Digitale Gespräche zur Buchmesse

„Politik trifft Buch“: Von den Pocken in „Monschau“ zu Corona heute

Benedikt Dittrich02. Juni 2021
„Politik trifft Buch“ – die Gesprächsrunde zwischen SPD-Politiker*innen und Autor*innen beim „vorwärts“.
„Politik trifft Buch“ – die Gesprächsrunde zwischen SPD-Politiker*innen und Autor*innen beim „vorwärts“.
Eine Geschichte wie eine Blaupause für die Corona-Krise in „Monschau“, die Auseinandersetzung mit einem jüdischen Erbe und Pubertät in der Coronazeit: Die Literatur-Auswahl bei der Gesprächsreihe „Politik trifft Buch“ könnte aktueller nicht sein.

Es ist ein Thema, wie es „aktueller kaum geht“, wie „vorwärts“-Chefredakteurin Karin Nink zu Beginn schon sagt – denn es geht um den Ausbruch einer hochinfektiösen, gefährlichen Krankheit. Von der Pocken-Epidemie in „Monschau“ 1962 zur Corona-Pandemie in der Gegenwart ist es gedanklich nicht weit. Und so ist es auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der im Gespräch mit Autor Steffen Kopetzky einige Parallelen aufzeigen kann.

Kopetzky muss auch zugeben: „Monschau“ hätte es als Buch ohne die Corona-Pandemie vermutlich nicht gegeben. Doch auf den Pocken-Ausbruch von 1962 in dem Ort in Nordrhein-Westfalen war er schon bei Recherchen zu einem früheren Buch gestoßen. „Diese Information ruhte bei mir“, erklärt er im Gespräch, „die Pocken waren für mich aber etwas Harmloses“. Als dann 2020 aber die ersten Corona-Toten in Deutschland zu beklagen waren, erinnerte er sich daran zurück und er recherchierte die Epidemie in dem Ort an der belgischen Grenze.

Die Parallelen zur Corona-Pandemie sind offensichtlich: Die Pocken kamen ebenso aus dem Ausland nach Deutschland, die Krankheit griff zuerst in einer Firma um sich. „Und dann sind Fehler gemacht worden“, meint Kopetzky, „ohne diese Fehler gäbe es diese Geschichte wahrscheinlich gar nicht.“

„Monschau“: Parallelen zwischen Epidemie und Pandemie

Trotz der realpolitischen Bezüge war es für Lauterbach dennoch unterhaltsame Lektüre, auch als Ablenkung geeignet. „Ich hatte von dem Pocken-Ausbruch vorher noch nie gehört.“ Geradezu abenteuerlich seien die Parallelen zu den gegenwärtigen Erfahrungen, sagt der Sozialdemokrat. Moderatorin Katharina Gerlach will Lauterbach sogar in einem Protagonisten wiedererkannt haben: „Ich habe quasi ihre Stimme dabei gehört“, sagt sie im Gespräch. Soweit wollen aber weder der Lauterbach noch der Autor selbst gehen. „Ich habe der Geschichte nichts hinzugefügt, den Verlauf der Epidemie so geschildert, wie sie war“, so Kopetzky. Aber die Reflexe im Dialog zwischen Politik und Wissenschaft, die Warnungen, die Widerstände bei Gegenmaßnahmen. „Dieser Kampf des Wissenschaftlers mit der Unsichtbarkeit der Prognose“, so Kopetzky, „war etwas, was ich unbedingt thematisieren wollte“.

Bei den Warnungen vor dem Verlauf der Pandemie, vor der noch unsichtbaren Gefahr, erkennt Lauterbach sich dann doch ein wenig wieder. Die Warnung vor einer Katastrophe, die noch nicht gewiss ist, bei der man auch einräumen muss, dass noch nicht sicher ist, ob sie wirklich eintrifft – da fühlte er sich auch angesprochen, so Lauterbach. „Hoffnungen sind auch politisch immer besser vertretbar als Ängste, auch wenn sie noch so berechtigt sind“, so seine nüchterne, politische Analyse.

