SPD-Vorsitz

Im Osten viel Neues: So lief die #unsereSPD-Tour in Erfurt

Kai Doering11. September 2019
Siebte Station Erfurt: In der Thüringer Landeshauptstadt stellten sich die Kandidierenden für den SPD-Vorsitz den Fragen des Publikums.
Siebte Station Erfurt: In der Thüringer Landeshauptstadt stellten sich die Kandidierenden für den SPD-Vorsitz den Fragen des Publikums.
Am Mittwochabend hat die #unsereSPD-Tour in Erfurt Station gemacht. Die Thüringer SPD nutzte das, um die heiße Phase des Landtagswahlkampfs zu eröffnen. Das hatte auch Einfluss auf die Aussagen der Kandidierenden für den SPD-Vorsitz.

„Zuhören und machen“ steht groß an der Wand im Parksaal des Erfurter Steigerwaldstadions in Erfurt. Es ist ein Wahlkampfslogan der Thüringer SPD, doch er passt auch gut zur #unsereSPD-Tour, die am Mittwochabend in Erfurt Station macht. Es ist die siebte von insgesamt 23 Veranstaltungen, bei denen sich die Kandidierenden für den SPD-Vorsitz der Parteibasis vorstellen – und es ist eine besondere.

Thüringer SPD eröffnet heiße Wahlkampfphase

Nicht nur, dass eine der Kandidatinnen an diesem Tag ihren Geburtstag feiert – Nina Scheer wird 48 Jahre alt – es ist auch, nach Bernburg an der Saale am Samstag, die zweite Veranstaltung in Ostdeutschland und dann noch in Thüringen, wo am 27. Oktober ein neuer Landtag gewählt wird. Als erster spricht an diesem Abend deshalb Wolfgang Tiefensee, der Spitzenkandidat. „Wir wollen gestalten in einer rot-rot-grünen Koalition“, gibt er die Richtung vor und eröffnet damit die heiße Phase des Landtagswahlkampfs.

Dann sind die 14 Kandidierenden für den SPD-Vorsitz dran. In vorher ausgeloster Reihenfolge haben sie jeweils fünf Minuten Zeit, sich selbst und ihre Ziele vorzustellen. Auch hier spielen Thüringen und Ostdeutschland eine wichtige Rolle.

Parité-Gesetz, Grundrente, Lohngleichheit

Klara Geywitz etwa lobt, dass Thüringen „das zweite Bundesland mit einem Parité-Gesetz“ ist. Dieses soll sicherstellen, dass der Landtag jeweils zur Hälfte aus Frauen und aus Männer zusammengesetzt ist. Gleichzeitig kritisiert Geywitz, „dass in Ostdeutschland immer noch weniger Lohn als im Westen“ gezahlt werde. Ihr Co-Kandidat Olaf Scholz betont, wie wichtig es sei, dass „die SPD die Partei ist, die dafür sorgt, dass alle mit Respekt behandelt werden“.

Ihnen folgt das Team aus Nina Scheer und Karl Lauterbach. „Wir brauchen eine Grundrente, von der man leben kann und Lohngleichheit zwischen Ost und West“, fordert Lauterbach. Umweltpolitikerin Scheer hingegen betont: „Die schnelle Energiewende muss der Markenkern der SPD sein.“ Beides, da sind sich Scheer und Lauterbach einig, sei nur ohne die CDU zu erreichen. „Die SPD muss die große Koalition unverzüglich verlassen“, fordert Lauterbach.

Rot-Rot-Grün und Geschlechtergerechtigkeit

„Wir wollen raus aus der großen Koalition“, sagt auch Hilde Mattheis. Ihr Wunschbündnis lautet Rot-Rot-Grün, die Koalition also, die in etwas anderen Kräfteverhältnissen zurzeit in Thüringen regiert. „Der Osten Deutschlands war über Jahre hinweg ein Experimentierraum für neoliberale Unternehmer“, kritisiert Mattheis Partner Dierk Hirschel. Aufgabe der SPD müsse es daher sein, „die Spaltung des Arbeitsmarkts zwischen Ost und West“ zu überwinden.

Karl-Heinz Brunner, der einzige Einzelbewerber im Feld, betont dagegen die Aufgabe der SPD als „europäische Friedenspartei“. Brunner will Sicherheit in all ihren Facetten zum Markenkern der Sozialdemokraten machen – von der Polizei, über die Rente bis hin zu bezahlbarem Wohnen.

„Wir wollen die SPD zu einer mutigen und progressiven Kraft machen“, sagt Christina Kampmann als sie und Partner Michael Roth an der Reihe sind. „Die SPD muss die Partei der Geschlechtergerechtigkeit werden“, fordert Roth. Die Partei werde nur dann stärker, „wenn sie zur politischen Heimat der Frauen wird“.

