Kräften ihre Stimme zu geben, wenn für sie selbst ein Vorteil, ein Machtzuwachs oder ein Pöstchengewinn zu erhoffen sind. Dann gilt augenscheinlich die Devise "Augen zu und durch".
Als wir unseren Vätern nach dem Krieg Fragen nach dem Warum stellten, hörten wir: Das hat ja keine geahnt, wer hätte das denn erwartet, wir wussten doch nicht, worauf wir uns einliessen.
Dabei standen wir auf den Trümmern, die noch rauchten.

Heute, am 5. Februar 2020, kann niemand sagen: Das konten wir doch nicht ahnen...
Doch, man konnte es wissen. Man hat es gewusst und gehört und abgestritten - und trotzdem ohne Scham und Rücksicht bei erstbester Gelegenheit dem aufsteigenden Faschismus die Hand gereicht.

Als alter Mann möchte man verzweifeln und nur noch weinen.
Weil deutlich wird: Egal was sie sagen - sie werde es wieder tun.

Die Schlafwandler

in Groko-Amt und Würden hielten das AFD-Erstarken wohl für einen Spuk der irgendwann vorübergeht. Einmal nicht aufgepasst wurden sie samt den Thüringern billig ausgetrickst, gerade aus d. Kumpanien (FDP u. CDU) denen sich d. konservative vermeintlich pragmatische Teil uns. SPD so gerne zuwendet, weil es ja so praktisch ist. um in´s "bürgerliche" Amt zu kommen oder dort bequem zu bleiben . Jetzt war´s ein bisschen zu bequem und es ist passiert. Der Damm zum Faschismus ist gebrochen. Auch deshalb weil immer noch keine wirksamen Maßnahmen getroffen und keine klare Rahmensetzung gegen die Auswüchse der Maximalprofit-orientierten Globalisierung zugunsten kleiner regionaler Strukturen gesetzt wurden !
Schön für die "schwarze Null" !
Wieder glauben Menschen sie könnten den Teufel ihrer gefühlten Minderwertigkeit mit dem Belzebub des Hasses und der Ausgrenzung austreiben ! Das hatten wir schonmal !
Wo bleibt eigentlich die Zukunftserzählung unserer SPD abseits von rücksichtsloser Wachstumsideologie, Exportwahnsinn und Ausbeutung ?
Für was wurden Esken und Borjans in´s Amt gewählt ? Damit sie von den Weiterso-Protagonist/inn/en ausgebremst werden? Wacht auf bevor es zu spät ist !

Nichts Besonderes passiert.

Da haben Politiker also laut allgegenwärtig kursierenden Behauptungen im Hinterzimmer eine "Wahl" im Vorfeld abgesprochen.
Nichts Neues soweit.
Neu ist nur, das sich mal nicht allein die Bürger über derlei Praktiken aufregen.

Das Ergebnis dieser Absprache war das Inkaufnehmen bzw. aktive Fördern oder Herbeiführen eines als schädlich bewerteten Ergebnisses.
Nichts Neues.
Neu ist nur, das sich ausnahmsweise auch mal Politiker so darstellen als wäre diese Praktik unanständig, statt sie als normales Tagesgeschäft zu bezeichnen und immer weiter durchzuführen.

Nun wird mit viel Panikmache und Alarmworten davon abzulenken versucht, das die "bürgerlichen Parteien" diese Situation mit öffentlicher Vorankündigung wahlweise bewußt herbeigeführt oder billigend in Kauf genommen haben.
Ebenfalls wird nicht darauf eingegangen was für eine (und WESSEN !!!) Politik die AfD seit Jahren stärkt und letztlich in diese sehr bequeme Situation gebracht hat.

Statt einen Rücktritt oder eine Neuwahl erpressen zu wollen mit dem parteiübergreifenden Ankündigen einer umfassenden politischen Arbeitsverweigerung wäre erstmals seit Jahren bürgerorientierter Diensteifer angebracht.

Dammbruch

Vor diesem Dammbruch nach rechts gab es einen Dammbruch nach links, den unsere Partei zu verantworten hat. DIE LINKE und die AfD haben sich beide dem Systemwechsel auf die Fahnen geschrieben, weg von der parlamentarischen Demokratie, hin zu einem autoritären System. Beide haben auch den gleichen Freund: Putin. So peinlich die Wahl von Kemmrich zum Thüringer Ministerpräsidenten auch ist, sie ist nach demokratischen Regeln erfolgt. Die Landesvorsitzende von DIE LINKE hat mit ihrem "Blumenwurf" noch einmal gezeigt, welch Geistes Kind diese Partei ist und wie suspekt ihr eine Wahl nach demokratischen Regeln ist. Und unsere Partei steht ein weiters Mal blamiert da und ist zu nichts anderem fähig als vor Empörung zu schäumen.

