Designierter SPD-Kanzlerkandidat

Olaf Scholz: „Es ist Zeit, dass CDU und CSU sich auf der Oppositionsbank regenerieren.“

Karin NinkKai Doering27. August 2020
Designierter Kanzlerkandidat Olaf Scholz: Die SPD hat bei der nächsten Bundestagswahl eine gute Ausgangslage.
Designierter Kanzlerkandidat Olaf Scholz: Die SPD hat bei der nächsten Bundestagswahl eine gute Ausgangslage.
Der designierte Kanzlerkandidat Olaf Scholz rechnet sich und der SPD gute Chancen bei der Bundestagswahl aus. „Wir haben mehr als ein Jahr Zeit, die Bürgerinnen und Bürgern von uns und unseren Konzepten zu überzeugen“, sagt er im Interview. Die Union will er in die Opposition schicken.

Die SPD hat diesmal, anders als bei vorigen Wahlkämpfen, früh verkündet, wer sie als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl führen soll. Sie selbst sprechen von einem „harten Ritt“ bis zum September 2021. Was ist der Vorteil dieser langen Strecke?

Ganz einfach: Die Bürgerinnen und Bürger wissen jetzt, woran sie mit uns sind. Viele von ihnen interessieren sich doch vor einer Wahl vor allem für drei Fragen: Erstens, wer soll Kanzler werden? Zweitens, traue ich dieser Person zu, unser Land auch durch schwierige Zeiten zu führen? Gerade die Antwort auf diese zweite Frage ist sehr wichtig, denn viele wichtige Entscheidungen, die Regierungen in den letzten Jahrzehnten treffen mussten, waren nie Thema im Wahlkampf, weil sie nicht vorhersehbar waren – das beste Beispiel dafür ist die Corona-Pandemie, von der 2017 niemand etwas ahnen konnte. Und die dritte Frage lautet: Welchen Plan haben die Partei und der Kandidat, um unser Land durch die nächsten Jahre zu führen? Klar ist jetzt: Olaf Scholz ist Kanzlerkandidat – und jetzt haben wir mehr als ein Jahr Zeit, die Bürgerinnen und Bürgern von uns und unseren Konzepten zu überzeugen.

Wird der Wahlkampf die Arbeit der Bundesregierung nicht überschatten?

Nein, auf absehbare Zeit wird unsere Hauptaufgabe darin liegen, in der Koalition mit der Union unser Land durch die Corona-Krise zu steuern. Die gesundheitlichen Herausforderungen sind längst nicht bewältigt, die wirtschaftlichen und sozialen auch noch nicht. Wir kämpfen um Arbeitsplätze und Unternehmen. Und wir beobachten genau das weitere Pandemie-Geschehen. Das wird auch noch eine ganze Zeit lang so bleiben und uns vieles abverlangen. Zugleich werden wir aber diese Zeit nutzen, die Bürgerinnen und Bürger von dem zu überzeugen, was uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten und mir als Kanzlerkandidat der SPD wichtig ist. Während die anderen Parteien damit beschäftigt sein werden, ihre Spitzenkandidaten zu küren, werden wir deutlich sagen, was ich als Kanzler verändern will und worum es in den kommenden Jahren geht.

Die Partei hat sich nach der frühen Nominierung sehr geschlossen hinter Sie gestellt. Was bedeutet Ihnen das?

Das trägt mich. Bundeskanzler kann man nur werden, wenn die Partei, für die man antritt, hinter einem steht. Die SPD hat immer eine große Bandbreite umfasst. Viele erinnern sich noch an die Zeit mit Willy Brandt, Herbert Wehner und Helmut Schmidt, die nicht in allem einer Meinung waren, aber immer zusammengehalten haben. Das gelingt uns jetzt wieder. Ich bin überzeugt, wir werden die Bürgerinnen und Bürger mit unserer Geschlossenheit überraschen und überzeugen. Und wir werden deshalb auch erfolgreich sein und die nächste Bundesregierung führen.

Brandt, Wehner und Schmidt: Gibt es jemanden, an dem Sie sich mit Ihrer Politik orientieren?

Nein. Jede Zeit braucht ihre eigenen Antworten. Natürlich haben mich diese drei sehr beeindruckt. Genauso gerne erinnere ich mich an den Moment, als wir die Bundestagswahl 1998 gewonnen haben und die rot-grüne Koalition den Mief der Kohl-Jahre vertrieben hat. Insofern werde ich alles dafür tun, dass wir mit einer solchen Begeisterung die nächste Wahl gewinnen. Es ist Zeit, dass CDU und CSU sich auf der Oppositionsbank regenerieren.

Rot-Grün war 1998 ein echter Aufbruch für das ganze Land. Wie könnte ein Aufbruch 2021 aussehen?

