
Nach dem Überfall Russlands machen sich derzeit zu Tausenden Menschen aus der Ukraine auf den Weg in Richtung Europäische Union. Die Rede ist eine Woche nach Kriegsbeginn schon von mehr als einer Million Flüchtenden. Schätzungen der Vereinten Nationen gehen davon aus, dass bis zu zehn Millionen Menschen vor Putins Bomben und Raketen fliehen könnten, wenn der Krieg nicht bald endet.
Schnell und unkompliziert sollen deswegen die Flüchtenden in Europa aufgenommen werden, darauf haben sich die Mitgliedsstaaten am Donnerstag offiziell geeinigt. Erstmals greift eine nach dem Balkankrieg vereinbarte Regelung für Kriegsflüchtlinge, wie Bundesinnenmininsterin Nancy Faeser (SPD) am Donnerstag verkünden konnte. (Was die als „historische Einigung“ bezeichnete Regelung bedeutet und wie sie angewendet wird, erklären wir hier.)
Werden Menschen wegen ihrer Hautfarbe abgewiesen?
Die Hilfsbereitschaft ist nach ersten Informationen enorm: Millionen Euro an Spenden werden gesammelt, neben den staatlichen Unterstützungsmaßnahmen bieten Menschen ihre Wohnungen als Not-Unterkünfte an, fahren Kleidung und Medikamente direkt an die Grenze und bringen auf dem Rückweg Menschen in Sicherheit. Doch seit dem Wochenende gibt es auch Meldungen von den EU-Außengrenzen, dass möglicherweise nicht alle Flüchtenden aus der Ukraine gleich behandelt werden. In den sozialen Medien kursieren Nachrichten und Berichte darüber, dass Mensche an der Grenze abgewiesen wurden – offenbar aufgrund ihrer Hautfarbe.
UN-Flüchtlingskommisar Filippo Grandi bestätigte am Dienstag in einer Pressekonferenz entsprechende Berichte. Zuvor hatten bereits mehrere SPD-Politiker*innen die Einhaltung von Menschen- und Völkerrecht angemahnt. Auch wenn UN-Kommissar Grandi betont, dass die Zurückweisungen an den Grenzen offenbar nicht auf staatliche Anweisung zurückzuführen sind, so ruft er dennoch dazu auf, dass Flüchtende an der Grenze nicht diskriminiert werden dürfen. Bei weiteren Vorfällen werde man intervenieren, damit alle gleich behandelt würden.
Der Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Karamba Diaby, warnt vor Diskriminierung und Rassismus: „Ich sehe es generell als meine Pflicht als Integrationsbeauftragter meiner Fraktion an, auf Minderheiten und marginalisierte Gruppen aufmerksam zu machen“, erklärte er auf Nachfrage des „vorwärts“. Ihn hätten verschiedene Berichte, unter anderem vom Bundesverband ausländischer Studierender, erreicht, die auf die prekäre Situation von „People of Color“ an den Grenzen hinwiesen. „Auf die habe ich aufmerksam gemacht“, so Diaby weiter. „Diese Ungleichbehandlung ist unerträgrlich“, twitterte er zu Beginn der Woche und appellierte an die Solidarität der Verantwortlichen.
Die Szenen stehen im Widerspruch zu dem, was völkerrechtlich für Kriegsflüchtlinge gilt und worauf die EU-Länder sich auch schon vor der Einigung am Donnerstag verständigt hatten. Die EU-Grenzen sind für Menschen, die aus der Ukraine flüchten, grundsätzlich offen. Flüchtende sollen unkompliziert aufgenommen und versorgt werden – dafür wollen direkt angrenzende Staaten wie Polen sorgen, sie können aber auch um Unterstützung von anderen EU-Staaten bitten.
SPD-Politiker*innen sind besorgt
Schutz gibt es auch für Menschen aus Drittstaaten, die über die Ukraine in die EU einreisen – beispielsweise weil sie in dem Land studierten oder arbeiteten und nun ebenfalls auf der Flucht sind. „Die Grenzen sind offen, auch für Drittstaatsangehörige die in der Ukraine leben“, betont die Staatssekretärin für Flucht und Migration in Deutschland, Reem Alabali-Radovan (SPD) – und bezieht sich dabei explizit auf eine Erklärung der EU-Kommissarin Ylva Johansson.
Auch weitere SPD-Politiker*innen zeigten sich in den vergangenen Tagen besorgt darüber, dass in Einzelfällen offenbar die Hautfarbe ein Kriterium dafür ist, ob Flüchtende an der EU-Außengrenze aufgenommen wurden oder nicht. Der Berliner Bundestagsabgeordnete Hakan Demir ist nach eigenen Angaben dazu auch weiterhin mit dem Bundesinnenministerium im Kontakt. „Ich habe von mehreren Organisationen, die an den ukrainischen Grenzen aktiv sind, von solchen Vorfällen gehört“, erklärte er auf Nachfrage des „vorwärts“. „Für uns ist klar: Es darf keine rassistische Diskriminierung an den EU-Außengrenzen geben.“ Die europäische Regelung für die Aufnahme von Menschen aus der Ukraine sei klar. Alle Personen können von dort in die EU einreisen, um in Sicherheit zu sein. (Wie in Deutschland den Geflüchteten geholfen wird, erklären wir hier.)
Kritik am Vorgehen der Bundespolizei
Allerdings sorgten auch Meldungen aus Deutschland am Donnerstag für Kritik: Die Bundespolizei soll Geflüchtete schwarzer Hautfarbe aus den Zügen gezogen haben. Darauf reagierte der SPD-Bundestagsabgeordnete Armand Zorn und stellte klar, dass es von staatlicher Seite keine Anweisung gebe, Geflüchtete aus den Zügen zu drängen. Es könne sein, beschwichtigt der Sozialdemokrat, dass Menschen ohne Ausweisdokumente registriert werden oder es stichprobenartige Kontrollen gebe. Darüber klärte er am Donnerstag bei Twitter auf.