Interview mit Sönke Fock

Pilotprojekt macht Flüchtlingen in Deutschland Hoffnung

Sarah Schönewolf30. Oktober 2014
Das Pilotprojekt „Early Intervention“ der Bundesagentur für Arbeit und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hat die schnelle Integration von Asylbewerbern in den Arbeitsmarkt zum Ziel. Das Programm ist Anfang des Jahres in sechs deutschen Städten gestartet. Welche Hürden es für die Integration gibt und warum sie trotz Enttäuschung gelingen kann, erklärt Sönke Fock, Leiter der Hamburger Arbeitsagentur.

Das Projekt „Early Intervention“, das die schnelle Integration von Asylbewerbern zum Ziel hat, ist Ende Januar gestartet. Wie läuft das Projekt bisher?

Es ist noch zu früh Genaueres zu sagen, weil wir gerade erst ganz viele Erfahrungen machen. Wir – und ich spreche bewusst von wir, weil ich auf der einen Seite uns als Agentur für Arbeit meine, aber auch diejenigen, die im Netzwerk mit uns zusammen an diesem Thema arbeiten – sind sehr ergebnissoffen an das Projekt herangegangen, weil wir nicht wussten, wer denn überhaupt kommt. Da waren wir schlicht und ergreifend gespannt.

Welche Menschen kommen hauptsächlich und nehmen mit Ihnen Kontakt auf?

Es sind hauptsächlich Menschen aus den Ländern, wo nach geltendem deutschen, aber auch EU-Recht, eine günstige Aufenthaltsprognose für Deutschland und damit auch für Hamburg gegeben ist. Das sind Menschen aus Ländern wie etwa Syrien, Eritrea oder Somalia. Was aber nicht heißt, dass in jedem Einzelfall sich diese positive Prognose auch bestätigt.

Wenn zum Beispiel ein Asylverfahren schon in einem anderen EU-Staat formal und de facto begonnen hat, in dem dort eine Kennung stattgefunden hat, also in Ungarn oder in Italien, dann sehen die Regelungen nach Dublin 2 vor, dass auch dort dieses  Verfahren zu Ende gebracht wird.  So kann es sein, dass Teilnehmer, die bereits bei uns in Hamburg angefangen haben Deutsch zu lernen nicht mehr im Projekt weitermachen können. Das hat ganz viel mit dem Thema des geltenden Aufenthaltsrechtes zu tun.

Ist es dann nicht sinnvoller erst die Bleibeperspektive zu sichern, bevor die Teilnehmer am Projekt teilnehmen?

Nein, wir wollen ja gerade mit dem Pilotprojekt eine gute und schnelle Beantwortung zweier Fragen erreichen: Unter welchen Bedingungen klärt sich mein Aufenthaltsrecht und unter welchen Bedingungen bekomme ich einen schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt. Wenn wir deren Beantwortung hintereinander schalten, würden wir noch mehr Zeit verlieren und haben die gleiche Situation wie vor dem Projekt.

Diese Verschränkung ist auch das, was die Menschen wollen. Sie wollen eine sichere Ersatzheimat finden und dann auch gleich in dieser Heimat gesellschaftlich integriert werden. Das gelingt am besten – und das ist Konsens – durch Arbeit oder Ausbildung.

Was sind die größten Hürden für die Integration durch den Arbeitsmarkt?

Der deutsche Arbeitsmarkt ist ja nicht durch die Bank gleich aufnahmefähig. Wir haben gewisse Engpassberufe, wo es leichter sein wird, Fuß zu fassen. Im Bereich der Gastronomie, in der IT und bei Gesundheits- und Pflegeberufen, um drei Beispiele zu nennen. Aber in anderen Bereichen, in denen die Nachfrage nicht so groß ist, wird es schwer sein, Zugang zu finden. Da mögen dann die rechtlichen Voraussetzungen gegeben und geklärt sein, aber tatsächlich ist dann diese Hürde da.

Ein zweites Hindernis sind die unterschiedlichen fachlichen Niveaus. Etwa in der Juristerei oder in der Umwelttechnologie, wo andere Standards gelten. Da muss dann das Know-how entsprechend angepasst werden. Und das dritte Hindernis ist immer die Sprache. Wenn aber das Sprachniveau nicht dem fachlichen Qualifikationsniveau entspricht, dann ist der Zugang auch nicht da.