Die Corona-Krise wird ja hoffentlich im Herbst nächsten Jahres weitgehend überwunden sein – gesundheitlich und wirtschaftlich. Aber es wird um die Frage gehen, wie wir mit den Corona-Folgen umgehen werden. Ungeachtet von Corona stehen wir am Beginn einer neuen Ära: Die 20er Jahre werden entscheidend sein für die weitere Zukunft: Wir müssen unser Land modernisieren. Für die SPD sind dabei aus meiner Sicht drei Themen zentral: Wir setzen uns ein für eine Gesellschaft, die von einer Haltung des Respekts füreinander geprägt ist. Wir formulieren ein Zukunftsprogramm, das die Weichen für die Technologien des 21. Jahrhunderts, für gute Arbeitsplätze und für CO2-neutrales Wirtschaften stellt. Und wir gestalten ein souveränes und solidarisches Europa, damit wir nicht herumgestoßen werden in der Welt.

Olaf Scholz

Wie sieht eine „Respektgesellschaft“ aus?

Wenn jemand, der als ungelernter Arbeiter in einem Warenlager arbeitet, und jeden Tag sein Bestes gibt, nicht die gleiche Anerkennung genießt wie jemand, der studiert hat und ein sehr gutes Einkommen hat, dann zerfällt unsere Gesellschaft. Das halte ich für das große Problem unserer Zeit. Darauf müssen wir eine Antwort geben. Meine Antwort lautet: Wir sind die Partei, die für den Respekt untereinander eintritt, die möchte, dass unterschiedliche Lebenswege als gleichwertig gesehen werden – und die gleichzeitig auch sagt, dass sich Anerkennung in guten und stabilen Arbeitsverhältnissen, in ordentlichen Löhnen und im guten Leben niederschlagen muss. Mein Ziel ist es, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger – egal wie groß ihr Vermögen ist, egal, wie hoch ihr Einkommen ist, egal, wie unterschiedlich ihre Ausbildungen und ihre Berufe sind – miteinander für gesellschaftlichen Zusammenhalt einstehen, der auf diesem Respekt gründet.

Mit welchem Partner wollen Sie die nächste Koalition schließen?

Bundestagswahlen finden nicht statt, um den nächsten Koalitionspartner der Union zu suchen. Sie finden statt, um die Richtung unseres Landes zu bestimmen. Die Macht der Bürgerinnen und Bürger wird bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr so groß sein wie niemals zuvor – weil aller Voraussicht nach mehr Parteien in den nächsten Bundestag einziehen werden als in früheren Jahren und vermutlich auch die größte Partei des nächsten Bundestages deutlich weniger Sitze haben wird als vor 20 Jahren. Die Karten werden also völlig neu gemischt. Deshalb ist es wichtig, der Partei die Stimme zu geben, von der man will, dass sie den Kanzler stellt. Wir werben dafür, das Kreuz bei der SPD zu machen. Denn das ist die Grundlage dafür, dass eine Regierung gebildet werden kann, die für Fortschritt steht. Ansonsten wird es natürlich auch von den anderen Parteien abhängen, was möglich ist.

Nach dem Arbeitsminister und dem Hamburger Bürgermeister haben die Menschen in der Corona-Krise nochmal einen anderen Olaf Scholz kennengelernt, den Krisenmanager. Was macht diese Rolle für Sie aus?

Na, in all meinen Ämtern hatte ich häufiger mit Krisen zu tun. Es ist wichtig, in solchen Situationen die Ruhe zu bewahren und einen Plan zu haben, wie man durch die Krise kommen will. Entschlossenheit, Erfahrung und Mut gehören auch dazu.

Ist dieser Nimbus des Krisenmanagers ein Vorteil gegenüber Mitbewerbern – wer auch immer sie sein werden?

Die SPD hat bei der nächsten Bundestagswahl eine gute Ausgangslage. Denn die Corona-Krise hat nochmal deutlich gemacht, dass das, wofür unsere Partei am meisten steht, in diesem Land gebraucht wird, nämlich Solidarität. Es ist zudem eine Bundestagswahl, in der das erste Mal seit 1949 nicht ein Kanzler oder eine Kanzlerin zur Wahl steht, die das Amt schon ausübt. Und wenn der Kandidat der SPD die meiste Erfahrung mit den Herausforderungen des Regierungsgeschäfts hat, schadet das sicher nicht.

Sie haben sich mal als „geborenen Sozialdemokraten“ bezeichnet. Was bedeutet Ihnen die Kanzlerkandidatur für Ihre Partei?

Es ist eine große Ehre, dass unsere Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans mich vorgeschlagen haben. Für einen Politiker ist das ein ganz besonderer demokratischer Moment und für einen Sozialdemokraten, der im Herbst dieses Jahres 45 Jahre SPD-Mitglied sein wird, allemal.

