Ukraine-Krieg

Warum Polen gelassen auf den Stopp russischer Gaslieferungen reagiert

Ernst Hillebrand28. April 2022
Russland hat Polen in dieser Woche den Gashahn zugedreht.
Russland hat Polen in dieser Woche den Gashahn zugedreht.
Russland hat Polen in dieser Woche den Gashahn zugedreht. Warum die Regierung in Warschau gelassen auf diesen Erpressungsversuch reagiert, erklärt Ernst Hillebrand von der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Am Morgen des 27. April hat Russland Polen den Gashahn abgedreht. Polen weigert sich, wie alle anderen EU-Länder außer Ungarn, der Forderung Russlands nach einer Bezahlung der Gaslieferungen in Rubel nachzukommen. Die Entscheidung Moskaus wurde von Polen mit einer gewissen Gelassenheit registriert. Die Regierung erklärt, mit dieser „Gas-Erpressung“ durch Russland gerechnet zu haben und darauf vorbereitet zu sein.

Polen ist vorbereitet

Tatsächlich zeigt die Zahl des Füllstands der Gasreservoirs Polens, dass das Land sich auf eine Nutzung des Energiehebels durch Russland besser vorbereitet hat als der Rest der EU: Während die Gaslager der EU insgesamt – jahreszeitlich typisch – nur zu knapp 30 Prozent gefüllt sind, beträgt der Füllstand in Polen laut Premierminister Morawiecki 76 Prozent. Wie schon in der Frage einer möglichen Flüchtlingswelle aus der Ukraine – auf die sich Polen Wochen vor dem Kriegsbeginn ernsthaft vorzubereiten begann – hat Warschau anscheinend auch in puncto Energieversorgung die Warnungen vor einem russischen Angriff auf die Ukraine ernster genommen als viele andere Staaten Europas.

Tatsächlich verfolgt Polen schon seit langem eine Strategie der Diversifizierung seiner Energieversorgung und der Lösung vom Gas- und Öllieferanten Russland. Heute verfügt das Land laut Eigenangaben über verschiedene Möglichkeiten, die ausbleibenden Gaslieferungen aus Russland zu substituieren: über die Nutzung europäischer Pipeline-Systeme; über den unter der ersten PiS-Regierung von 2005 bis 2007 auf den Weg gebrachten Flüssiggas-Terminal in Swinemünde; über eine kleine nationale Gasförderung; und schließlich, ab Herbst, über die Ostsee-Pipeline Baltic Pipe, die Polen stabil mit norwegischem Erdgas versorgen soll. Die nun unterbrochenen Lieferungen über die Jamal-Pipeline wären ohnehin zum Jahresende 2022 ausgelaufen.

Bis Ende 2022 alle Energieimporte aus Russland beenden

Polen plädiert für eine harte Sanktionspolitik gegenüber Russland und fordert, hierbei auch den Energiesektor einzubeziehen. In diesem Sinne möchte das Land – das bei der Energieversorgung immer noch in einem sehr hohen Maße von der Verbrennung fossiler Brennstoffe abhängig ist – bis spätestens zum Jahresende 2022 alle einschlägigen Importe aus Russland beenden. Ein entsprechendes Gesetz wurde am 30. März in den Sejm eingebracht und wird demnächst in Kraft treten. Einfach ist dieser Schritt keineswegs: Gegenwärtig importiert Polen 15 Prozent seiner Kohle, 43 Prozent seines Erdgases und 73 Prozent des Rohöls plus beträchtliche Mengen an Diesel aus Russland.

Am schwierigsten dürfte die Substituierung bei der Kohle sein, wo der Import oder Transit von Steinkohle aus Russland oder dem Donbass zum schnellstmöglichen Zeitpunkt verboten werden soll. Die Lücke soll mit einer Steigerung der eigenen Produktion und mit Importen ausgeglichen werden. Eine Erhöhung der einheimischen Produktion kann allerdings nur in der Größenordnung von 1 bis 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr erfolgen – demgegenüber stehen 8,3 Millionen Tonnen, die Polen letztes Jahr aus Russland importiert hat.

Öl aus Saudi-Arabien

Im Öl-Sektor sollen die Importe aus Russland vor allem durch Einkauf in Saudi-Arabien ausgeglichen werden. Eine Politik der Ersetzung russischer Öl-Lieferungen wird seit längerem systematisch verfolgt. Der halbstaatliche Öl-Konzern Orlen hat nur noch kurzfristige Lieferverträge mit Russland, die im Januar 2023 und Dezember 2024 auslaufen werden. Als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine will die Regierung diese Verträge nun schon zum Jahresende 2022 suspendieren.

