SPD-Kanzlerkandidat

Olaf Scholz zur Ampel: „Unser Projekt ist die Modernisierung.“

Karin NinkKai Doering04. November 2021
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz: Das Land braucht einen Aufbruch.
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz: Das Land braucht einen Aufbruch.
Im November wollen SPD, Grüne und FDP ihre Verhandlungen über die künftige Koalition abschließen. Olaf Scholz ist überzeugt, dass am Ende ein guter Vertrag stehen wird. Worauf es ihm dabei ankommt, sagt der SPD-Kanzlerkandidat im Interview.

Wenn Sie an den 26. September ­zurückdenken: Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als feststand, dass die SPD die Bundestagswahl ­gewonnen hat?

Das lässt sich wohl am besten mit Freude, Dankbarkeit und Demut beschreiben. Freude darüber, dass wir vorne lagen. Dankbarkeit für das große Vertrauen der Wählerinnen und Wähler. Und Demut, denn auch im Moment eines solchen Erfolgs sind einem natürlich die großen Aufgaben bewusst, die auf uns zukommen.

Sie haben bereits bei ihrer Nominierung zum Kanzlerkandidaten im August 2020 gesagt, die SPD könne mit einem Ergebnis „deutlich über 20 Prozent abschneiden“. Woher haben Sie die Zuversicht genommen, die Sie auch während des gesamten Wahlkampfs ausgestrahlt haben?

Wir haben vieles richtig gemacht in den vergangenen fünfzehn Monaten. Es war wichtig, dass wir sehr früh gesagt haben, wen die SPD ins Rennen ums Kanzleramt schickt. Wir hatten ein klares Ziel, ein kluges Programm – und das Wichtigste: Wir haben zusammengehalten. Mehr als ein Jahr lang haben wir uns dieser Prüfung gestellt. Das hat viele überzeugt, der SPD ihre Stimme zu geben.

Es schien so, als würden Sie Woche für Woche gelassener werden. War das so?

Mir war immer klar: Wahlkampf ist ein Marathon. Und so war es. Im Februar habe ich mit einer digitalen Deutschlandtour begonnen und war dadurch in weit mehr als 100 Wahlkreisen zu Gast – per Videoschalte, manchmal zwei, drei „Besuche“ pro Abend. Und als die Pandemie es wieder zuließ, gab es ab Frühsommer landauf, landab wieder echte Treffen mit ganz vielen Genossinnen und Genossen. Und ich habe gespürt, wie sich eine Aufbruchstimmung im Land ausbreitete. Viele Bürgerinnen und Bürger wollten, dass sich etwas ändert und die SPD die nächste Regierung führt. Unsere Veranstaltungen wurden immer voller. Da gab es sehr wohlwollende, positive Rückmeldungen auf den Marktplätzen und auch spontane gute Wünsche von Passanten. Viele haben mir gesagt: Wir setzen auf die SPD und wir brauchen euch. Und am Ende hatten wir eben auch noch die Kraft für den Endspurt.

Im Wahlkampf ging es ja sehr ­konkret um einen höheren ­Mindestlohn, um bezahlbare Wohnungen, um eine verlässliche Rente. Hat das die Leute überzeugt?

Ich habe immer über die Frage geredet, wie wir Sicherheit in Zeiten schaffen können, die sich gerade rasant ändern. Worauf kann man sich verlassen? Man muss verstehen, warum die Bürgerinnen und Bürger in den reichen Ländern des Westens besorgt sind. Die SPD hat da sehr konkrete Angebote gemacht: 12 Euro Mindestlohn, 400.000 neue Wohnungen im Jahr und ein stabiles Rentenniveau.

Was war am Ende entscheidend für den Wahlsieg: die Stärke der SPD oder die Schwäche der anderen, wie ­manche behaupten?

