Suche nach Regierungsoptionen

Eine Partei sucht ihren Kurs

Robert Kiesel19. Dezember 2017
SPD erneuern
Es gibt viele Diskussionen, aber auch den Willen, die SPD-Fahne hochzuhalten.
In der SPD ist die Diskussion über den eigenen Kurs in vollem Gange. Der „vorwärts“ war an der Basis.

Der Spalt im Mark der SPD, er geht quer durch einen Holztisch: Auf dessen linker Seite sitzt Manfred Ewald, Sozialdemokrat seit 1965. „Geht die SPD noch einmal in die große Koalition, trete ich aus“, sagt Ewald vor den Mitstreitern seines Ortsvereins und lässt keinen Zweifel daran, dass er es ernst meint. Zu sehr habe sich die SPD in der doppelten GroKo unter Angela Merkel verbogen, als dass sie eine Neuauflage überleben würde, ist sich Ewald sicher. Ihm gegenüber, auf der anderen Seite des Tisches, sitzt Martin Seidel. Drei Tage nach der Bundestagswahl ist er in die SPD eingetreten, weil er sie für unverzichtbar hält – gerade jetzt. „Wenn Du jetzt gehst, schadest Du nur uns vor Ort, niemanden sonst“, fleht Seidel Ewald an. Er erntet Schulterzucken.

SPD: Wie weiter und mit wem?

SPD Ueckermünde
In Ueckermünde stellte sich Heiko Miraß (Hintergrund links) der Diskussion mit den SPD-Mitgliedern.

Die Szene, aufgezeichnet beim Jahresabschlusstreffen des SPD-Ortsvereins in Ueckermünde im Osten Vorpommerns, scheint typisch. Die Frage, wie nach der Bundestagswahl und dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen vorzugehen sei, spaltet die Partei.

Eindeutige Antworten auf die Frage ‚Wie weiter und mit wem?‘ gibt es kaum. Heiko Miraß, gescheiterter Bundestagskandidat der SPD in Mecklenburg-Vorpommern und an diesem Abend Gast in Ueckermünde, räumt ein: „Ich bin mir persönlich auch nicht sicher.“ Die SPD müsse abwägen zwischen der sachlichen Ebene sozialdemokratischer Inhalte und Ziele, die verhandel- und durchsetzbar seien und einer strategischen Ebene der langfristigen Perspektive, die die Partei als erneuter Juniorpartner der Union habe. Die Szene am Holztisch zeige die Situation der Partei „wie unter einem Brennglas“, findet Miraß und hält es auch deshalb für einen guten Weg, der Basis das Wort zu geben. Martin Seidel, der Mann von der rechten Seite des Tisches, pflichtet ihm bei: „Die Kreis- und Ortsverbände müssen mehr unterstützt und gefragt werden“, auch um verloren gegangenes Vertrauen innerhalb der Partei zurückzugewinnen.

Der Frust ist groß

Eine Forderung, die auch im oberfränkischen Hirschaid, 600 Kilometer südlich von Ueckermünde, viele unterschreiben dürften. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Andreas Schwarz hat zum „Roten Forum“ geladen, um die Stimmung an der Basis aufzunehmen. An klaren Worten mangelt es nicht. Von einem „Schlag ins Genick der Sozialdemokratie“, der die SPD „erschüttert bis ins Rückenmark“ spricht Schwarz mit Blick auf den Wahlabend und trifft damit die Gefühlslage der rund 70 Genossen, die sich in dampfender Wirtshausatmosphäre zusammengefunden haben. Der Frust ist groß: Nach 2009 und 2013 zum dritten Mal vor dem Dilemma zu stehen, „staatspolitische Verantwortung“ und die Verantwortung für die Zukunft der Partei gegeneinander abwägen zu müssen. „Egal was wir tun, es wird nicht gut“, meint Schwarz und warnt vor der Gefahr, die „Partei in sich zu zerreißen“.

Rotes Forum Hirschaid
Beim „Roten Forum“ diskutierte der SPD-Bundestagsabgeordnete Andreas Schwarz (Mitte) mit Basismitgliedern darüber, wie die SPD ihre aktuelle Krise überwinden kann.

Tatsächlich zeigt auch der Abend in Hirschaid: Die Sorge vor dem Niedergang der SPD ist da, so oder so. „Neuwahlen bringen uns in die Bedeutungslosigkeit“, sagt einer. „Es kann nicht unsere Pflicht sein, uns aufzuopfern, bis es uns nicht mehr gibt“, ein anderer. Mit der dritten Groko in Folge, verschiedenen Modellen von Minderheitsregierungen und Neuwahlen finden alle denkbaren Optionen Unterstützer. Zuversicht spendet einzig und allein die Gewissheit, dass ohne die SPD keine Regierung zu machen ist.

