Volker Brauns Texte sind politisch. Das begann 1965 mit seinem Theaterstück „Die Kipper“ und setzt sich bis heute, bis zum soeben erschienenen Band „Die hellen Haufen“ fort. Am Freitag debattierte Braun in der Berliner Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) die darin angesprochene „Zukunftserinnerung“.
Brauns Name ist Ankündigung genug einen Saal bis zum letzten Platz zu füllen. Ebenso wie Christa Wolfs Name es war. Die geistige Nähe zu der gerade Verstorbenen ist an diesem Abend zu spüren. Der Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer spricht davon, dass Christa Wolf und Volker Braun sich schreibend verstünden. Die Autorin Daniela Dahn würdigt Wolf als „größte deutsche Autorin“. Realistisch könne man nur sein, wenn man sich einmische. Dieses Sich-Einmischen kennzeichne Wolfs wie Brauns Literatur.
Bedürfnis nach kritischem Denken
In der Unüberschaubarkeit von Bankenskandalen und -Rettungsaktionen, von gesellschaftlichen Schulden- und anderen Krisen wird der Ruf nach Orientierung laut. Die Berliner FES lud zu einer Buchvorstellung, Lesung und Podiumsdiskussion ein. Zum Erscheinen des Braunschen Buches „Die hellen Haufen“ wurde in illustrer Runde das Zeitgeschehen und Alternativen dazu thematisiert.
Wohlfahrt, der Literaturwissenschaftler, ordnete Brauns jüngstes Werk zu Beginn in die Gesamtheit des Braunschen Schaffens ein. Er betonte dessen revolutionären Impetus in DDR, zu Wendezeiten und heute. Er stellte Bezüge zum Hinze-Kunze-Roman, der „Karikatur des Sozialismus“ her und schlug den großen Bogen von der Zeit der Bauernkriege (den schwarzen Haufen eines Florian Geyer) zur Jetztzeit.
Er betonte, dass bei Braun die Utopie aus der Sichtung des Vergangenen und dessen, was in den Zeiten der Umbrüche möglich gewesen wäre, erwächst. An das, was hätte sein können, zu erinnern, stelle er sich als Aufgabe und werfe die Frage auf, was wäre, wenn Volkseigentum und Demokratie als Einheit zum Ansatz eines neuen Gemeinwesens geworden wäre.
Erzählte Zeitgeschichte und Erdachtes
Der Autor selbst betont das Authentische seiner Geschichte. Das wird der Ort Bischofferode zu Bitterod, die Politikerin Regine Hildebrandt zu Hilde Brandt und in der Figur des Mintzer klingt der historische Thomas Müntzer, der Priester und Revolutionär, an. Braun selbst versteht sich als „Landschafter“: „Was ist da von mir? Das ist ja aus der Landschaft. Die ist durch Jahrhunderte gestaltet“, gibt er zu denken.
Der geschichtsträchtige deutsche Raum inspiriert ihn, in die Zeit der Jahrhunderte zurückzugehen, um zu finden, was uns vorantreiben könnte und was uns hindert. Er untersucht auch – zum Gegenwärtigeren springend –, wie sich die Arbeiter in der DDR nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 befrieden ließen, welche Hoffnungen sie 1989 umtrieben. Braun erzhählt auch wie die Bergleute im Mansfeldischen nach 1990 gegen die Stilllegung ihrer Zeche kämpften. Das ist historisch verbürgt, bis hin zum beschriebenen Hungerstreik.
Der im Buch beschriebene Nach-Wende-Arbeiteraufstand hat in der Realität allerdings nicht stattgefunden. Gerade 20 Bergleute aus dem Mansfeld zogen Richtung Berlin, um gegen die Betriebsschließung zu protestieren. Aber es hätte ja sein können, dass die Idee des Bürgerrechtlers Wolfgang Ullmann von den Anteilsscheinen für das Volksvermögen realisiert worden wäre. Es hätte ja sein können, dass man das Eigene mehr zu schätzen gewusst und es verteidigt hätte.
Poesie politisch
Auf dem Podium in der FES wird konstatiert, es habe nach 1990 mit der Privatisierung des Volkseigentums und mit dem Prinzip Rückgabe vor Entschädigung die größte Enteignung seit dem Dreißigjährigen Krieg stattgefunden.
Volker Braun ist Lyriker, Dramatiker, Prosaist. Die Figuren seines jüngsten Buches näher kenenzulernen, Wortwitz und Dichte seines Erzählens zu genießen, bedarf sicher der individuellen Lektüre. In der FES stand die Frage nach politischen Visionen im Vordergrund, nach Perspektiven für die gesamte Bevölkerung. Es ging um Alternativen, darum sich nicht zufrieden geben mit dem „So ist es eben.“ Ideale Demokratie gäbe es nur im Gedicht, meint Schorlemmer und beanstandet, dass es in der Wirtschaft „gar keine Demokratie“ gebe. Die für Wortmeldungen des Publikums bereitgestellten Mikrofone wurden an diesem Abend leider nicht genutzt. Es wäre interessant gewesen, Reaktionen der Gäste zu erfahren.
Volker Braun: „Die hellen Haufen“, Suhrkamp Verlag, Berlin 2011, 98 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-518-42239-7