Rezension: „Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent“

Philipp Ther analysiert Europas neoliberale Ordnung

Jörg Hafkemeyer14. Oktober 2014
Dem Zusammenbruch des Ostblocks folgte der Umbau der Ökonomie in Osteuropa. Die Folgen sind bis heute spürbar. Der Historiker Philipp Ther hat sie in „Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europa“ analysiert.

Es war Zeit für diese Arbeit von Philipp Ther. Er ist Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien und hat ein Buch geschrieben, das nicht nur dringend nötig war, es ist, um es gleich vorweg anzumerken, spannend, faktenreich, hoch interessant und gut geschrieben. Mit solchen Sätzen könnte man eigentlich eine Buchrezension bereits abschließen. Diese nicht.

Neoliberale Transformation

Das hat seine Gründe. „Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent – Eine Geschichte des neoliberalen Europas“ ist bei Suhrkamp erschienenen und umfasst 430 Seiten. Geschrieben von einem Fachmann über den Zusammenbruch des Ostblocks, die Hoffnungen in Warschau, in Berlin, in Prag, in Tallinn und in Sofia, über den Umbau der osteuropäischen Ökonomie, über westliche Experten und die neoliberale Transformation.

Philipp Ther ist nicht nur Forscher und Lehrer, er ist Augenzeuge dieses Prozesses gewesen bis hin zu den Kiewer Maidan-Protesten vor knapp einem Jahr. Das merkt der Leser. Das Buch ist authentisch nach dem Motto „Revolution – Neoliberalismus – Krise“. Ther ist kein Ideologe. Er untersucht, er schildert, er erklärt. Fragt nach der Realität. Was wurde versprochen? Was wurde eingelöst? Schließlich und das ist vor allem interessant, vergleicht er die sehr, sehr unterschiedlichen Ergebnisse dieser neoliberalen Politik am Bespiel Bulgariens und Polens, Ungarns wie der Ukraine und Ostdeutschlands.

Radikale Deindustrialisierung mit Folgen

Ostdeutschland: Nirgendwo wurde so rasch und so brutal deindustrialisiert wie dort. Mit massenhafter Arbeitslosigkeit, wie Ther schildert. Ab der Mitte der 1990er Jahre verbessert sich die Lage sichtbar, jedoch mit einer gravierenden Auswirkung: Die Städte prosperieren, die Landgebiete verarmen, verelenden. Mit negativen, strukturellen Auswirkungen bis in die heutige Zeit hinein, wie man vor allem in Ländern wie Bulgarien und in der Ukraine sehen kann.

„Das Land [die Ukraine, Anm.] konnte sich nie von der Wirtschaftskrise des Jahres 2009 erholen. Die Gründe waren der Preisverfall für Stahl, mangelnde Investitionen in die Industrie und die Landwirtschaft sowie die Korruption,“ schreibt Ther in diesem Zusammenhang.

Die aktuelle Lage verstehen

Philipp Ther war in der Ukraine. Er hat nicht nur in Archiven gewühlt und er beschreibt, wie zehntausende Menschen aus Wut, Empörung und Zorn auf den Maidan strömten: „Sie hatten genug von Korruption, Vetternwirtschaft und der allgemeinen Verarmung. Janukowitsch hoffte wahrscheinlich, die Massendemonstrationen würden angesichts der kalten Jahreszeit nach einigen Wochen abflauen.“ Das gerade geschah nicht. Fast wie eine politische Reportage ist dieses Kapitel „Der Konflikt um die Ukraine“ vom Autor geschrieben. Bis Janukowitsch am 22. Februar dieses Jahres vom Parlament für abgesetzt erklärt wurde.

Soweit zum aktuellen europäischen Konflikt. Jeder, der sich mit ihm, aber auch mit Zentral- wie Osteuropa befasst, sollte sich dieses Buch zur Pflichtlektüre machen. Gleich, ob es um Deutschland geht oder um Tschechien, Lettland oder Italien. Dem Autor geht es immer um Ursachen und Folgen, wenn er sich Europa mit wachen Augen anschaut, konzentriert hinschaut und präzise wiedergibt, was er erfahren, herausbekommen hat. Ganz spannend ist vor allem sein Vergleich von Warschau und Berlin. Ohne zuviel zu verraten: So richtig vorteilhaft geht dieser Vergleich für Berlin nicht aus.

Philipp Ther: „Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europa“ Suhrkamp Verlag, Berlin 2014, 432 Seiten, 26,95 Euro, ISBN 978-3-518-42461-2