Olaf Scholz

14. Juni 1958
in Osnabrück geboren

1975
Eintritt in die SPD

1978 bis 1985
Jura-Studium in Hamburg

1985
Zulassung zum Rechtsanwalt

2002 bis 2004
Generalsekretär der SPD

2007 bis 2009
Bundesarbeitsminister

2009 bis 2019
stelllv. SPD-Vorsitzender

2011 bis 2018
Erster Bürgermeister von Hamburg

seit 2018
Bundesfinanzminister und Vizekanzler

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Kommentare

"Kanzlerkandidat Olaf Scholz

"Kanzlerkandidat Olaf Scholz rechnet sich und der SPD gute Chancen bei der Bundestagswahl aus"

Statt des "Schulz-Effektes" kommt nun der "Scholz-Effekt".... Ich glaube das nicht.

Allen Ernstes frage ich mich, womit Olaf zu punkten gedenkt. Corona ist für ihn eine gute Ausgangslage? Davon profitiert offenbar vorrangig die Union. Linke sozialdemokratische Themen besetzt die Linke, rechte sozialdemokratische Themen wurden mit Thilo vertrieben, den Rest hat Merkel der CDU einverleibt, und die Alt-68er finden sich bei den Grünen...

Für mich stellt sich eher die Frage, ob Tante SPD noch einen Kanzlerkandidaten braucht.

Sie

Die Interviewer "siezen" den Interviewten. das ist unter Genossen eher unüblich - zeigt das vielleicht wie weit OS von der SPD entfernt ist ?

Jetzt wird's lächerlich

Wir siezen alle unsere Interviewpartner*innen, weil wir auf vorwärts.de ja nicht nur mit Genoss*innen sprechen, sondern auch Personen außerhalb der Partei. Im Sinne einer Gleichberechtigung nutzen wir deswegen generell die formelle Anrede. So viel wie Sie bei uns kommentieren, sollte gerade Ihnen das doch wohl schon aufgefallen sein.

Ehrlich machen !

Selbst die optimalsten Voraussetzungen für "unseren" SPD-Hoffnungsträger Olaf Scholz (Kandidatur aus dem Vizekanzleramt heraus, Chance der Profilierung als Krisenmanager und die genutzte Gelegenheit für gigantische finanzielle Versprechungen) haben der SPD nach Umfragen ganze 2 % Zugewinn seit seines ersten Auftritts als offizieller Kanzlerkandidatur der SPD gebracht !
Das liegt weit, weit unterhalb der Zahlen des sogenannten Schulzhypes wohlgemerkt sogar noch weit unterhalb der Zahlen als Schulzens Hype (nach der Bekanntgabe einer bevorzugt. Koalition mit der FDP) krachend in sich zusammenbrach ! Richtig ist, Scholz hat hohe Beliebtheitswerte vorwiegend im rechtskonservativen und im wirtschaftsliberalen Lager!
Kann er überzeugend die Führungsfigur für eine politischen Wende hin zu einer progressiven politischen und gesellschaftlichen Wende mit hohen Anforderungen an Nachhaltigkeit und Gemeinnutz abgeben ?
Es besteht die große Gefahr, dass Olaf, der ja wie bekannt als Finanzmin. für das Kaputtsparen systemrelev. Bereiche verantwortlich ist, unserer Partei den letzten Rest an Glaubwürdigkeit nimmt.
Brauchen wir einen Absturz von 17% in´s Dunkle bis wir uns ehrlich machen!?

Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz

Olaf Scholz: „Es ist Zeit, dass CDU und CSU sich auf der Oppositionsbank regenerieren.“ Aber: Macht Olaf Scholz nicht die gleiche Politik wie CDU/CSU, in welchen Punkten widerspricht er Leuten wie Seehofer, AKK, Altmaier, Scheuer u.a.? Hat er jemals den Rücktritt oder die Entlassung des unfähigen Scheuer gefordert?

"Mit welchem Partner wollen Sie die nächste Koalition schließen?" Die Frage blieb unbeantwortet.

"Rot-Grün war 1998 ein echter Aufbruch für das ganze Land. Wie könnte ein Aufbruch 2021 aussehen?" Ja, 1998 war ebenso ein Aufbruch wie 1969; der Unterschied bestand allerdings darin, dass nach 1998 viele Hoffnungen, die vor der Wahl geweckt wurden, schnell durch Maßnahmen, die keineswegs zur SPD passen, enttäuscht wurden, wie z.B. die Senkung des Höchststeuersatzes, die Ermöglichung von Billiglöhnen, der Wegfall von Steuern für Gewinne aus Vermögensveräußerungen.

Wenn Olaf Scholz nun, die Reichen stärker besteuern möchte, was auch dem Gerechtigkeitsempfinden entspricht, ist dies positiv, aber warum tut er es nicht bereits jetzt als zuständiger Fachminister?

Olaf Scholz

Das Versagen der Finanzbebörden bei WireCard wird immer deutlicher, umso unverständlicher wird mir wie man den Chef dieser Finanzbehörden zum Kanzlerkandidaten ausrufen kann. Und WireCard ist ja nicht der einzige Fall.