Es sind bestimmte Kompetenzen, die in Ihrem Modellprojekt besonders gefördert werden. In dem Kurs, den ich besucht habe, waren zum Beispiel sehr viele Bauingenieure. Da wird schon sehr stark nach Nutzen und Leistung für den deutschen Arbeitsmarkt ausgewählt.

Jetzt sind wir wieder beim Ausgangsaspekt: Hoffnungen, Erwartungen und was sich realisieren lässt.

Es ist wichtig, einerseits sehr früh beide Bedingungen zu klären: nämlich wie sieht es mit dem Aufenthaltsrecht und wie mit dem Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt aus. Das beinhaltet natürlich auch, die Konditionen zu benennen und die Menschen nicht im Dunkeln darüber zu lassen, da der rechtliche Zugang zum Arbeitsmarkt nicht auch automatisch einen tatsächlichen Zugang meint. Der gelingt nur dann, wenn ich gut Bescheid weiß über den aufnehmenden Arbeitsmarkt: Wie sieht der eigentlich Bedarf aus, auf welchem Fachniveau, auf welchem Sprachniveau, wie sehen die Stellen aus? Da muss dann ehrlich eingeschätzt werde: Was bringe ich dazu mit? Welche Erwartungen kann ich erfüllen? Das kann dann auch zu Enttäuschungen führen, aber dadurch erhalten die Menschen auch realistische Perspektiven.

Aktuell hat das Projekt 22 Teilnehmer. Was wäre von Ihrer Seite stemmbar?

Vom Grundprinzip her wollen wir es für alle anbieten, die kommen und an diesem Projekt auch mitwirken wollen. Ich weiß, dass die Ressourcen zum jetzigen Zeitpunkt dafür nicht da sind. Weder personell noch von den Förderangeboten her. Ich verstehe dieses Projekt aber so, dass wir unsere Erfahrungen der Politik sofort rückmelden und dann sagen: Hier ist ein Engpass, hier klemmt es. Es kann nicht sein, dass sich das auf die 22 Menschen beschränkt.

Was haben Sie für einen Eindruck von der Wahrnehmung der Flüchtlinge in Deutschland? Im Vergleich zu 1990 etwa, da kamen auch sehr viele Menschen.

Es gibt eine ganze Reihe von Unterschieden aus meiner Sicht. Zum einen reden wir vor dem Hintergrund eines völlig veränderten Arbeitsmarktes über die Aufnahme von Männern und Frauen aus Drittstaaten. Wir hatten in den 90er Jahren bis 2005 eine stetig ansteigende Arbeitslosigkeit. Aus der anziehenden Konjunktur nach 2005 und der weiterhin guten Konjunkturnachfrage nach Dienstleistungen in Deutschland haben wir hier eine Sonderentwicklung durchgemacht, anders als in den EU-Nachbarstaaten.

Wenn wir eine Situation wie in Italien, Spanien oder Frankreich hätten, dann wäre der deutsche Stammtisch nicht offen gewesen für die Integration von Menschen aus Drittstaaten. Das ist heute ein bisschen anders, aber natürlich ist es auch nicht immer einfach, dieses Projekt zu vermitteln: Wenn man die Defizite in diesem Projekt betont, dann könnte man pauschal sagen, dass es viele Probleme gibt und das Ganze auch viel Zeit braucht. Und ja, Integration ist anstrengend. Aber da sage ich konsequent: Wir bekommen nicht Fachkräfte, wir bekommen nicht Lückenbüßer für Engpassberufe, wir bekommen Menschen, die ein dramatisches Schicksal in ihren Heimatländern erlebt haben. Kein Mensch verlässt ohne Not seine Heimat. Deswegen ist es hier so wichtig, auf die Person zugeschnittene Angebote zu machen. Wir nehmen keinen Flüchtling für einen Engpassberuf, weil usn die Deutschen oder EU-Bürger dafür fehlen. Für uns gibt es keine Menschen dritter Wahl.

Und die Menschen, die hier her kommen, sind unheimlich engagiert, sie freuen sich auf Deutschland und sie sind auch dankbar für das, was wir ihnen bieten. Aber natürlich sind sie auch enttäuscht, wenn sie erleben, dass die Hürden manchmal größer sind, als sie angenommen haben. Aber an dieser Schicksalsbewältigung zu arbeiten und die Menschen willkommen zu heißen, daran arbeiten wir.