Eine größere Verhöhnung der Demokratie ist schwer vorstellbar: Ausgerechnet die polnische Regierungspartei PiS, deren Name „Recht und Gerechtigkeit“ lautet, beseitigt die Unabhängigkeit der Justiz. Mit der vom polnischen Parlament verabschiedeten Justizreform unterstellt sich die PiS alle Richter und Gerichte, bis hinauf zum Obersten Gericht. Damit schafft sie die Gewaltenteilung ab und läutet so das Ende der Demokratie in Polen ein.
Ausgerechnet Polen, das Mutterland der Demokratie in Europa
Und das in einem Land, das zurecht als eines der Mutterländer der Demokratie gilt: 1791 gab sich Polen die erste demokratische Verfassung Europas – wohlgemerkt noch vor dem revolutionären Frankreich. Ohne den mutigen Widerstand der Polen gegen die kommunistische Zwangsherrschaft in den 1980er Jahren wären der Fall des Eisernen Vorhangs und die Demokratisierung Osteuropas kaum möglich gewesen.
Umso bitterer für Europa und vor allem für die Polen selbst ist nun das, was sich gegenwärtig in Warschau abspielt. Mit der durch das Parlament gepeitschten Justizreform lässt die Regierungspartei PiS ihre pseudodemokratische Maske fallen und zeigt ihr wahres Gesicht. Sie ist weder konservativ noch (christ)demokratisch, sie ist dezidiert antidemokratisch und autoritär. Wer das jetzt immer noch nicht erkannt, dem ist nicht mehr zu helfen.
Kaczynski installiert das Modell Putin
Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski mit seinem autoritären Kurs ausgerechnet dem Mann folgt, den er selbst und viele Polen als größte Bedrohung seines Landes empfinden: dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Kaczynski, der die Opposition im Parlament als „Kanaillen“ und „Verräter“ beschimpfte, hat sich gegen das Modell der westlichen Demokratie und für das Modell Putin entschieden. Eine Tragödie, eine Schande.
Nun ist Widerstand die erste Bürgerpflicht, für alle Demokraten innerhalb und außerhalb Polens, auf allen Ebenen. Das gilt auf europäischer Ebene für die EU und ihre Mitgliedsländern. Sie müssen ihren mahnenden und besorgten Worten nun endlich Taten folgen lassen.
Brüssel muss Warschau den Geldhahn zudrehen
Dazu gehört sowohl ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Regierung in Warschau als auch – als schwerste Sanktion – eine Aussetzung der Stimmrechte Polens in der EU. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat einen wegweisenden Vorschlag gemacht: Künftig sollen in der EU Geldzahlungen an die Einhaltung demokratischer Normen gebunden werden. Diesen Weg muss Brüssel nun auch beschreiten. Die Regierung in Warschau muss dort getroffen werden, wo es ihr weh tut: im Portemonnaie.
Es ist gut und richtig, wenn nun zehntausende Polen in den großen Städten des Landes gegen die Abschaffung der Demokratie auf die Straße gehen. Doch das reicht nicht. Es müssen Hundertausende, Millionen sein. Und das nicht nur in den Großstädten sondern auch in der Provinz. Polen muss sich seiner langen und ruhmreichen Geschichte des nationalen Widerstands gegen Willkür und Unterdrückung besinnen und jetzt danach handeln.
Opposition braucht stärkere Mobilisierung
Ein solcher Widerstand würde seine Wirkung auf die Warschauer Machthaber sicher nicht verfehlen. Nur wenn der Opposition diese Mobilisierung gelingt, gilt, was die Demonstranten vor dem Warschauer Präsidenten-Palast gesungen haben: Die Nationalhymne mit ihren ersten Worten „Noch ist Polen nicht verloren“.