Thomas Leif: "angepasst

Parteien in der Nachwuchsfalle

Stefan Grönebaum16. Juli 2009

Interviews mit Jungpolitikern aller Parteien geben Farbe und Anschaulichkeit, Gespräche mit Insidern von Michael Spreng ("Ein Parteiensystem, in dem interessante Figuren nicht hochkommen") bis
Matthias Machnig ("Es gibt keine Gegenbewegung gegen Mitgliederverlust...er wird statistisch dokumentiert") liefern Kontraste. Leif stellt die schwächelnden, aber immer noch wichtigen
Jugendorganisationen anhand ihrer Spitzenabsolventen vor und schildert die Führungsakademien der Parteien mit Vor- und Nachteilen (Professionalisierung, Stromlinienform, Konfliktferne,
Wirtschaftsnähe etc.).

Im dritten Teil schildert Leif anhand gescheiterter Parteireformen die Reformunwilligkeit der Parteieliten, die mehr Beteiligung der Bürger ebenso als Bedrohung ansehen wie eigenständigen
Parteinachwuchs. Mit müden Aktivisten, sinkender Wahlbeteiligung und apathischen Bürgern können die Hierarchen allemal leben, haben sie sich doch mit ihren Netzwerken (wie "Xantener Kreis" der
Union) bequeme Posten gesichert.

Da läuft selbst beste Expertise ins Leere wie das Gutachten zum Verhältnis der SPD zur Linken vom Frühjahr 2008, das offenbar so geheim war, dass es nicht einmal der Vorsitzende gelesen hat
(S. 238-250). Durch Leifs Buch zieht sich leitmotivisch, dass die regierungs- und wirtschaftsdominierte Politik wieder streiten lernen muss, weil sonst nur noch das große Geld die Richtung angibt
(s. S. 442: "Politiker arbeiten unter dem Primat der Wirtschaft im Schatten einer mächtigen Exekutive und unkontrollierten Ministerialbürokratie").

Strategien gegen das Austrocknen der Parteien

Nachdem Leif die neoliberalen Netzwerke analysiert hat, bleibt die Frage nach dem Positiven. Es sind (meist grüne) Politiker wie Tarek al Wazir und Insider wie Hermann Strahl von der
Böll-Stiftung, die auf den Einzelnen, Nachwuchs und offenen Diskurs setzen. Leif beschreibt Projekte der Parteien und der Bürger (von Vorwahlen über Bürgerbegehren und -haushalte bis zu
E-Partizipation), die helfen können, unterschätzt aber die Kräfte der Beharrung. Unvermittelt folgen Porträts der künftigen Toppolitiker, von Böhning bis Missfelder, von Bahr bis Giegold.
Zuletzt beerdigt er die Hoffnung auf die Seiteneinsteiger, die in der Regel den Fallstricken von Medien und Metier zum Opfer fallen (von Kirchhoff bis Stollmann - vielleicht sind diese Beispiele
auch kein Schaden).

Leif endet mit 17 Thesen zur Wiederherstellung des Primats der Politik, die das Buch resümieren und etwas unverhofft eine Jugendquote fordern. Der Rezensent bleibt irritiert: Wenn die
Parteien wirklich alles ausgetrocknet haben, was nach Eigenwille und Idee riecht, wenn v.a. Karrieristen reüssieren und die Eliten sich in der Wagenburg eingerichtet haben, wie sollen wenige gute
Nachwuchsleute etwas bewegen? Bleibt also die Frage: "Wer soll das alles ändern?", die Globalisierungskritiker Harald Schumann neulich so beantwortete: "Hört auf, Opportunisten und Langweiler in
den Bundestag zu schicken." Wie man die erkennt und was man gegen sie tun kann, dazu hat Thomas Leif - bei allen Redundanzen - ein spannendes, erhellendes, positives Buch geschrieben.





Thomas Leif: "angepasst & ausgebrannt. Die Parteien in der Nachwuchsfalle", C. Bertelsmann Verlag, München 2009, 496 Seiten, 22,95 Euro.


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