Die Niederlage als Chance begreifen

Immerhin: Ans Aufgeben denkt niemand. Für seine Forderung „Harte Bandagen anlegen und kämpfen!“ erhält ein älterer Genosse ebenso viel Zustimmung wie die 27-jährige Bettina Drummer, die daran appelliert, den in der Vergangenheit so oft bewiesenen Kampfgeist nicht einfach abzulegen. „Wir müssen für unsere Werte kämpfen und das Maximale rausholen“, sagt sie und kritisiert, dass sich die SPD aktuell zu klein mache. Derart an der Ehre gepackt ergreift auch Drummers Sitznachbarin das Wort und ergänzt: „Die aktuelle Situation kann auch eine historische Chance für die SPD sein, sozialdemokratische Grundforderungen zu formulieren. Jetzt hören wenigstens mal alle hin.“

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Kommentare

SPD vor der Zerreißprobe

Ja, die Partei steht vor einer großen Zerreißprobe. Auch in Göppingen waren auf Einladung der Bundestagsabgeordneten Heike Baehrens zahlreiche Mitglieder zu einem Gespräch über das weitere Vorgehen zusammengekommen, wobei sich die Mehrheit nach einer intensiven Diskussion und den Hinweisen über die negativen Folgen der letzten Koalitionen mit CDU/CSU und deren mangelnde Verlässlichkeit für eine Minderheitsregierung ausgesprochen hatte.

Diese Veranstaltung fand noch vor dem rechtswidrigen Votum von Monsanto-Glypho-Schmidt für die Zulassung des gesundheitsschädlichen Glyphosat statt, womit deutlich wird, dass die SPD im Fall eines erneuten Bündnisses mit diesen Parteien möglicherweise ihre Forderungen zwar vorbringen könnte, diese aber keineswegs umgesetzt würden, womit die Partei vollends ihr Gesicht verlieren würde.

Die Folge wäre, bei den Wahlen und Mitgliedern weiterhin enorme Verluste hinnehmen zu müssen. Dies kann doch niemals in unserem Interesse sein!

Die Befürworter einer erneuten Koalition mit der Union befinden sich überwiegend in den Reihen der Union, weil sie sich ihrer Übermacht und Durchsetzung ihrer neoliberalen Ziele sicher fühlen.

Die SPD darf die Wähler nicht überfordern

Was auch immer die SPD in der Phase der erneuten Regierungsbildung entscheidet, es sollte für das alltägliche Leben der Menschen relevant sein und insbesondere im Sinne von Entlastung. Es darf nicht sein, dass die SPD für die handwerklichen Schwächen bei der Ausformulierung von Gesetzen allein die Verantwortung trägt. Hier muss sich die Partei stärker und eindeutiger positionieren. Was will die SPD ganz konkret? Mindestlohn von 12€.. Förderung des gemeinnützigen und genossenschaftlichen Wohnungsbau, insbesondere in den Metropolen, Schaffung von x neuen Wohnungen. Es darf nicht nebulös sein, was die Partei will, auch wenn es vielleicht zielführend erscheint sich nicht festzulegen. Der Wähler ist überfordert mit Thesen zur Gerechtigkeit, wenn wir nicht sagen, wie wir das realisieren.

Kampf ums Überleben ?

„Wir müssen für unsere Werte kämpfen und das Maximale rausholen“
- rufen die Genossen - und merken nicht, dass es vollkommen egal ist, ob sie erneut großkoalierend ein Maximum herausholen oder lieber opponierend um irgendwelche Werte kämpfen.

Der "Kampf uns Überleben" wird in jedem Fall zu weiterem Verlust an Wahlvolk führen weil die SPD offensichtlich nicht in der Lage ist, wählerwirksame Werte zu formulieren.
Mit Schröders Agenda-Politik hin zur "neuen Mitte" hat sie sich von der Unterschicht gelöst und wurde in der Folge für Hartz IV-Bedrohte oder Betroffene unwählbar. Da die SPD am (grundgesetzlich fragwürdigen) Sanktionsregime in der Arbeitsmarktpolitik weiterhin festhält, wird sich auch in der Opposition daran nichts ändern.
Sie würde aber die "neue-Mitte"Wähler, die die SPD gewählt haben um in Regierungsverantwortung ihre (Besitzstands-) Interessen zu vertreten, verärgern und an "bessere" Interessenvertreter verlieren.