Ich darf ergänzen ?

Parteiübergreifend wird dieses Wahlergebnis nicht akzeptiert, soll (z.B. laut Frau Merkel) "rückgängig gemacht werden", usw.

Wesentlich peinlicher als die unterstellte Absprache ist wohl eher, das die einzigen Reaktionen nur Rücktrittsforderungen und geheuchelt erscheinende Empörung sind, keinesfalls aber ein Anerkennen dieses weiteren Warnsignals, das die seit Jahrzehnten die AfD fördernde "neoliberale" Politik sowie die Unzahl anderer politisch gewollter Mißstände (Rentenproblematik, Infrastruktur, regelloser Kapitalmarkt, "Freihandelsabkommen",etc.) zeitnah drastisch und glaubhaft geändert werden muß.

Einfach in die Schmoll-Ecke zu gehen und zu sagen "mit dem will ich aber nicht spielen = ich weigere mich, meine Arbeit zu tun" ist nur weitere aktive AfD-Werbung durch die sich selbst als "demokratisch" bezeichnenden Parteien.

Systemwechsel?

Wo genau (bitte Quellenangabe) hat sich "DIE LINKE" den "Systemwechsel" auf die Fahnen geschrieben und will hin "zu einem autoritären System"?

Da ist es wieder. Das 'ja,

Da ist es wieder. Das 'ja, aber'-argument. In diesem Fall: erst war Links, dan kam Rechts. Fakt ist, dass die Linke nie die parlementarische Demokratie endgultig abgeschworen haben, sondern lediglich die 'Mangel' der SPD hervorgezeigt haben (die Umarmung des Neoliberalismus). Was die Linke da getan haben (mit dem Blumenstrauss) zeugt gerade von Respekt für das demokratische Prinzip! So wie Pelosi den Text von Trump zerissen hat. Es gibt kein Platz für Lügenhaftigkeit in eine Demokratie.

Unzulässige partei- u. demokratieschädigende Gleichsetzung !

Wer die Partei "Die Linke" und die AFD in einen Topf wirft ist Geschichtsvergessen und verharmlost in höchsten Masse die Angriffe der AFD auf unsere Demokratie, den Rassismus, die Fremdenfeindlichkeit, die dort immer noch mögliche unwidersprochene Verharmlosung des Nationalsozialismus !
Die LInke, aus Teilen der SPD einst hervorgegangen, hat sich inzwischen im Gegensatz zur CDU intensiv mit ihrer Vergangenheit beschäftig und, personell demokratiegerecht erneuert ! Bodo Ramelow ist alles andere als ein Extremist.
Informierte BürgerInnen wünschen sich bisweilen sogar etwas weniger Wirtschaftsfreundlichkeit (ganz im Stile der CDU und Teilen der "alten" SPD) und etwas mehr Gemeinnützigkeit von ihm !
Geradezu absurd diese "SPD-haltige" Partei mit tatsächlichen Extremisten (AFD - weil Faschismus duldend, fremdemfeindlich und gesellschaftsspaltend) gleichzusetzen. Solche Vergleiche sind demokratie- und was die SPD anbelangt somit parteischädigend, insbesondere wenn sie aus eigenen SPD-Reihen kommen !

wie

wird man "Rechtsextremismus-Experte? Was qualifiziert den Herren, neben der Bezeichnung, die ihm der VORWÄRTS hier verleiht.

Dr. Matthias Quent

ist Soziologe und Gründungsdirektor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Rechtsradikalismus, Radikalisierung und Hasskriminalität. Er studierte Soziologie, Politikwissenschaft und Neuere Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und University of Leicester (England). Er promovierte über die Zusammenhänge und Dynamiken der individuellen, gruppalen und gesellschaftlichen Einflüsse auf die Radikalisierung des rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU). Quent war Sachverständiger für Untersuchungsausschüsse des Thüringer Landtags (2012 & 2017), des Deutschen Bundestags (2016) sowie im sächsischen Landtag (2017) und für die Stadt München (2017).

https://www.idz-jena.de/ueber-das-institut/mitarbeitende/matthias-quent/

warum schreiben

Sie dies nicht im Artikel, sondern verwenden eine inhaltlich nicht definierte Bezeichnung, die jedermann für sich in Anspruch nehmen könnte.

Journalistische Verkürzung

Sie haben Recht, dass der Begriff "Experte" gerne genutzt wird und es manchmal schon interessant ist, wer plötzlich als solcher gilt. In diesem Fall ging es aufgrund der begrenzten Textlängein Überschrift bzw. Vorspann leider nicht anders. Als Reaktion auf Ihren Kommentar haben wir deshalb einen Infokasten ergänzt.