Jüdisches Erbe mit persönlichem Tiefgang

In einer nächsten Runde von „Politik trifft Buch“ sprachen Autorin Alena Schröder und SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan über eine komplizierte Erbschafts-Geschichte. Kompliziert deshalb, weil es in „Junge Frau am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ um eine Kunstsammlung einer jüdischen Familie geht, von der die Großmutter der Familie zunächst gar nichts wissen will. Ein „Erbschaftsroman“, wie ihn Schröder im Gespräch bezeichnete. Es ist mehr als die materielle Auseinandersetzung mit dem Erbe, wie sie außerdem betont, das Buch wirft Fragen zu Beziehungen zwischen Mutter und Tochter, vererbten Traumata, Beziehungen und möglichen Verletzungen auf. Eine fiktionale Geschichte, inspiriert von Schröders eigener Groß- und Urgroßmutter. „Zeitgeschichte“, wie Dietmar Nietan lobt, „reflektiert durch persönliche Biographien“. Es ist für den Sozialdemokraten auch eine wichtige Erinnerung daran, dass das historische Vermächtnis, die Frage der Schuld von verschiedenen Generationen, immer wieder unterschiedlich aufgegriffen wird – und den Diskurs auch bereichert.

„Der persönliche Bezug ist schon in meiner Generation schwierig“, überlegt Schröder dazu, „es ist definitiv eine andere Form der Auseinandersetzung. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass das Thema, die Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte, weg ist.“ Das beschäftige auch die jüngere Generation. Dem kann Nietan nur beipflichten. „Es gibt viele junge Menschen, die noch viel interessierter daran sind als vielleicht meine Generation. Aber es gibt auch das andere Extrem einer großen Oberflächlichkeit, einer Ablehnung. Eine Gesellschaft, die sich nicht mehr mit dem Großen und Ganzen der Geschichte beschäftigt.“ Die vier Generationen, die Schröder in ihrem Buch miteinander verwebt, sieht Nietan dabei als große Bereicherung zur Debatte: „Daran sieht man, wie wichtig es ist, dass jede Generation ihren Zugang zur Geschichte findet.“

„Der große Sommer“: Pubertät als Abenteuer

Allein der Buchtitel weckt bei Saskia Esken Hoffnungen: „Wir warten alle auf eine Zeit, in der alles wieder etwas lockerer wird.“ Und die SPD-Parteivorsitzende erkennt in „Der Große Sommer“ auch das Gefühl von verpasster Zeit, verpassten Gelegenheiten, das vor allem die junge Generation aktuell plagt. Eine große Herausforderung für die Gesellschaft, vermutet Esken deswegen im Gespräch mit Autor Ewald Arenz. Der will den Protagonisten aber nicht allein im Corona-Sommer verorten, betont er. „Mir ging es darum, den großen Sommer des Umbruchs, der Pubertät, zu beschreiben.“ Darin habe er auch viel Autobiographisches verarbeitet. Der Wandel der Wahrnehmung während der Pubertät, die Auseinandersetzung mit der Biographie der Eltern und Großeltern, all das spiele sich in „Der Große Sommer“ ab. Dabei darf die Erfahrung der ersten großen Liebe natürlich nicht fehlen.

Ebenso beginnt in der Zeit der Pubertät natürlich auch die Politisierung, die Suche nach Erklärung und Erkenntnis – eine besonders wichtige Zeit auch für die Politikerin Esken: „Das ist eine ganz großartige und auch gefährliche Zeit.“ Das spüre auch die Jugend jetzt, die in den vergangenen Monaten zahlreiche Erfahrungen nicht machen konnte. „Die Möglichkeit der Selbstbestimmung ist ein Stück weit verloren gegangen“, bedauert die Parteivorsitzende. Einschränkungen, die auch der Pädagoge Arenz sieht, gleichzeitig aber widerspricht: „Es gibt eine Reihe von Schüler*innen, die diese Zeit als ungewöhnliche Chance begriffen haben.“ Solidarität mit Klassenkamerad*innen in Quarantäne, neue Initiativen und Kreativität innerhalb der Klassen, „das war beglückend zu sehen“, so der Lehrer, der zuletzt zwei Klassen zum Abitur begleitet hat.

Auch deswegen schöpft Arenz Hoffnung für die Zukunft der jungen Generation – ebenso wie Esken, die weiterhin eine große Vielfalt an Berufen und Bildungsmöglichkeiten sieht, die sich der Jugend bietet. „Das kann aber auch  eine Überforderung sein.“

Programmhinweis: Am heutigen Mittwochabend im Finale von „Politik trifft Buch“: SPD-Parteichef Norbert Walter-Borjans spricht mit Autorin Patricia Holland Moritz über „Kaßbergen“ – live im Youtube-Kanal des „vorwärts“.

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