Richter im Zwangsruhestand

„Was sich in Polen abspielt, ist ein Griff nach der Macht“

Fabian Schweyher06. Juli 2018
Polen Europa
Gegen das neue Justizgesetz wurde in Polen demonstriert. (Symbolbild)
In Polen wurden mehrere Richter des Obersten Gerichtshofs in den Zwangsruhestand geschickt. Kritiker befürchten, dass die Regierungspartei PiS damit den Weg ebnet für ihren nächsten Schlag gegen die Demokratie.

Am vergangenen Mittwochmorgen erschien Malgorzata Gersdorf um 8.15 Uhr zur Arbeit. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, schließlich ist sie Präsidenten des polnischen Obersten Gerichts. Oder besser: Sie war es. Um Mitternacht trat eine Gesetzesänderung in Kraft, mit der 27 von 73 Richter des Gerichts in den Zwangsruhestand versetzt wurden. Verantwortlich dafür ist die Regierungspartei PiS, die die frei gewordenen Stellen selbst neu vergeben will. Um Druck aufzubauen, hatte die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Es half nichts. Die Richter wurden in den Ruhestand geschickt. Aus Protest verweigerte die geschasste Gerichtspräsidentin Malgorzata Gersdorf ihre Entlassung und kam in einem symbolischen Akt trotzdem zur Arbeit.

Viele Vorwürfe

Das Gesetz sei eine „Zäsur“ und ein „klarer Verfassungsbruch“, sagt Piotr Buras, Leiter des Warschauer Büros der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR). „Dies öffnet den Weg für die politische Übernahme des Gerichtshofs, die letzte unabhängige Instanz in Polen.“ Er befürchte, dass damit auch der Weg frei werde für ein neues Wahlgesetz zur Europawahl, an dem die Regierung arbeite und das die PiS bevorzuge. „Es gibt keine unabhängige Instanz mehr, die dieses Gesetz beurteilen und rückgängig machen könnte“, sagt er bei einer Podiumsdiskussion der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde mit dem Titel „Der illiberale Staat in Ungarn und Polen“.

Die umstrittene Justizreform, Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit, Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit: Die Liste der Vorwürfe gegen Polen ist lang. „Das Gesetz ist kein Einzelfall“, sagt Buras. Es gehöre zu einer Reihe von Maßnahmen der Regierung. Dies sei auch ein europäisches Problem. Am Beispiel Polen entscheide sich, ob in der EU jede Regierung das politische System beliebig umbilden könne oder ob es Prinzipien gebe, an die sich alle Mitgliedsländer halten müssen, so Piotr Buras.

Dialog gefordert

Wie soll die EU reagieren? Im Dezember hatte die EU-Kommission zum ersten Mal ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge wegen möglicher Gefährdung von EU-Grundwerten gegen Polen eingeleitet. Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) dämpft jedoch die Erwartungen. „Es wird keine schöne Lösung geben“, sagt er. „Wir müssen realpolitisch sein und eher effektiven Minimalismus betreiben, anstatt Drohkulissen aufzubauen, die nichts bringen.“

Einen verstärkten Dialog mit Polen und Ungarn über die Grundwerte der Europäischen Union fordert Martin Kremer, Referatsleiter Mitteleuropa im Auswärtigen Amt. Es müsse  Verständigung über die gemeinsame Werteorientierung geben, auch wenn dies eine „Mamutaufgabe“ sei, so Kremer.

Sanktionsverfahren gefordert

Zweifel an einer solchen Wertedebatte hegt Piotr Buras vom ECFR. „Wir haben uns bereits über die Werte der EU verständigt.“ Polen habe sich mit seinem Beitritt zur Europäischen Union bewusst dazu bekannt. Für ihn ist deswegen klar: „Was sich in Polen abspielt, ist ein Griff nach der Macht.“ Dies geschehe „politisch sehr kalkuliert“.

