
Ich kann die Phrase „Frauen stärken“ nicht mehr hören. Uns muss nicht unter die Arme gegriffen werden, damit wir uns auch einmal durchsetzen können. Es braucht auch nicht noch mehr Mentoring. Es braucht einen Kulturwandel in der Partei. Keine Frage: Da spielt die inhaltliche Themensetzung eine Rolle – aber eben auch Strukturen. Immer noch funktioniert die SPD an sehr vielen Stellen so, dass sie denen nutzt, die lange dabei sind und viel Zeit investieren können.
Frauenanteil steigt im Schneckentempo
Es gibt Gründe dafür, dass nur 32,6 Prozent der SPD-Mitglieder Frauen sind. 1950 waren es 18,8 Prozent. Das ist fast 70 Jahre her. Daran ändert auch nichts, dass wir nach 155 Jahren erstmals eine Frau als Vorsitzende hatten. Woran liegt es, dass sich der Frauenanteil in der SPD im Schneckentempo entwickelt? Ortsvereine sind die erste Anlaufstelle für alle Parteimitglieder, mit oder ohne Mandat. Es gibt sicherlich viele Ortsvereine, die Gemeinschaft leben und in denen gleichberechtigte Diskussionen möglich sind. Es gibt aber mindestens genauso viele, die das nicht tun. Das ist ein Problem, insbesondere für junge Frauen.
Eine Befragung der SPD Schleswig-Holstein macht die Kritik deutlich: Es gibt zu wenige Frauen, zu wenige junge Leute, zu wenig Partizipation – und zu viel Sexismus. Viele Frauen gaben auch an, dass ihre restliche Lebensplanung sich nicht mit dem Ehrenamt vereinbaren ließe. Es geht ihnen weniger darum, dass sie faktisch keine Zeit haben, sondern darum, dass sie nicht bereit sind, ihre Zeit für die Parteiarbeit zu investieren, weil sie das Gefühl haben, dass sie ihre Zeit damit verschwenden. Oft gerät der Ortsverein zu einem nicht enden wollenden Stammtisch voller Berichte.
90 Prozent wollen online diskutieren
Auch die Enttäuschungen darüber, nichts verändern zu können, sind Beweggründe dafür, sich nicht mehr zu engagieren. Die Befragung zeigt, dass besonders Frauen auf die Problematik mit Wegbleiben reagieren. Oft gehen sie der Parteiarbeit damit gänzlich verloren. Bei nicht einmal einem Drittel Frauen in der Partei ist das verheerend. Damit sie aktiver würden, müsste ihr Einsatz einen merklichen Effekt erzielen.
Die vom Parteivorstand gestartete Online-Umfrage zu #SPDerneuern kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Viele der aktiven Mitglieder in Ortsvereinen sind zufrieden mit der Arbeit dort. Auf die Frage, ob sie in der SPD einen geeigneten Ort gefunden haben, sich politisch zu beteiligen, antwortete aber über ein Drittel der Befragten mit Nein. Grund dafür sind Vereinbarkeitsprobleme, aber auch, dass bestimmte Themen, selten bis nie vor Ort diskutiert würden. Diese Hindernisse haben vermehrt Personen im Alter zwischen 20 und 50 und Frauen angegeben. Die Zustimmung zu online-basierten Themenforen fiel konsequenterweise sehr hoch aus. Mehr als 90 Prozent finden diese wichtig.
Kommentarspalten sind männlich dominiert
Was also tun, damit sich mehr Frauen in der SPD engagieren? Mehr Ortsvereine zu Orten der Gleichberechtigung, Effektivität und der konkreten Ideen und Aktionen machen? Ja, aber warum nicht zusätzlich auch echte Online-Beteiligung auf die Beine stellen? Bisher ist dieses Instrument nicht mit aller Ernsthaftigkeit vorangetrieben worden. Ich bin überzeugt, dass eine gut aufgezogene Online-Beteiligung für Frauen eine Chance sein kann, die Diskussionskultur belebt und die Attraktivität der Partei nach innen wie nach außen erhöht.
Darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. Eine bei Twitter geäußerte Vermutung war, dass die Beteiligung von Frauen sich durch Online-Tools weiter verschlechtern könnte. Auf den ersten Blick mag das einleuchten. Diverse Studien zeigen: Es nutzen zwar mittlerweile nahezu so viele Frauen täglich das Internet wie Männer, die Kommentarspalten fast aller Tageszeitungen dominieren aber letztere – von Spiegel Online bis zur New York Times. Früher haben allerdings auch schon sehr viel mehr Männer Leserbriefe an die Redaktionen dieser Welt geschickt als Frauen.
Frauen werden härter angefeindet
Frauen haben häufiger Hemmungen, ihre Meinung öffentlich zu äußern. Unter anderem, weil sie Angst haben angegriffen zu werden. Die Sorge ist nicht unbegründet: Frauen werden für ihre Meinungsäußerungen härter angefeindet als Männer. Sie fühlen sich auch weniger kompetent als Männer und wägen ab, ob es sich für sie lohnt, etwas zu kommentieren.
All das führt dazu, dass das Meinungsspektrum in sozialen Netzwerken nicht die Wirklichkeit abbildet. Es gibt jedoch Gegenbeispiele. Ob sich Frauen online äußern, hängt auch von Themen sowie dem Medium ab. So bloggen deutlich mehr Frauen als Männer. Bei change.org reichen weniger Frauen als Männer Petitionen ein, die von Frauen werden allerdings überdurchschnittlich oft angenommen. Was brauchen wir also, damit weder Scheinbeteiligung noch Facebook-Kommentarspalten entstehen, sondern wirksame und flexible Partizipation gelingt?
Online-Diskussionen müssen moderiert werden
Egal, ob analog oder online – Diskussionen gelingen am besten, wenn sie moderiert werden. Auch online sind quotierte Redelisten denkbar. Ein Beispiel: Nach drei Kommentaren von Männern muss zwingend erst ein Kommentar einer Frau kommen, bevor weiter diskutiert werden kann. Beleidigende Beiträge müssen natürlich gelöscht werden.
Zweitens muss klar sein, was es bedeutet, wenn ich mich beteilige. Um tatsächlichen Output zu erreichen, muss dieser in echte Macht-Prozesse eingebunden werden. Es muss an die Beteiligten gespiegelt werden, welchen Weg ein online von mehreren geschriebener Antrag genommen hat. Die Teilnehmenden müssen auch konkret etwas verändern können und nicht nur im luftleeren Raum diskutieren.
Frauen fehlen überall in der SPD
Nicht zuletzt muss die Partei Arbeit darin investieren, mehr Frauen zu beteiligen. Das kann beispielsweise über weibliche Vorbilder gelingen, die Beteiligungsplattformen bewerben. Nicht nur Themen- oder Debattenforen sind denkbar, sondern auch Tools für die Parteiarbeit vor Ort – etwa Abstimmungstools oder einheitliche Plattformen zur Vernetzung. Davon profitieren im Übrigen auch Ortsvereine.
Momentan ist es doch zu oft so: Frauen fehlen auf dem Gruppenfoto, sie fehlen als Kandidatinnen für Ämter, sie fehlen bei der inhaltlichen (Neu-)Ausrichtung. Sie fehlen im gesamten Parteileben. Das kann sich die SPD nicht leisten. Wenn wir #SPDerneuern ernst meinen, müssen wir online und offline denken.