Gescheiterte Staaten

Der rasche Absturz der Elfenbeinküste

Jérôme Cholet30. September 2011

Genau 40 Tage hatte der Oberste Verfassungsgerichtshof angesetzt zwischen der Festnahme des letzten Präsidenten Laurent Gbagbo und der Amtseinführung seines gewählten Nachfolgers Alassane
Ouattara - die traditionelle Trauerzeit in der Elfenbeinküste nach einem Todesfall. Für das Gericht war Gbagbo also endgültig gestorben, nach einer langen Zeit des Abschieds, die das
westafrikanische Land an den Rand des Bürgerkrieges brachte. Denn zwischen dem 28. November und dem 21. Mai hatte die Elfenbeinküste zwei Präsidenten. Beide hatten sich - von unterschiedlichen
Institutionen - vereidigen lassen und die Regierungsgeschäfte aufgenommen. Gbagbo am Ende aus einem Bunker, Ouattara aus einem Luxushotel.

Dabei hatte nur Herausforderer Alassane Ouattara die Mehrheit der Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen auf sich vereinen können. Doch der seit zehn Jahren amtierende Laurent Gbagbo
verweigerte, seinen Stuhl zu räumen und hielt Polizei, das Militär und eine eigene Milizengruppe fest in den Zügeln. Die einst als Hort der Stabilität gepriesene Elfenbeinküste wurde Schauplatz
blutiger Auseinandersetzungen, die Wirtschaft stürzte ab, die Bevölkerung floh.

"Das Hauptproblem des Landes ist der entlang von ethnischen Zugehörigkeiten ausgetragene Machtkampf," sagt Jens Hettmann von der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Elfenbeinküste, "der hat
seine Spuren hinterlassen und tiefes Misstrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen hervorgerufen."

Bürgerkrieg

Denn mehr als ein Drittel der ivorischen Bevölkerung sind Einwanderer oder Nachfahren von Einwanderern. Der Wohlstand des Landes, allen voran die Erlöse aus dem wichtigsten Exportprodukt
Kakao, sind extrem ungleich verteilt. Der Süden des Landes war traditionell die Hochburg Laurent Gbagbos, hier leben vor allem Christen, hier wird das Geld gemacht. Im Norden leben viele
Einwanderer aus den armen Nachbarstaaten, allen voran Burkina Faso und Mali, die Mehrheit der Menschen sind Muslime und Anhänger Ouattaras.

Bereits vor Jahrzehnten begannen fremdenfeindliche Übergriffe, mobilisierten die Spitzenpolitiker ihre Anhänger entlang ethnischer Zugehörigkeiten. Zwischen 2002 und 2004 kam es zu einem
Bürgerkrieg, seitdem war das Land in einen von Rebellen kontrollierten Norden und in einen von Laurent Gbagbo kontrollierten Süden geteilt. Französische UN-Soldaten sicherten eine Pufferzone, ein
Friedensvertrag sollte Ruhe bringen, in Wahlen nach demokratischen Spielregeln ein einender Präsident bestimmt werden.

Flucht und Gewalt

Doch dann explodierte die Lage. Gbagbo und seine Anhänger verweigerten sich der Niederlage. Sie zogen durch die Straßen der Metropolen und Dörfer des Landes, um die Anhänger Ouattaras
einzuschüchtern. Dabei mordeten, vergewaltigten und plünderten sie. Ouattara ließ schließlich - unterstützt von den Franzosen - seine Milizen aus dem Norden einmarschieren, nahm die Hauptstadt
ein und Gbagbo schließlich gefangen. Auch dabei soll es zu zahlreichen Racheakten gekommen sein.

Menschenrechtsorganisationen zählen mehr als 3.000 Opfer - auf beiden Seiten. Mehr als 165.000 Ivorer sind in das Nachbarland Liberia geflohen, gerade Anhänger Gbagbos fürchten sich vor der
Rückkehr. Die Infrastruktur wurde verwüstet, ganze Dörfer sind verwaist. "Neben den ethnischen Spannungen leidet das Land zudem unter einer Bildungsmisere, hoher Jugendarbeitslosigkeit und der
Diskriminierung von Frauen," sagt Jens Hettmann, "und die Medien tragen weiterhin zur Polarisierung des Landes bei."

Als Alassane Ouattara dann mit Unterstützung der einstigen Kolonialmacht Frankreich und der internationalen Gemeinschaft doch noch sein Amt antreten konnte, fand er ein kollabiertes Land
vor. Und noch immer ist die Elfenbeinküste jederzeit in Gefahr, wieder in Gewalt zu versinken. "Das Land ist gespalten. Immerhin hatte auch Gbagbo laut Wahlkommission 45 Prozent der Stimmen
erhalten. Die Bevölkerung im Süden nimmt die Truppen aus dem Norden weiterhin eher als Besatzer denn als Befreier wahr", sagt Jens Hettmann.

Zwischen den Stühlen

Ouattara muss dabei nicht nur die jüngste Krise überwinden, sondern auch die tiefen Ursachen der Probleme behandeln. Dabei steht er zwischen den Stühlen. Denn während seine Anhänger
fordern, den mittlerweile festgenommenen Gbagbo scharf zu verurteilen, fordern seine Gegner, dass er auch die Menschenrechtsverletzungen der eigenen Leute ahndet.

Eigentlich müsste er die Franzosen aus dem Land schicken, um sich als souveränen Staatschef zu behaupten, die eigene Regierung mit parteilosen Technokraten bestücken, einen und integrieren.
Doch das gestaltet sich in der verfahrenen Lage des Landes äußerst schwer. Den Rollenwechsel vom Sieger zum Präsidenten der gesamten Bevölkerung nehmen Ouattara nur wenige Ivorer ab. Vor wenigen
Wochen hat er daher die Vereinten Nationen angerufen, seine Wahrheits- und Versöhnungskommission zu unterstützen.

Als Präsident muss sich Ouattara nun an die Aufarbeitung der Verbrechen während der Krise machen, die von beiden Seiten begangen worden, und allen Ivorern Sicherheit bieten, die staatlichen
Institutionen stärken und die Bevölkerungsgruppen wieder miteinander versöhnen. "Das Land ist noch lange nicht so zerstört wie beispielsweise Somalia," sagt Jens Hettmann, "die Elfenbeinküste hat
nach wie vor ein großes ökonomisches Potenzial.

Aber es muss gelingen, demokratische Prinzipien umzusetzen und einen Rechtsstaat zu schaffen, in dem Toleranz und gegenseitige Akzeptanz keine Fremdwörter mehr sind." Die Elfenbeinküste ist
innerhalb kürzester Zeit am Status eines gescheiterten Staates vorbeigeschrammt. Ob es ihr auch in kürzester Zeit gelingen kann, wieder auf die Beine zu kommen, hängt nun vor allem an Ouattara
ab.

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www.fundforpeace.org

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