Die Entlassung von Nikolaj Statkewitsch aus seiner fast fünfjährigen Haft kam überraschend. Der Vorsitzende der Schwesterpartei der SPD in Belarus (Weißrussland) setzt sich für die Herstellung echter Meinungsfreiheit ein sowie für freie und gleiche Wahlen in Belarus. 2010 war er Präsidentschaftskandidat und wurde danach zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Zuletzt wurden seine Haftbedingungen immer wieder verschärft. Trotzdem scheiterten alle Versuche des Regimes, ihn zu einem Gnadengesuch an den Präsidenten zu bewegen.
Umso unerwarteter war seine Freilassung zusammen mit fünf weiteren politischen Gefangenen wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl. Präsident Alexander Lukaschenko begründete seinen Schritt mit humanitärer Politik. Tatsächlich dürfte dahinter politisches Kalkül in der desolaten wirtschaftlichen Situation seines Landes stehen. Was ist also nun von der Freilassung der politischen Gefangenen zu halten und von der Präsidentschaftswahl am kommenden Sonntag zu erwarten?
Lukaschenkos Machtposition ist ungefährdet
Belarus gilt als autoritär geführter Staat, in dem Meinungsfreiheit und Menschenrechte stark eingeschränkt sind. Auch nach der Freilassung der politischen Gefangenen prägen zahlreiche Repressionen den Alltag der politisch Andersdenkenden. Unabhängige Medien werden weiterhin unterdrückt. Gegen zwölf Journalisten sind laut der Menschenrechtsorganisation „Viasna“ in diesem Jahr willkürliche Strafverfahren eröffnet worden. Kundgebungen und Demonstrationen werden regelmäßig aufgelöst.
Türöffner für offizielle Gespräche mit der EU
Die Freilassung von Nikolaj Statkewitsch und der anderen politischen Gefangenen ist dennoch eine gute Nachricht. Sigmar Gabriel und die Außenpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion haben sich in Briefen und Appellen mehrfach für seine sofortige Freilassung eingesetzt. Sie war zentrale Voraussetzung für die Aussetzung der seit 2010 verhängten Sanktionen der Europäischen Union gegenüber Belarus und der Aufnahme offizieller Kontakte. Dieser Schritt ist deshalb aus vielen Gründen zu begrüßen.
Ob Lukaschenko allerdings tatsächlich, wie er selbst sagt, „aus humanitären Gründen“, handelt, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Ganz sicher ist Belarus auch an einer Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen zur EU interessiert. Das Land befindet sich in einer so tiefen Rezession, dass die sonst üblichen Lohnerhöhungen vor Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr ausblieben. Insofern kann also die Freilassung der politischen Gefangenen auch der Türöffner für Gespräche auf offizieller Ebene mit der Europäischen Union und bilateral sein. Neben dem damit verbundenen Prestigegewinn für die belarussische Regierung könnten damit auch Perspektiven auf eine wirtschaftliche Kooperation verbunden sein.
Klima des Dialogs schaffen
Europa steht nun ein schwieriger Balanceakt bevor. Einerseits sollte die EU nun auch konkrete Schritte folgen lassen, nachdem ihre zentrale Bedingung erfüllt wurde. Das ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit europäischer Außenpolitik, wie sie von vielen Belarussen wahrgenommen wird. Schließlich waren die Sanktionen gegenüber Minsk im Wesentlichen mit der Freilassung der politischen Häftlinge verbunden. Andererseits muss Europa auch glaubwürdig gegenüber seinen eigenen Grundwerten bleiben und gegenüber denjenigen, die sich unter schwierigsten Bedingungen für ebendiese Werte in Belarus einsetzen. Einen roten Teppich darf es also nicht geben, solange Menschenrechtsverletzungen weiterhin auf der Tagesordnung stehen. Aber ein Klima des Dialogs, wo man nicht nur konstruktiv diskutiert, sondern auch genau diese Menschenrechtslage ansprechen kann, sollte es schon geben.
Die demokratischen Kräfte gilt es zu unterstützen. Zivilgesellschaft und Opposition müssen sich oft mit dem Vorwurf auseinandersetzen, sie seien schwach und in sich zerstritten. Aber selbst wenn das so wäre, verdienten immer die, die sich für die europäischen Grundwerte von Freiheit und. Demokratie einsetzen, die Unterstützung der EU. Ein Dialog mit der belarussischen Regierung muss das immer mitberücksichtigen.
Interesse an konstruktiver Zusammenarbeit mit Belarus
Konkret sollten Belarus und die EU sich neu justieren. Belarus ist Mitglied der Östlichen Partnerschaft. Einer Vollmitgliedschaft im Europarat steht lediglich die Abschaffung der Todesstrafe im Weg. Die jüngst beschlossene Mitgliedschaft von Belarus im Europäischen Hochschulraum ist eine Chance für die Zusammenarbeit, denn sie ermöglicht einen intensiveren Austausch mit belarussischen Studierenden und Wissenschaftlern. Andere sinnvolle Bereiche der Zusammenarbeit sind der Jugendaustausch, Städtepartnerschaften oder Kulturprojekte. Nicht vergessen werden sollte die seit Jahrzehnten so wichtige Zusammenarbeit im Bereich der Tschernobyl-Hilfe und der Versöhnungsarbeit nach den Kriegen. Zwei Anlässe übrigens, die daran erinnern, dass Belarus einer der Hauptbetroffenen der europäischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts war und ist.
Auch auf Seiten der deutschen Wirtschaft gibt es ein Interesse an einer konstruktiven Zusammenarbeit, denn Belarus gilt seit Zeiten der Sowjetunion als gut qualifizierte Werkbank. Aber eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit kann es nur bei einer nachhaltigen Verbesserung der Menschenrechtslage geben. Bei seinem jüngsten Besuch in Minsk hat der Russlandbeauftragten der Bundesregierung Gernot Erler (SPD) betont, dass eine Annäherung an die EU nicht denkbar ist, sollte es nach den Präsidentschaftswahlen zu einer gewaltsamen Niederschlagung von Demonstrationen kommen. Das ist die richtige Botschaft.
Wer gewinnt, ist klar
Die belarussische Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch hat jüngst erklärt, dass sie nicht zur Präsidentschaftswahl gehen wolle, weil schon feststünde, wer gewinnt. Ganz sicher hat sie mit dieser Prognose Recht – aber wie die nächsten Tage rund um die Präsidentschaftswahl verlaufen werden, wird einen Fingerzeig für die weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen Belarus und der EU geben.