SPE-Kongress in Berlin

Olaf Scholz: Vier Ideen für die Zukunft der Europäischen Union

Jonas Jordan15. Oktober 2022
Ein gut gelaunter Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem SPE-Kongress in Berlin.
Ein gut gelaunter Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem SPE-Kongress in Berlin.
Zum Abschluss des SPE-Kongresses in Berlin hat Bundeskanzler Olaf Scholz am Samstag die Bedeutung der Sozialdemokratie in Europa betont. Unter großem Applaus der Delegierten wirbt er für ein Europa der Freiheit, Sicherheit und Demokratie.

Mit einer besonderen Rede endet der SPE-Kongress in Berlin: Bundeskanzler Olaf Scholz spricht vor den mehr als 200 Delegierten und Gästen, darunter zahlreiche europäische Regierungschef*innen und Parteivorsitzende. Sie erheben sich schon, als der vierte sozialdemokratische Bundeskanzler in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschlands die Bühne betritt. Scholz nimmt Bezug auf den historischen Ort, an dem sich die Sozialdemokrat*innen an diesem Tag befinden. Unweit der früheren innerdeutschen Grenze, einem Ort der europäischen Teilung. Auch heute werde Europa durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine herausgefordert. Scholz macht deutlich: „Wir wollen nicht zum 19. und 20. Jahrhundert zurückkehren, mit seinen Kriegen und totalitären Exzessen.“

Erstens: Erweiterung der Europäischen Union

Stattdessen zeichnet er bezugnehmend auf seine kürzlich in Prag gehaltene Rede ein Bild, wie er sich das Europa der Zukunft vorstelle. Zunächst geht es ihm um die Erweiterung der Europäischen Union im Osten und Südosten. „Ich bin sehr froh, dass wir beim Europäischen Rat im Juni geschlossen ,Ja' gesagt haben. Ja, die Ukraine, die Republik Moldau, perspektivisch auch Georgien und die Staaten des westlichen Balkans gehören zu uns, zum freien und demokratischen Teil Europas.“ Die EU stehe insbesondere bei diesen Staaten seit 20 Jahren im Wort. Diesen Worten müssten jetzt auch Taten folgen, fordert der Bundeskanzler.

„Dass die EU weiter nach Osten wächst, ist für uns alle ein Gewinn“, sagt Scholz. Wichtig sei aber auch, die EU fit für diese Erweiterungen zu machen. Dazu gehören für ihn Mehrheitsentscheidungen in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch in anderen Bereichen wie der Steuerpolitik. „So kommen wir einer solidarischen Union näher“, sagt er und fordert die Delegierten auf: „Lasst uns gemeinsam voranschreiten für ein souveränes und starkes, für ein demokratisches und freies Europa!“

Zweitens: Europäische Souveränität 

Europa müsse auf allen Feldern eigenständiger werden, fordert Scholz. Dazu gehören für ihn auch weitere nachhaltige Freiheitsabkommen. „Unsere Industrien müssen in der Lage bleiben, Vorreiter zu sein“, sagt er, insbesondere mit Blick auf erneuerbare Ernergien. „Das stärkt unsere Unabhängigkeit und schafft Arbeitsplätze“, sagt er und verspricht: „Wir wollen zeigen, dass Klimaschutz und Wohlstand Hand in Hand gehen können.“ Wenn das gelinge, werde diese Transformation dafür sorgen, „dass wir auch noch in 20 oder 30 Jahren sichere Arbeitsplätze in Europa haben“.

Der Bundeskanzler mahnt zudem eine koordiniertere Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen an. Es gelte, selbstbewusst europäische Verteidigungspolitik voranzubringen.

Drittens: Konflikte in der Migrations- und Finanzpolitik beenden

Scholz mahnt auch an, dass es notwendig sei, die Reihen zu schließen und alte Konflikte zu beenden, um Europa voranzubringen. Damit meint er vor allem die in den vergangenen Jahren immer wieder aufgetretenen Differenzen in der Finanz- und Migrationspolitik. „In beiden Bereichen weicht Ideologie zunehmend dem notwendigen Pragmatismus, um in Zukunft handlungsfähig zu bleiben. Dafür brauchen wir gemeinsame Regeln, die eingehalten und überprüft werden können. Das schafft Vertrauen und ermöglicht Solidarität in der Not“, sagt er.

Die Europäische Union habe angesichts des Krieges in der Ukraine gezeigt, dass sie sich solidarisch verhalten könne. „Europa ist ein attraktiver Kontinent. Viele möchten mit und bei uns leben. Für uns Europäerinnen und Europäer bedeutet das, dass wir Migration vorausschauend gestalten müssen“, sagt Scholz. Er fordert, illegale Migration zu verhindern und legale Migration ermöglichen. In der Fiskalpolitik sei in der Corona-Krise bereits ein historischer Schritt gelungen. Freiheit und Demokratie sind unser gemeinsames Erbe, gerade jetzt spüren wir diese Verbindung besonders stark

Viertens: Rechtsstaatlichkeit und Demokratie

Mit Blick auf die Regierungen in Polen und Ungarn macht der Bundeskanzler deutlich: „Wenn mitten in Europa von illiberaler Demokratie geredet wird, muss uns das sehr beunruhigen. Deshalb können wir es nicht hinnehmen, wenn rechtsstaatliche Prinzipien verletzt und demokratische Kontrolle zurückgebaut wird.“ Deshalb unterstütze die europäische Sozialdemokratie die Kommission in ihrem Einsatz für die Rechtsstaatlichkeit und die Anwendung aller dafür zur Verfügung stehender Mittel.