Mittelfristig dürfte auch in Polen alles darauf hinauslaufen, die Energiewende zu beschleunigen. Die Energiesouveränität soll durch den Ausbau erneuerbarer Energiequellen – Wasserkraft, Photovoltaik und Offshore-Windkraftanlagen – gestärkt werden, die bis 2040 fast die Hälfte der Stromerzeugung abdecken sollen. Allerdings werden auch die Kohlekraftwerke wohl länger laufen. Und langfristig soll Kernenergie die Kohle als Rückgrat der Energieproduktion ersetzen Der Bau eines Kernkraftwerks soll 2026 beginnen und bis 2032 dauern. Drei Anbieter aus den USA, Frankreich und Korea konkurrieren hier momentan um den Zuschlag für das erste polnische Kernkraftwerk, das an der pommerschen Ostseeküste errichtet werden soll.

Erschienen am 27. April im IPG-Journal.

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Kommentare

Unverständnis

Jetzt wird im vorwärts die klerikal-nationalistische PIS- Regierung Polens gelobt. Wie es Demokratie und Rechtsstaat dort steht konnten wir in früheren Zeiten lesen; hat sich da was geändert ?
Der geplante Ausbau der Atomergie und der Kohlenutzung scheint ja auch kein Problem zu sein im Angesicht des Klimawandels. Wichtig ist anscheinend nur: Gegen den Russen.

Lob?

Wo genau steht in dem Text ein Lob der polnischen Regierung?

Lob

Zumindest fand ich keine kritische Würdigung der gegenwärtigen polnischen Politik in diesem Artikel.

Warum Polen ... gelassen reagiert

Vielleicht, weil bald auch Deutschland "gelassen reagieren" wird müssen.
Saudi-arabisches Öl und Gas aus Katar sind natürlich viel "moralischer" als
russische fossile Energien. Fracking-Gas aus den USA ist natürlich
über Nacht absolut ökologisch, weil es ja russisches Gas verdrängen soll.
Wer es noch nicht kapiert hat: Es geht nur und nur um Profit und Interessen!
Es geht NICHT um Menschenrechte und Demokratie!
Es bleibt war: Der völlig inakzeptable russische Angriffskrieg gegen die Ukraine seit dem 24.02.2022 muss sofort beendet werden. Aber der
Westen (USA/Nato/EU/Deutschland) kann in der gesamten Entstehungsgeschichte dieses Konfliktes seine Hände nicht in Unschuld waschen. Das war schon bei Pontius Pilatus verlogen. Wer diese Verlogenheit nicht glaubt, sollte z.B. mal Zbigniew Brzezinski's (dem geopolitischen Chefberater von fünf US-Präsidenten einschließlich Barack Obama) Buch "Die einzige Weltmacht - Amerikas Strategie der Vorherrschaft" oder Obamas Rede von Ende Mai 2014 an der West-Point-Militärakademie lesen!

Polnische Regierungen waren/sind Störenfriede

Polnische Regierungen bekämpften zusammen mit ukrainischen und baltischen Regierungen den Bau von Nord Stream 1 und erst recht den von Nord Stream 2, weil letztere ausschliesslich Deutschland zugute gekommen wäre. Jetzt bekommt Polen immer noch russisches Erdgas, und zwar aus Deutschland, weil es von da aus zurückgeleitet wird und damit gleichzeitig den Transport von Erdgas nach Deutschland blockiert. Da kann die polnische Regierung gelassen sein, zumal Polen kein zu Deutschland vergleichbarer Industriestaat ist. Man sollte mal darauf gucken, wer aus dem Inland und aus dem Ausland Deutschland massiv schaden wollte und will. Denn die Verhinderung der Erdgaslieferung aus Russland über Nord Stream 2 schadet nur Deutschland.

Wohl wahr

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Wohl wahr

Daß Polen u.a. von Deutschland aus mit Gas russischer Herkunft beliefert wird war schon im Januar der Grund warum die Gasspeicher so leer waren. Das Narrativ sollte allerdings sein, daß "der Russe" vertragsbrüchig sei. Leider fand man in den verbreiteten Publikationen inclusive Öffentlich Rechtliche damals wie heute kaum einen Hinweiß auf diesen Sachverhalt. Also da scheinen die Journalisten nicht ausreichend zu recherchieren, ich möchte allerdings daß ich für meine GEZ Gebühren und das Geld das ich für Zeitungen ausgebe UMFASSEND informiert werden. Auch das gehört zur Presse-, Meinungs- und Informationsfreiheit !

Sie sind- ich sage dies nicht als

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Idealist oder Träumer

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Tja, so ist es wohl,

so mag es sein. Aber was folgt daraus? Polens staatliches Interesse, Deutschland zu schwächen? Es ist wohl so- und dies ist konsequent, quasi Staatsraison in Polen