Rede zum Europatag

Olaf Scholz im Europaparlament: „Europa muss sich der Welt zuwenden!“

Jonas Jordan09. Mai 2023
Am Europatag: Bundeskanzler Olaf Scholz spricht vor dem Europaparlament in Brüssel.
Am Europatag: Bundeskanzler Olaf Scholz spricht vor dem Europaparlament in Brüssel.
Zum Europatag spricht Bundeskanzler Olaf Scholz im Europaparlament in Straßburg. Er wirbt für Reformen innerhalb der Europäischen Union und mehr Offenheit gegenüber anderen Teilen der Welt.

Nur fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges schlug der französische Außenminister Robert Schumann am 9. Mai 1950 vor, die Kohle- und Stahlindustrie mehrerer europäischer Staaten in einer Wirtschaftsgemeinschaft zu vereinen. Daraus entstand später die Europäische Union, wie wir sie heute kennen. Darauf verweist auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner Rede zum Europatag am Dienstagvormittag im Europaparlament in Straßburg. „Der 9. Mai gibt die einzige richtige und zukunftsweisende Antwort auf den zerstörerischen Angriffskrieg Deutschlands“, sagt er.

Ukraine weiter unterstützen

Es sei der Traum der Väter und Mütter Europas gewesen, das Morden ein für alle Mal zu beenden, sagt Scholz. „Der Europäischen Union sei Dank und zum Glück für uns alle der Traum in Erfüllung gegangen“, sagt der Bundeskanzler und schränkt sogleich ein: „Aber nicht überall in Europa.“ Die Ukraine verteidige ihre Souveränität gegen einen brutalen russischen Angriffskrieg. Zugleich habe dieser Krieg gezeigt, wie wichtig Geschlossenheit sei. „Auf diese Erfahrung lässt sich ein geopolitisches Europa gründen“, sagt Scholz und verweist auf seine Rede Ende August an der Karls-Universität in Prag.

Schon damals skizzierte der Bundeskanzler seine Ideen für zentrale Reformen innerhalb der Europäischen Union wie den Aufbau einer europäischen Verteidigungswirtschaft oder eine engere Zusammenarbeit bei der Luftverteidigung. „Das sind richtige Ansätze, die wir vertiefen und beschleunigen wollen“, bekräftigt er am Dienstag im Europaparlament. Zudem gelte es aus seiner Sicht schon jetzt die Weichen für den Wiederaufbau der Ukraine stellen. Denn dieser beinhalte nicht nur eine große Chance für die Ukraine, sondern auch für Europa insgesamt, „weil eine demokratische, freie, prosperierende Ukraine die deutlichste Absage an Putins imperialistische Bestrebungen ist“.

Beitritt vollziehen

Scholz verweist auch auf die Versprechungen und Signale, die bezüglich eines perspektivischen EU-Beitritts an die Staaten des Westbalkans, die Ukraine, die Republik Moldau und Georgien ausgesendet wurden. In diesem Kontext mahnt er: „Eine ehrliche Erweiterungspolitik setzt ihre Versprechungen um, allen voran gegenüber den Staaten des Westbalkans, denen wir den Beitritt vor 20 Jahren in Aussicht gestellt haben.“ Fortschritte in diesen Ländern müssten seitens der EU honoriert werden. Sonst verliere die Erweiterungspolitik ihren Anreiz und die EU insgesamt an Strahlkraft.

Die Aufnahme weiterer Staaten im Zuge dieser Erweiterungspolitik nennt Scholz als Zielpunkt zentraler Reformen innerhalb der Europäischen Union. Beispielhaft führt er etwa seine Forderung nach mehr Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit in Fragen der Außen- und Fiskalpolitik im Europäischen Rat, wo die Regierungen der Mitgliedsländer zusammenkommen, an. „Dafür werde ich weiter Überzeugungsarbeit leisten“, verspricht er.

Mehr fairen Handel

Zugleich fordert er, dass sich die EU „ohne Wenn und Aber“ der Zukunft öffnen solle und dafür Probleme der Vergangenheit lösen müsse. Als ein solches sieht er offenbar die seit Jahren währende Debatte über eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) an. Der Zeitpunkt dafür könnte auch angesichts des anstehenden nationalen Flüchtlingsgipfels im Kanzleramt am Mittwoch kaum passender sein. „Ich werbe dringend dafür, die Fortschritte beim GEAS noch vor der Europawahl unter Dach und Fach zu bringen“, sagt Scholz daher. 