Verteilungsgerechtigkeit und kommunale Investitionen

Soziale Sicherheit und Verteilungsgerechtigkeit stehen dagegen für Gesine Schwan und Ralf Stegner im Vordergrund. „Wir müssen wieder Vertrauen für die SPD gewinnen“, fordert Schwan und betont: „Wir beide sind verlässliche Sozialdemokraten.“ Um zu neuer Stärke zu finden, müsse sich die SPD „geistig erneuern“.

„Wir stehen für ein Jahrzehnt kommunaler Investitionen“, betont Saskia Esken als sie sich und ihren Co-Kandidaten Norbert Walter-Borjans vorstellt. Die Verteilungsfrage sei die entscheidende Zukunftsfrage ist Esken überzeugt. „Die große Koalition hat deshalb keine Zukunft.“ Walter-Borjans nimmt sich die Interessen von Lobbyisten vor und fordert: „Wir dürfen nicht zulassen, dass wir uns die Klimapolitik von den Autounternehmen diktieren lassen.“

Weiter geht es in Nürnberg

Petra Köpping schließlich, die in Erfurt erstmal ohne Co-Kandidat Boris Pistorius auftritt, der zur selben Zeit an einer Landtagssitzung in Niedersachsen teilnehmen muss, betont die kommunale Herkunft der beiden Politiker. „Wir wollen Politik anders denken – von der Kommunalpolitik aus“, sagt sie. Und: „Wir wollen Macher und Brückenbauer sein“ – zwischen Ost und West, aber auch zwischen Bundes-, Landes- und eben Kommunalpolitik.

In der anschließenden Fragerunde, in der jedes Team jeweils eine Minute Zeit für eine Antwort hat, können die Kandidierenden dann noch weitere Akzente setzen. Hilde Mattheis etwa betont: „Wir wollen Hartz IV abschaffen.“ Olaf Scholz fordert einen Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde, Michael Roth „echte Solidarität in der Krankenversicherung“ und Nina Scheer ein Belohnungssystem für den, der sich „gemeinwohlfördernd verhält“.

Nach exakt zweieinhalb Stunden – eine gute Stunde davon unter Einbeziehung des Publikums – ist in Erfurt Schluss. Weiter geht es am Donnerstag in Nürnberg.

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Kommentare

Gelungene Veranstaltung in Erfurt !

Es war gestern eine gelungene Veranstaltung in Erfurt, die gearde durch den lang anhaltenden Beifall am Ende belegte, dass dies Format zur Neuausrichtung der SPD und zur Findung der dazu passenden Vorsitzenden genau das Richtige ist ! Viel zu lange wurde die überfällige Richtungsdiskussion von der alten Parteiführung negiert und zu Harmonie aufgerufen, wo doch ein neuer Grundkonsens erst nach mutiger Diskussion über die künftige Parteiausrichtung möglich ist !
Klar wurde gestern unter dem Strich,dass es wieder eine unabhängigere Politik nah bei den Menschen und fern von reinen Profitinteressen geben muss, Abkehr von Lobbyismus und dem ungezügelten Neoliberalismus muß Grundbedingung für künftige Regierungsbeteiligung der SPD sein, die nie mehr ihre eigentlichen Werte verraten darf ! Ein paar Fragen blieben offen, etwa: Warum konnte Olaf Scholz, der gestern zum x-ten Male laut 12 EUR generellen, bundesweiten Mindestlohn forderte, diesen in der Groko nie durchsetzen? Versucht? Wie stellt sich M. Roth d. Umsetz. "Verein. Staat. v. Europa." vor, wo doch schon die jetzige EU keinerlei Abkehr von der neoliberalen, spalterischen Linie zeigt, die kleintlg,, region Strukturen zerstört ?

Richtig Carlo

Im Heidelberger Programm 1925 steht bekanntlich die "Vision" der vereinigten Staaten von Europa.
Aber gerne wird vergessen, dass es der zweitletzte Punkt war, weit nach der Verstaatlichung von Schlüsselindustrien und Grossbanken.
Damals waren die USA noch ein Vorbild und es war klar, dass sich nur solidarische Staaten und keine kapitalistische Staaten zusammenschließen werden.
Daher halte ich es für Rosstäuscherei und eine vorsätzliche Sackgasse, in der die SPD zerstört wird, wenn man diese Zusammenhänge nicht erwähnt. der späte Helmut Schmidt sah und die Labour Party sieht dies ähnlich.
Den Grund dafür , dass die meisten unserer Berufspolitiker bisher eine neoliberale ( besser "pseudoliberale") und keine sozialdemokratische Politik gemacht haben, sehe ich in ihrer üppigen Bezahlung und Zusatzleistungen und der verfassungswidrig hohen Parteienfinanzierung.
Die offene Schere in der Gesellschaft ist in kleinerem Maßstab auch in der spd aufgegangen. Die SPD ist dadurch zu einer zwei Klassen Partei geworden mit einer inneren bestimmenden Berufspolitiker-Partei-Klasse und normalerverdienenden Mitgliedern als "Transmissionsriemen", der das aber nicht mehr hinnimmt.