Was braucht der Mensch, um kreativ zu sein, um zu bemerken, was in ihm steckt? Er benötigt die Gelegenheit und die Chance sich zu entfalten. Und er braucht Kontakten sowie Fürsprecher, die ihn
ermutigen, in den kreativen Prozess einzutreten. Das ist für manche leicht zu haben, weil ihnen all das schon geboten wird: von der Familie, der Schule und Freunden. Für Tizian, Timo, Benjamin,
Jean, Mathias und Alehandro - die Jugendlichen aus Solingen, deren Kunstwerke nun im Bundestag zu sehen sind - war der Weg zur Kunst kein selbstverständlicher. Denn sie haben keinen
Schulabschluss, keine Lehrstelle, keinen Job, gehören zu den sozial Benachteiligten.
Dass es für sie trotzdem eine Chance gab, verdanken sie der Jugendhilfe-Werkstatt Solingen. Dort konnten sie sich in der Metall- und Glaskunst versuchen. Und sie schufen wahre Kunstwerke:
das gläserne Gefieder eines prächtigen Pfaus aus Stahl, einen 1,50 m hohen geschmiedeten Froschbaum oder einen kunstvoll gearbeiteten Rosenleuchter mit zehn Rosenblüten z.B.
Dank und Anerkennung
Andrea Nahles, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, betonte in ihrer Eröffnungsrede, dass geschickte
Hände und eine rege Phantasie wirklich sehr Schönes geschaffen hätten. Sie wäre schon in einigen Einrichtungen dieser Art gewesen, jedoch sei die Jugendhilfe-Werkstatt Solingen einzigartig.
Andrea Nahles ließ sich bei einem Rundgang zu den Exponaten gemeinsam mit Jürgen Kucharczyk die Techniken und Ideen erklären. Sie kaufte prompt eine "Heuschrecke als Dirigent" für ihr Büro - was
angesichts der angestoßenen "Heuschreckendebatte" von Franz Müntefering nicht nur auf ihrem Gesicht zu Schmunzeln führte.
Jürgen Kucharczyk dankte den jungen Künstlern für ihre Arbeiten und wünschte ihnen alles Gute. "Bleibt dran an der Kunst! Ihr zeigt der Politik auf eindrucksvolle Weise, dass es gut und
richtig ist, Jugendliche auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu fördern."
Dem schloss sich Heinz Siering, Leiter der Jugendhilfe-Werkstatt Solingen, an. Förderung von jungen Menschen ist nicht umsonst zu haben, aber ohne solche Begleitung wüchsen Probleme, die
der Gesellschaft unweigerlich teurer zu stehen kommen würden. Er rief die anwesenden Bundestagsabgeordneten dazu auf, in ihrer Arbeit für junge Menschen nicht nachzulassen.
Aufregung und Lohn
Die sechs Künstler aus Solingen waren nach diesem anstrengenden Tag erschöpft, aber glücklich. "Ich muss die Reise nach Berlin und die mir gezeigte Anerkennung erstmal verdauen, aber die
ganze Aufregung hat sich voll gelohnt", sagt Benjamin Schmidt. Die verhaltene Freude ist verständlich: Lob und Zuspruch haben die jungen Männer häufig erst in der Jugendhilfe-Werkstatt erfahren.
Auch das Presseecho war enorm. Teams von ARD, ZDF und WDR filmten die rundum gelungene Eröffnung. Noch bis zum 25. September können Besucherinnen und Besucher die insgesamt 41 Objekte im
Reichstag bestaunen und erwerben. Gleich am ersten Abend wurde ein Dutzend verkauft. Das lässt nur das Beste für die zukünftige Arbeit der Jugendhilfe-Werkstatt erwarten.
Alle Menschen haben die Anlagen, schöpferisch zu arbeiten, die meisten merken es nur nicht - das stellte der amerikanische Schriftsteller Truman Capote fest. Manche müssen bewusst auf den
Weg zur Kunst gebracht werden, das beweist die Jugendhilfewerkstatt Solingen. Und noch mehr: Die jungen Leute präsentieren nicht nur Geschicklichkeit und Phantasie sondern auch politisches
Engagement. So erschufen das Solinger Mahnmal für die bei einem Brandanschlag ums Leben gekommenen Mitglieder der türkische Familie Genç und eines für die von den Nazis aus der Stadt
verschleppten Sinti.