
Nach mehr als zweistündiger Debatte stand eine übergroße Mehrheit, wie Anke Rehlinger aus der Antragskommission feststellte. Neben einzelnen Gegenstimmen wurde der Leitantrag des amtierenden Parteivorstands angenommen, der sich mit der Regierungsbilanz der großen Koalition beschäftigt.
Diese hält Reiner Hoffmann, der Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, für vorzeigbar. „Aus der Perspektive von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern kann sich eure Bilanz sehen lassen”, sagte er in einem Grußwort. Der Sinkflug bei der gesetzlichen Rente sei gestoppt worden, die SPD habe auch die Parität in der Krankenversicherung durchgesetzt. Hoffmann ergänzt: „Gewerkschafter sind nie ganz zufrieden. Natürlich fordern wir immer noch einen Schnaps obendrauf.“
Esken: GroKo „keine Herzensangelegenheit”
Die frisch gewählten Parteivorsitzenden hatten schon zu Beginn der Debatte klar gemacht: Der Ausstieg aus der großen Koalition sei kein Selbstzweck. Der Leitantrag sei ein Angebot, gemeinsam „einen Weg zu suchen, wie wir mit dieser Koalition umgehen”, sagte Saskia Esken zu Beginn. „Wir wissen, dass die für euch alle keine Herzensangelegenheit ist.” Man wolle aber für eine gerechtere Zukunft sorgen und werde nun sehen, ob das innerhalb der Koalition möglich sei.
Genau das auszuloten ist der Auftrag, den der Parteitag dem neuen Vorstand erteilt hat. Die Delegierten sprachen sich für Nachverhandlungen mit der Union aus, um weitere sozialdemokratische Projekte umzusetzen. Es geht unter anderum um einen engagierteren Klimaschutz, einen Mindestlohn von 12 Euro sowie umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur und die Digitalisierung.
Ausführliche Debatte
Zuvor wurde hitzig debattiert. Genossinnen und Genossen aus der Bundestagsfraktion, Juso-Mitglieder, Minister und viele weitere Sozialdemokraten traten ans Rednerpult, lieferten Argumente und Gegenargumente für den Leitantrag des Parteivorstands.
Darunter auch zahlreiche Schwergewichte wie Kevin Kühnert, der als stellvertretender Parteivorsitzender kandidiert. Vor zwei Jahren hatte er gegen die neue große Koalition gekämpft. Daran erinnerte er auch auf dem Bundesparteitag: „Ich habe damals über verlorenes Vertrauen gesprochen.“ Seiner Ansicht nach geht es auch jetzt um Vertrauen, nun aber in das neue Spitzenpersonal. „Diese beiden sind eine Antwort auf diesen Vertrauensverlust“, erklärte er. Deswegen unterstütze er jetzt den Leitantrag. „Diese beiden Personen werden diese Nachverhandlungen führen“, betonte Kühnert mit Blick auf die frisch gebackenen Parteivorsitzenden. Die beiden seien auch mit dem Auftrag gewählt worden, dass es kein „weiter so“ gebe, diesen Auftrag hätten die beiden auch verstanden. Dafür bräuchten sie aber schließlich Vertrauen. „Ich bin überzeugt, dass sie es nicht missbrauchen werden.“
Heil: SPD will längerfristige Perspektive ohne Union
Eine seiner Vorgängerinnen, die ehemalige Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel, sprach sich wiederum gegen den Leitantrag aus. Aus ihrer Sicht reichen Nachverhandlungen für einen Neuanfang nicht aus. „Wo ist der Aufbruch, wo ist die Vermögensteuer?“, fragte sie in den Saal, bejubelt von einigen Genossinnen und Genossen. Der personelle Neuanfang solle stattdessen auch mit einem inhaltlichen Neuanfang verbunden werden. Das Klimapaket sei aber deutlich zu wenig und ihr fehlten deutlichere Aussagen zur Bekämpfung der sozialen Ungleichheit.
Die SPD-Minister Franziska Giffey und Hubertus Heil betonten hingegen, was in der Koalition alles erreicht worden sei. „Wir haben hart verhandelt für die Grundrente. Wir waren mutig“, betonte der Bundesarbeitsminister. Die Einigung müsse aber nun auch durchgesetzt werden. Er wolle außerdem den Tarifvertrag in der Pflege gerne für allgemeinverbindlich erklären im kommenden Jahr. Die Wahl von Esken und Walter-Borjans sei ein Signal, dass die SPD eine längerfristige Perspektive für Regierungsverantwortung ohne die CDU/CSU haben wolle. „Den Rest machen wir dann im Wahlkampf. Dann müssen wir die Schwarzen plattmachen!“
Beinfreiheit für neues Spitzenduo
Giffey erinnerte an das Gute-Kita-Gesetz, das Starke-Familien-Gesetz und die Brückenteilzeit. All das wäre ohne die SPD in der Regierung nicht möglich gewesen. „Mir ist wichtig, dass wir von diesem Parteitag das Signal senden, dass die SPD für eine stabile und verlässliche Regierung steht“, sagte die Familienministerin.
Zwei Änderungsanträge mit dem Ziel, die große Koalition zu verlassen, wurden schließlich mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Die SPD-Vertreter im Koalitionsausschuss sollen nun mit CDU und CSU Gespräche über neue politische Vorhaben führen. Auf der Grundlage dieser Gespräche soll der Parteivorstand bewerten, „ob die drängenden Aufgaben in dieser Koalition zu bewältigen sind”. Der scheidende SPD-Vize Ralf Stegner kommentierte: Der Antrag gebe dem Vorsitzenden-Duo „die nötige Beinfreiheit” für die Gespräche mit der Union.