Denn aus seiner Sicht eine „uns alle“ das Ziel, irreguläre Migration besser zu steuern, ohne „unsere Werte“ zu verraten. Dazu gehören für ihn auch Maßnahmen für einen wirksamen Außengrenzenschutz der EU. Der Bundeskanzler zeigt sich überzeugt, dass dadurch die die Akzeptanz für kluge und gesteuerte reguläre Migration steige.

Mit geeintem Europa in gute Zukunft

Im internationalen Kontext lautet Scholz' zentrale Forderung: „Europa muss sich der Welt zuwenden!“ Das bedeutet für ihn, dass die USA zwar auch in Zukunft der engste Partner sein sollten. Daneben sollten jedoch auch Länder des globalen Südens als neue Partner betrachtet werden. Deswegen sei es wichtig, die Versprechungen beim Klimaschutz zu halten, für Ernährungssicherheit zu sorgen und neue Freihandelsabkommen mit Mercosur, Mexiko, Indien, Indonesien und Australien schnell abzuschließen. Hierbei solle der Fokus auf fairem Handel liegen. „Sonst diktieren künftig andere die Regeln mit niedrigen Arbeits- und Sozialstandards“, macht der Bundeskanzler deutlich.

China sieht er gleichzeitig als Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen. Grundsätzlich ist Scholz der Meinung, dass Europa nicht unterschätzt werden sollte. Denn die EU habe sich insbesondere auch im vergangenen Jahr handlungs- und wandlungsfähig gezeigt. Seine These daher: Je geeinter Europa aufgestellt sei, desto leichter sei es, Europas Zukunft zu sichern. Daher betrachtet er mehr Offenheit als das Gebot der Zeit. „Wir brauchen eine geopolitische, erweiterte, reformierte und zukunftsoffene Europäische Union“, fordert der SPD-Politiker. 

weiterführender Artikel

Kommentare

Europa

Trotz meiner auch in diesem Forum wiederholt geäußerten Skepsis wegen der aktuellen Entwicklung bin ich nach wie vor Europäer und würde eine Neuorientierung der EU, evtl. mit einer Kern-EU der Gründerstaaten und weniger weiterer Mitglieder, z.B. Schweden, Spanien, Portugal, unterstützen.

Ferner sollte der Europatag am 09. Mai, ebenso wie in Luxemburg, zum Feiertag erklärt werden. Dafür könnte evtl. der inzwischen überholte 03. Oktober entfallen.

Treu zu den USA oder souveränes Europa?

Scholz überspielt den Widerspruch zwischen eine geopolitischen EU und einer engen Anbindung an die USA. Die USA dokumentieren täglich, dass sie ihren eigenen Interessen immer den Vorzug geben und sie diese auch gegen den Willen der Europäer durchsetzen. Verschließen wir in Europa davor die Augen, dürfen wir uns nicht wundern, dass wir immer wieder unter die Räder kommen. Dies wie Scholz zu ignorieren ist sinnlos.

Was diese transatlantische Unterwerfung noch prekärer macht ist der Umstand, dass die Treue zu den USA offenbar mit einem potenziellen Wahlsieg von Trump dramatisch sinken würde. Wollen wir uns wirklich weiterhin an einem Bündnis festhalten, was schon durch demokratischen Machtwechsel aus der Balance zu fallen droht?

Abgesehen davon haben sich allerdings die vergangenen demokratischen US-Regierungen inlklusive der Biden-Administration keine Blöße gegeben bei der Bevormundung Europas und der bewussten Herbeiführung von Spaltungen nach Teile & Herrsche.

„Europa muss sich der Welt zuwenden!“

Der Spiegel sieht Scholz „Ideenlos in Straßburg“ und hält diese „Scholzsche zentrale Forderung“ für eine aus „einer langen Auflistung von Allgemeinplätzen“. Was meint Scholz mit (partnerschaftlicher) Zuwendung zur Welt, die so notwendig ist?

