
Als Philippa Sigl-Glöckner in der zehnten Klasse war, hatte eine Lehrerin zwei Tipps für sie. Sie solle später nichts machen, bei dem sie Englisch braucht und nicht mit Menschen arbeiten. Kurz darauf zog Sigl-Glöckner nach England, wo sie ihren Schulabschluss machte und ein Studium begann: Philosophie, Politik und Volkswirtschaft in Oxford. Später kam noch Informatik in London dazu. Zwischendurch arbeitete sie für die Weltbank in Washington und beriet den Finanzminister von Liberia.
Alle zwei Jahre ein Umzug
„Ich habe ein richtiges Globetrotter-Leben geführt“, erinnert sich die 32-Jährige. „Seit ich 16 war, bin ich mindestens alle zwei Jahre umgezogen.“ Die Erfahrungen im Ausland veränderten auch ihren Blick auf die deutsche Gesellschaft. „Bei uns ist jede und jeder etwas wert, egal was er macht oder woher er kommt. Das ist in den USA anders.“ Und noch etwas merkte Philippa Sigl-Glöckner im Ausland: „Es ist wichtig, einen Ort zu haben, an dem man die Menschen kennt, an dem man zu Hause ist.“
2018 kehrte sie nach Deutschland zurück. Zuvor war sie in London in die SPD eingetreten. „Ich habe mich mit dem Parteieintritt nicht leicht getan“, gibt sie zu. Vor allem mit der damaligen Finanzpolitik der SPD habe sie gehadert. Eine Alternative zu den Sozialdemokraten habe es aber auch nicht geben.
Schwieriger Einstieg in Deutschland
Ihre ersten Schritte in der SPD machte Philippa Sigl-Glöckner in Halle an der Saale. Im Bundestagswahlkampf unterstützte sie den SPD-Abgeordneten Karamba Diaby. Parallel dazu schrieb sie ihre Master-Arbeit über die Visualisierung von Finanzsystemen. „Vormittags saß ich in der Bibliothek, nachmittags stand ich am Info-Stand“, erinnert sich Sigl-Glöckner. Auch das Plakatieren habe sie hier gelernt. „Besonders hat mich beeindruckt, dass sich die Mitglieder in Halle nicht von den Rechten haben einschüchtern lassen.“ Der Osten Deutschlands sei für sie als Münchnerin bis dahin weitgehend unbekanntes Gebiet gewesen. „Ich kannte Großbritannien besser als viele Regionen Deutschlands“, sagt Sigl-Glöckner rückblickend.
Aus dem Ausland habe sie eine wichtige Erkenntnis mitgebracht: „Ernst wird es, wenn es ums Geld geht.“ Nach Deutschland zurückgekehrt sei sie deshalb vor allem aus einem Grund: „Ich wollte hier Finanzpolitik machen.“ Also bewarb sie sich nach der Bundestagswahl im Bundesfinanzministerium – und wurde abgelehnt. „Sie konnten dort mit meinem ausländischen Studienabschluss nichts anfangen.“ Doch Sigl-Glöckner blieb beharrlich, man einigte sich auf ein Praktikum mit der Aussicht auf eine Anstellung im Anschluss. Wenig später wurde sie Referentin und leitete das Büro eines Staatssekretärs. „Ich habe damals gemerkt, dass wir es in Deutschland Menschen, die aus dem Ausland zurückkehren, leichter machen sollten“, unterstreicht Sigl-Glöckner.
Neue Ideen aus dem Think Tank
Über das Finanzministerium fand sie auch Gleichgesinnte in der SPD, denen das Thema Finanzpolitik ebenso unter den Nägeln brannte wie ihr. Im April 2020 gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern des Wirtschaftspolitischen Beirats der SPD. Seit dem vergangenen Jahr leitet sie ihn gemeinsam mit dem früheren wissenschaftlichen Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung Gustav Horn. Es gibt viele Ökonominnen und Ökonomen, die sich gerne bei der SPD einbringen wollen“, hat Philippa-Sigl Glöckner beobachtet. „die sollten wir gezielt ansprechen und ihnen Angebote machen, wie sie sich engagieren können“, findet sie.
Insgesamt sieht sie die SPD in der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf einem guten Weg. „Die SPD hat sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und ist deutlich selbstbewusster geworden, das Politik die Wirtschaft gestalten kann“, sagt sie. Als Beispiele stehen für sie die inzwischen offen geführte Diskussion in der Partei über die „schwarze Null“ und die Schuldenbremse. „In ihrer aktuellen Ausgestaltung ist die Schuldenbremse nicht hilfreich. Sie verhindert, dass wir dauerhaften Wohlstand schaffen“, ist Philippa Sigl-Glöckner überzeugt.
Wie Alternativen aussehen könnten, daran arbeitet sie im „Dezernat Zukunft“, einem überparteilichen Thinktank, der nach eigenem Selbstbild „eine neue Finanzpolitik für Würde, Wohlstand und Demokratie“ entwickeln will. Sigl-Glöckner hat ihn 2018 gegründet, ist Direktorin und Geschäftsführerin. „Die Gesellschaft funktioniert nicht, wenn sich Vermögen immer weiter konzentriert“, ist sie sich sicher und plädiert deshalb für eine Reform der Erbschaftssteuer.
Ein Steuerkonzept für die SPD
Wohin es führt, wenn die einen deutlich mehr haben als die anderen, beobachtet die 32-Jährige in München, wo sie 1990 geboren wurde. Hier ist sie auch in der SPD aktiv, ist Mitgliederbeauftragte ihres Ortsvereins. „München ist eine so reiche Stadt, aber immer mehr Menschen können sich hier die Mieten nicht leisten. Das ist ein Riesenproblem.“ Neu kennengelernt hat sie ihre Heimatstadt 2020. Da bewarb sie sich um die Bundestagskandidatur im Münchner Norden gegen den damaligen Abgeordneten. „Ich wollte ein Angebot machen“, sagt Sigl-Glöckner. Es sei ein Versuch gewesen, theoretische Konzepte in praktische Politik zu übersetzen. Dass ihre Kandidatur scheiterte, hat sie mittlerweile weggesteckt. „Natürlich wäre ich jetzt gerne im Bundestag dabei, aber ich habe während der Kandidatur viel gelernt“, sagt sie.
Anfang des Jahres wurde Philippa Sigl-Glöckner vom Parteivorstand in die neu eingesetzte Kommission Steuern und Finanzen berufen. Unter Leitung der Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil soll sie bis zum Parteitag im Dezember ein steuer- und finanzpolitisches Konzept erarbeiten. Die Erbschaftssteuer dürfte dabei eine Rolle spielen.
„Wir alle gehen davon aus, dass wir die Wirtschaft gestalten können. Wenn man sich aber das Grundgerüst der Finanzpolitik anschaut, dann steht da fest eingemeißelt, dass wir das Wirtschaftssystem nicht verändern können“, kritisierte Philippa Sigl-Glöckner im November. Beim Debattenkonvent der SPD in Berlin saß sie zwischen Generalsekretär Kevin Kühnert und dem Vorsitzenden der IGBCE Michael Vassiliadis. „Wie ändern wir die Spielregeln: Gemeinsam anders wirtschaften“ lautete die Überschrift. „Wenn wir wirklich etwas ändern wollen, müssen wir das Fundament an die Bedingungen anpassen, die wir zurzeit haben“, forderte Sigl-Glöckner. „Nur so können wir die Transformation deutlich schneller voranbringen.“