Drückt sie andererseits dem noch geneigten Wähler in der neuen "GroKo" Themen wie Flüchtlingsnachzug, Bürgerversicherung oder zB. Vereinigte Staaten von Europa aufs Auge, wird sie an die "Alternativen" diese Besitzstandswahrer ebenfalls verlieren.

die SPD bzw

Schulz haben es verpasst, sich die MEREKEL MUSS WEG Stimmung zunutze zu machen, der zuerst die 100%, dann der Mitgliederzuwachs folgten, die dann aber krachend zusammenfiel, nachdem Schulz deutlich werden ließ, dass Merkel eigentlich alles so gemacht hatte, wie er es auch gemacht haben oder machen würde.
Machen Sie sich nichts vor. Die SPD gewinnt (wie die CDU auch) die Kanzlerschaft nicht aufgrund des Parteiprogramms, sondern aufgrund des von den Wählern herbeigesehnten Wechsels in der Kanzlerschaft. Merkel stürzt wegen des Zuwanderungschaos und der Defizite bei der inneren Sicherheit, sobald hier eine glaubwürdige (Scholz wohl nicht, vielleicht Dreyer, die ist noch unbelastet) Alternative die begründete Hoffnung erweckt, die in den genannten Problemfeldern herrschenden Mängel beheben zu können. Macht Merkel selbst die Kehrtwende, bleibt sie im Amt- oder übergibt parteiintern. Euer Programm interessiert den Wähler nicht, allenfalls im Sinne einer groben Tendenz. Lösungskompetenz müsst ihr da entwickeln, wo die wesentlichen Probleme liegen- innere Sicherheit wollen die Leute, gerade die, die sich eigenen Schutz nicht kaufen können, sondern auf den Staat angewiesen sind.

Euer Programm interessiert den Wähler nicht

Sie haben absolut recht Herr glücklicher Hans

Willi Brandt hat mal gesagt:
"Wenn eine Diskussion um die ernstesten Dinge für das Schicksal des Landes eröffnet wird, so muß man sofort und ohne zu zögern auf den Kern der Sache zugehen“

Weil der Willi aber nun schon lange tot ist, hat´s die SPD-Führung nicht mehr so mit den Kernen in der Sache. Auch wenn ihr Gutmeinende die brennend wichtigen Kerne (soziale-und innereSicherheit) aus der Nase popeln, will das Führungspersonal darüber hinwegsehen und lieber weiter an irgendwelchen Stellschrauben herumdrehen.
Verbesserungen im Einzelfall werden mit aller Kraft in den Wind gehängt und auf diese Weise zur Krönung der sozialen Gerechtigkeit verklärt.
Geflissentlich übersehen wird dabei, daß es mit der Beibehaltung der repressiven Hartz-Reform keine soziale Sicherheit geben kann, die innere Sicherheit durch eine grenzenlose Flüchtlingspolitik nicht gewährleistet ist
Sicherheit bedingt Grenzen, Nichtbeachtung führt zum freien Fall ins Loch und nicht in die glückselige Freiheit
Weigert sich die SPD weiterhin diese einfache Wahrheit zur Kenntnis zu nehmen, wird sie selbst in diesem Loch verschwinden
"Und das wär dann auch gut so"

Euer Programm interessiert den Wähler nicht

Sehr gut, Michael Mantel. So hat Willy Brandt nach der Wahl 1969 gleich die Initiative ergriffen und mit der (damals noch liberalen) FDP Gespräche geführt, um eine Koalition zu bilden, obwohl Schmidt und Wehner die damalige GroKo fortsetzen wollten.

Auch die weiteren Aussagen, die sich mit meiner Meinung decken, sind sehr gut formuliert, finden bloß leider bei unseren Parteioberen kein Gehör, wie ich auch heute nochmals in einer Mail erfahren habe.

Ich vermute, dass es, wie bereits im 1. Weltkrieg, zu einer Spaltung kommt.

Sondierungsgespräche

„Was erlauben Dobrindt“
Es ist unfassbar, dass Martin Schulz zu Beginn der Sondierungsgespräche alle Gäste freundlich empfängt. Herr Dobrindt darf nicht dazu gehören. Wieso weisen wir einen der dümmsten Politiker der Republik nicht einfach die Tür? Einer, der meint, er könne uns Ratschläge erteilen in Fragen staatsbürgerlicher Verantwortung (Stichwort: „Trotzecke“) für den aber – wie für die ganze CSU – offensichtlich nur die Angst vor einem schlechten Wahlergebnis in Bayern zählt und deshalb skrupellos rechtspopulistische Parolen übernimmt. Warum fehlt uns/unseren Verhandlungsführern der Mut einmal deutlich auszusprechen wie die Lage ist: Die CSU wird gar nicht für eine Regierung gebraucht und ich möchte nicht mit ihnen zusammen arbeiten! Mehrheiten lassen sich auch ohne CSU organisieren, sogar stabile – und vor allem inhaltlich bessere für unser Land!
Überhaupt muss sich die SPD mal fragen lassen, warum sie/wir damit einverstanden sind, dass unser/e Vertreter mit doppelter Besetzung beim „Gegenüber“ zu tun haben? Wieso lassen wir uns immer noch gefallen, dass CDU und CSU es sich jeweils aussuchen können, wann sie eine Partei sind und wann nicht.