Die BRD hat 2022 Waren im Wert von 1.574,0 Milliarden Euro in 239 „Bestimmungsländer“ exportiert; die Importe betrugen 1.494,4 Mrd. €. Mehr Zuwendung zur Welt geht nicht. Die deutschen Exporte drohen dramatisch einzubrechen, wenn es der EU/BRD nicht gelingt, Ersatz für Gas, Öl, Kohle und die vielen anderen Rohstoffe zu bekommen, die uns bisher die Russische Föderation zuverlässig, in jeder gewünschten Menge und zu günstigen Preisen geliefert hat, wegen unserer Sanktionen aber nicht mehr liefern darf und will. (Und Habeck will auch chinesische Firmen sanktionieren.) Darum brauchen wir die „Länder des globalen Südens als neue Partner“. Natürlich kennen die auch den wahren Grund unserer Zuwendung, wie jüngst in Katar oder Brasilien überdeutlich bewiesen wurde. Da kann Scholz im Europaparlament erzählen, was er will.

Fairer Handel

Kanzler Scholz: "Hierbei sollte der Fokus auf fairem Handel liegen."
Diese Aussage des Kanzlers ist absolut richtig und zielführend.
Jedoch: Im bisher und gegenwärtig global real-existierenden Neoliberalismus ist ' Fairer Handel ' systemisch nicht möglich. Die dem Kapitalismus/Neoliberalismus systemisch innewohnenden unhintergehbaren Zwangsgesetze der Konkurrenz, des Wachstumsimperativs, der Profitmaximierung, der Kapitalakkumulation sind einem Postulat nach ' Fairen Handel ' wesensmäßig völlig konträr. Jeder Volkswirt und jede/jeder die/der zu logischem Denken fähig ist weiß das. Man kann nicht beides haben: Kapitalismus und echten, wirkungsvollen ' Fairen Handel '.
Es darf verwiesen werden auf:

https://www.naturfreunde.de/gerechter-Welthandel
https://www.kab-trier.de/fordern/gegen-ttip-ceta-u-a

„Europas Zukunft: ... mehr Offenheit“

Offen sprach der deutsche Bundeskanzler im Europaparlament aus, wie die Tagesschau (9.5.) berichtete, dem Vorwärts aber nicht einmal eine Erwähnung wert ist: nicht „dem nostalgischen Traum (einer) europäischer Weltmacht nachzuhängen“. Richtig so.

Obwohl – so ganz hat Scholz den „nostalgischen Traum“ noch nicht begraben, denn „Europa trägt globale Verantwortung, weil das Wohlergehen Europas nicht zu trennen ist vom Wohlergehen der restlichen Welt". Ausdrücklich „Großmacht“ zu sein, billigt er aber nur „den USA und China“ zu. Das wird die Russische Föderation nicht freuen, die schon kürzlich lernen musste, dass „mit Finnland die NATO stärker“ wurde (Bundesregierung). „Das ist ein historischer Schritt“, kommentierte der Bundeskanzler, und FAZ.net hob die „erheblichen strategischen Folgen“ hervor, die „nicht zugunsten Russlands ausfallen“, weil mit dem Nato-Beitritt Finnlands „ein neuralgischer Punkt der russischen Sicherheitsarchitektur in Gefahr“ ist (Web.de). Die Zeit fasste schon am 1.7.22 zusammen und schloss den Nato-Beitritt Schwedens mit ein: „Putins größte strategische Niederlage“. (Wie wird dann erst die Nato-Osterweiterung um die Ukraine zu bewerten sein?).

„... mehr Offenheit“_2

Europa und die Nato haben also alles richtig gemacht, auch wenn die Russische Föderation nun an China andockt?
Vorsorglich „warb Scholz für eine "geopolitische Europäische Union", die es mit Russland, aber auch China aufnehme“ (ZDF, 9.5.23). Damit ist dann auch teilweise geklärt, was Scholz mit „wir brauchen eine geopolitische, erweiterte, reformierte und zukunftsoffene Europäische Union“ meint.

Lassen sich aus der Scholz-Rede vor dem Europäischen Parlament auch Folgerungen für den Krieg um die Ukraine ableiten? „Jetzt zu sagen, die Ukraine soll sofort nach Kriegsende in die Nato, bedeutet, Russland zu ermuntern, den Krieg endlos fortzusetzen“ (Ischinger bei Will (7.5.); zitiert aus dem Gedächtnis).