Zum Ende seiner Rede wechsel Scholz noch einmal ins Englische und setzt die Klammer zum Beginn. Damals, 1989, sei der Ruf der Revolution „Wir sind das Volk“ gewesen. Deswegen fordert er, heute müsse der Ruf in diesen Tagen „Wir sind das Volk von Europa“ lauten, um darauf ein Europa der Freiheit, Sicherheit und Demokratie zu begründen. „Denn Europa ist die Zukunft, und wir werden diese Zukunft gestalten. Mit Mut.“ Nach diesen Worten erheben sich die Delegierten erneut und applaudieren.

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Kommentare

„Ideen für die Zukunft“_1

Die erste (- darum wohl wichtigste -) „Idee für die Zukunft“ ist für Scholz der Anspruch, „die Ukraine, die Republik Moldau, perspektivisch auch Georgien und die Staaten des westlichen Balkans gehören zu uns, zum freien und demokratischen Teil Europas.“ Unser Bundeskanzler wiederholt damit die seit 2004 offizielle EU-Strategie, „einen Ring aus Ländern“ zu bilden und damit „Stabilität, Sicherheit und Wohlstand“ auch der Ring-Länder zu mehren. Ausdrücklich sollen die „Länder des südlichen Kaukasus (Armenien, Georgien und Aserbeidschan) in den Geltungsbereich der Europäischen Nachbarschaftspolitik“ gehören - weil „der südliche Kaukasus für die Energieproduktion (Kaspisches Becken) und als Transitregion für Energie sehr wichtig“ ist, weniger aus nachbarschaftlicher Nähe (Brüssel, den 12.5.2004, KOM(2004) 373). Dadurch kann, so Scholz, die Europäische Union „ihr Gewicht in der Welt noch stärker zur Geltung bringen“. Natürlich gehört dazu eine „selbstbewusste europäische Verteidigungspolitik“ – die Bundesrepublik geht da mit der „Zeitenwende“ als angemahnte „Führungsmacht“ schon mal voran, oder, wie Klingbeil es kürzlich formulierte:

„Ideen für die Zukunft“_2

Wir müssen in der „Friedenspolitik ... auch militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik sehen“. Noch unverblümter kann man geopolitische, hegemoniale Ansprüche nicht formulieren.

Ich hätte gegen eine Ausdehnung der EU nach Osten, nachfolgend die Natoaufnahme, nicht viel einzuwenden, wenn ich nicht wüsste, dass Nachbar Russische Föderation eine solche Ausdehnung nicht zulassen möchte. In einer solchen konfrontativen Situation gibt es eigentlich nur zwei grundsätzliche Möglichkeiten: Ich ignoriere die Befindlichkeiten der Russischen Föderation, oder ich versuche eine Lösung zu finden, die Russland wenigstens hinzunehmen bereit ist. Die Russische Föderation, kurz Putin, hat schon im Georgienkonflikt gezeigt, dass sie „militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik“ einzusetzen bereit ist. Im Vorfeld des Überfalls auf die Ukraine haben Nato, EU und Ukraine keine Lösung gefunden, die die Russische Föderation hinzunehmen bereit war. Warum sollte das jetzt anders sein. Scholz` erste „Idee für die Zukunft“ birgt also die Gefahr permanenter Kriegshandlungen – keine besonders erstrebenswerte Aussichten.

Offene Fragen

Früher wollte die Sozialdemokratie den Kapitalismus, als Ursache innerer und äußerer Konflikte überwinden, den Frieden auf der Welt sichern und strebte einen Ausgleich mit den Ländern des Südens an.
Wo ist diese Sozialdemokratische Tradition geblieben ?
Frieden ..... auch mit Waffen sichern, deutscher Führungsanspruch, Osterweiterung auf "Teufel komm raus", dann Georgien, ein asiatisches Land (Strahlenberg) und wahrscheinlich der gesamte Kaukasus ...... also mir mutet das alles wenig sozialdemokratisch an.
Quo vadis Scholz, quo vadis SPD ?

Unsachliche Polemik

Wenn Sie den Text aufmerksam lesen beziehungsweise gerne auch noch mal sich die komplette Rede anschauen, werden Sie feststellen, dass es mitnichten um eine Osterweiterung auf „Teufel komm raus“ geht, sondern diese mit Blick auf die genannten Länder klaren Kriterien folgt. Mit Blick darauf mutet es auch etwas seltsam an, wie Sie in diesem Kontext zu Ihrer Feststellung „und wahrscheinlich der gesamte Kaukasus“ kommen.

Entschuldigung Herr Jordan

Ich bin sehr gereizt auf einige zitierte Sätze in diesem Beitrag angesprungen - vielleicht habe ich da etwas falsch verstanden. Trotzdem fehlen mir da die Essentials wegen denen ich mal Sozialdemokrat wurde.

ja, da bin ich ganz beim Bundeskanzler, und

nun wird es auch Zeit, die seit fast 50 Jahren laufenden Beitrittsbemühungen der Türkei zum erfolgreichen Abschluss zu bringen. Die wurde bei dieser Gelegenheit übersehen, meine ich, und gehört doch mehr als alle anderen hier genannten dazu.