Auf die unterschiedliche Reaktion der EU-Kommission bezüglich Polen im Vergleich zu Ungarn weißt Judith Sargentini hin. „In Ungarn sehen wir seit 2010 zwei Schritte vorwärts und einen Schritt zurück. In Polen gibt es keine Schritte zurück. Das macht es einfach zu bestimmen, dass die Kommission einschreiten muss“, sagt die niederländische Grünen-Europaabgeordnete. Als Berichterstatterin des EU-Parlaments hatte sie im April einen Bericht zu Ungarn vorgestellt, der Demokratie und Rechtsstaat in dem Land bedroht sieht. Sargentini forderte deswegen ein Sanktionsverfahren.

Auge zugedrückt

Gegen Polen gehe die EU-Kommission bei Verstößen vor. Im Fall Ungarns fühle sie sich allerdings nicht sicher genug. Es fehle am politischen Willen. „Ich denke, dass es mit christdemokratischen Kommissaren, christdemokratischen Regierungen und Christdemokraten im europäischen Parlament zu tun hat“, so Sargentini.

Dazu muss man wissen: Während die polnische PiS im Europarlament zur Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) gehört, ist die ungarische Regierungspartei Fidesz von Ministerpräsident Viktor Orbán Teil der Europäischen Volkspartei (EVP) – einem Verbund konservativer Parteien, zu dem auch CDU und CSU gehören. Piotr Buras von der Denkfabrik ECFR sagt: „Die EVP und viele andere europäische Parteien, die ein Auge zudrücken, wenn ihre eigenen Mitgliedsparteien die nationalen oder europäischen Rechte verletzen – das ist beschämend."

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Kommentare

Die Erosion der Rechtsstaatlichkeit...

...greift in vielen Ländern um sich. Es ist nicht nur eine Krise der konservativen Parteien in der EU und in den USA, auf dem nationalistischen Feld eigene wertbürgerliche Defizite wettzumachen. Der Über- und Durchgriff auf die Gewaltenteilung inkl. auf die Pressefreiheit durch die Einführung "alternativer Fakten" führt dazu, dass konservative Menschen sich in ihren Vorurteilen bestätigt und in ihrem Wertesystem verunsichert sehen. Es werden die gewählt, die das Versagen des Staatsgefüges propagieren und durch ihre Manipulationen vorantreiben. Aber auch die progressiven Parteien z. B. US Demokraten oder rumänische PSD geraten in den Strudel von Urkundenfälschung, Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Besitzstandswahrung. Nicht Trump führt die Einkasernierung von Migranten ein, sondern Obama. Trump kann mit der Ernennung von ultrakonservativen Bundesrichtern die USA auf eine Generation hin lähmen. Die US-Demokraten haben hierfür die parlamentarischen Klippen geebnet. Ioana Ene Dogioius Feststellung von einem "totalen Krieg gegen die Justiz", greift in der westlichen Welt um sich. Und Deutschland? Unser Rechtswesen bleibt still und stumm bei Richtern und Staatsanwälten unterfinanziert!

Die Richter(innen) am

Die Richter(innen) am Bundesverfassungsgericht werden doch auch von den politischen Parteien nominiert. Bestes Beispiel Susanne Baer, vorgeschlagen von der SPD und den Grünen. Sofern die Legislative über die Judikative bestimmt, ist die Demokratie in weiter Ferne.

[Fehlender] Streit

Leider setzt die PSD mit der Entlassung von Laura Kövesi unter Mithilfe eines regierungsfreundlichen Verfassungsgerichts Klaus Johannis unter Druck und beschädigt die Gewaltenteilung, von europäischer Seite unwidersprochen, weiter.

Susanne Baer ist eine hervorragende Rechtswissenschaftlerin mit einer unumstrittenen Reputation und Expertise. Sie ist völlig zu Recht vorgeschlagen worden. Der Vorwurf, dadurch, dass sie von der SPD und Den Grünen vorgeschlagen wurde, führe zu einem Einfluss der Legislative auf die Judikative ist so abwegig wie einfältig.

Es steht hier eher im Raum, dass wegen ihrem verpartnerten Personentands gegen sie gehetzt wird. Daraus resultiert der Verdacht der Hassrede aus gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Dies hat überhaupt nichts mit meiner Kritik zu tun.

Hier geht's doch darum, dass

Hier geht's doch darum, dass die Legislative über die Judikative - Besetzung der Posten - entscheidet. So kann Demokratie nicht funktionieren.