In diesen Breitengraden unüblich hohe Temperaturen lassen die Eiskappe, die noch unlängst fast das gesamte Nord-Polarmeer bedeckte, nahezu jedes Jahr dünner und kleiner werden. Doch was hat
das mit uns Deutschen zu tun, die wir akut um unsere Ersparnisse bangen und unser Aktienvermögen dahinschmelzen sehen?
Heute tut das Ganze vielleicht nur dem Eisbären weh, dem die tragenden Eisschollen unter den Tatzen wegtauen. Aber Übermorgen oder Über-Übermorgen könnte das Schmelzwasser aus
Grönlandgletschern und zerbröckelndem Polareis meterhoch gegen die deutschen Küsten branden.
Energie sparen statt Dämme bauen
Es würde für Deutschland wahrhaftig gigantisch teuer, müsste es seine lange Küstenlinie gegen einen Anstieg des Meeresspiegels von etwas weniger oder auch etwas mehr als einem Meter
schützen, wie ihn seriöse Forscher aufgrund beunruhigender neuer Erscheinungen für das 21. Jahrhundert voraussehen. Das würde wahrscheinlich sogar einiges mehr als die 480 Milliarden Euro kosten,
die unsere Regierung maximal für die Rettung unseres Finanzwesens ausgeben will.
Würden wir und unsere Krisen-Leidensgenossen diese Unsummen in den Klimaschutz stecken, blieben uns sicherlich einige Folgekosten der globalen Erwärmung erspart. Dem Schaden vorzubeugen
komme in diesem Fall sehr viel billiger als ihn zu heilen, hat der Ökonom Nicholas Stern in Auftrag der britischen Regierung der Welt eindrucksvoll vorgerechnet.
Neue Ausrede gegen die Klimavorsorge
Doch hält die Bankenkrise die Politik bis auf weiteres rundum in Atem, so dass sie für den Klimaschutz weder Zeit noch freie Mittel hat. Der jüngste EU-Gipfel wollte sich deshalb
nicht ernsthaft mit diesem Thema befassen, wohl aber wollten sich Polen und Italiener insbesondere schon vorsorglich von Einschränkungen im Ausstoß von Treibhausgasen großzügig befreit sehen. Die
bekannte alte Leier also: Irgendjemand soll den Globus vor der Überhitzung bewahren, wir marschieren dabei bestenfalls hinterdrein! - "Europa darf nicht zurückfallen," fordert
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel demgegenüber zu Recht. Vielmehr muss die EU ihren anspruchsvollen Klimaschutzplan unbedingt noch in diesem Jahr unter Dach und Fach bringen, um nicht den für
2009 angepeilten neuen Weltklimavertrag zu gefährden.
Gabriel ist auf dem richtigen Weg, wenn er vorschlägt, dem drohenden wirtschaftlichen Abschwung mit staatlich geförderten Ausgaben für den Klimaschutz entgegenzuwirken. Doch die einmal
genannten hundert Euro oder auch etwas mehr als Beihilfe für die Armen zum Kauf eines neuen Kühlgerätes, hören sich in diesen Tagen des Milliarden-Rausches doch etwas zu demütig-bescheiden an.
480 Milliarden Euro gibt es freilich vorerst nicht ein zweites Mal, für den Klimaschutz nicht und auch für keinen anderen Zweck. Doch würde man solche Beträge, über zehn Jahre verteilt, für die
CO2-arme Verbrennung von Kohle oder das energiesparende Wohnen ausgeben, würde Deutschland allen seinen Minderungsverpflichtungen gerecht und täte sogar einiges darüber hinaus.
Nicht Zwerge und Riesen verwechseln
Warten wir, bis die Bankenkrise und die vermutlich nachfolgende Rezession überwunden sind, würden unsere Kinder später den Kopf über uns schütteln. Habt ihr über den nur scheinbar
großen Zwerg Finanzkrise nicht bereits den Schatten des Riesen Klimakatastrophe fallen sehen? - Geld muss wieder fließen und Kredit sollte man bekommen, wenn man damit etwas zu unternehmen
versteht. Doch in einem überhitzten Treibhaus macht es keine rechte Freude zu arbeiten oder das Verdiente zu genießen. Wenn die schrumpfenden Gletscher des Himalaya die großen Ströme Ost- und
Südasiens nicht mehr speisen, wenn der Indien tränkende Monsun schwächer wird oder gar ausfällt, verlieren Milliarden Menschen ihre Lebensgrundlage. Und sie machen sich dann vielleicht auf den
Weg zu uns.
Alledem gilt es vorzubauen.
Der Klimaschutz ist d i e Aufgabe des neuen Jahrhunderts für die gesamte Menschheit, aber gerade deshalb darf man ihn nicht noch Jahrzehnte hinausschieben, schon gar nicht wegen
einer Banken- und auch nicht wegen einer Wirtschaftskrise, die immer wiederkehren können und wahrscheinlich werden. Raufen sich die führenden Wirtschaftsnationen zur Überwindung der Finanzkrise
zusammen, sollten sie sich unverzüglich mit derselben Einigkeit an die Stabilisierung des Weltklimas machen. Die Weltgemeinschaft kann jede noch so große Bank vor dem Umfallen bewahren, aber
keinen einzigen Gletscher daran hindern, ins Meer zu stürzen, wenn er einmal ins Gleiten gekommen ist.