Ich spreche nicht über die Schwächen politischer Gegner, nie. Und mir ist wichtig, zu betonen, was die SPD stark gemacht hat: Entscheidend war, dass die SPD zusammengehalten hat. Die SPD ist so geschlossen und fokussiert wie lange nicht. Das ist ein Verdienst der gesamten Parteiführung, allen voran von ­Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans, Lars Klingbeil und Rolf Mützenich – aber eben auch das Verdienst jeder und jedes Einzelnen. Die ganze SPD hat zum Wahlerfolg beigetragen. Meine Freundin ­Gesine Schwan hat einmal gesagt, dass man Geschlossenheit nicht von oben verordnen könne. Geschlossenheit müsse aus dem Herzen kommen. Genau das ist uns gelungen. Deshalb haben uns die Bürgerinnen und Bürger vertraut. Das sollten wir jetzt nicht sofort wieder vergessen, sondern genauso weitermachen.

Gemeinsam mit Grünen und FDP wollen Sie nun die künftige ­Bundesregierung bilden. Was wird der Leitgedanke dieser – auf Bundesebene ersten – Ampel-Koalition sein?

Das Land braucht einen Aufbruch. Es liegen große Aufgaben vor uns, die gilt es jetzt anzugehen: unser Land modernisieren, den menschengemachten Klimawandel aufhalten und für mehr Respekt in unserer Gesellschaft sorgen. Ich bin überzeugt, wir können eine Regierung bilden, die für Aufbruch und Fortschritt steht. Wenn die Zusammenarbeit weiter so gut klappt, wird das eine gute Zukunft werden für unser Land.

Rot-Grün galt einst als „Projekt“. Wird das bei der Ampel ähnlich sein oder ist sie etwas anderes?

Unser Projekt ist die Modernisierung. Es geht um den Start in die 20er Jahre: um Digitalisierung, um den Umbau der Industrie zur CO2-neutralen Produktion, um ein Aufhalten des menschengemachten Klimawandels, um unsere Zukunft als Industrieland und um Respekt. Die Fragen dahinter sind zentral: Wie halten wir Arbeitsplätze und Wohlstand in unserem Land? Wie kann das Auseinanderdriften der Gesellschaft verhindert werden? Wie schaffen wir es, dass jede berufliche Leistung und jede Lebensleistung gleiche Anerkennung findet? Unsere Aufgabe als reiches Land ist es, auf diese Fragen die richtigen Antworten zu finden. Die Bürgerinnen und Bürger trauen uns diese Antworten zu.

Aus den Sondierungsgesprächen ist nichts nach außen gedrungen. Alle scheinen sich mit großem Respekt zu behandeln. Wie wurde das erreicht?

Ich finde es bemerkenswert, wie schnell wir eine sehr vertrauensvolle Ebene miteinander gefunden haben. Wir sind in unterschiedlichen Parteien und suchen jetzt das Gemeinsame, das was uns verbindet. Ich sehe bei allen den ausgeprägten Willen, zu guten Lösungen zu kommen. Das ist eine sehr gute Ausgangslage.

Nach dem 6. Dezember sollen Sie zum Kanzler gewählt werden. Was ist das Erste, das Sie danach umsetzen wollen?

Vieles besprechen wir gerade in den ­Koalitionsverhandlungen. Es geht um große Aufgaben, denen wir uns stellen wollen. Aber was ich immer gesagt habe, gilt weiterhin: Im ersten Amtsjahr will ich die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro durchsetzen. Davon profitieren fast zehn Millionen Beschäftigte. Und wir brauchen einen klaren Zeitplan für den Ausbau der Erneuerbaren Energien, also Strom aus Windkraft und Solarenergie, damit wir unser Ziel erreichen, bis 2045 klimaneutral zu werden. Dafür müssen wir Planungen beschleunigen, damit wir diesen Ausbau auch rechtzeitig hinkriegen.

Norbert Walter-Borjans hat ­angekündigt, nicht mehr für den ­Parteivorsitz zu kandidieren. Was sagen Sie dazu?

Ihm gilt mein großer Dank für das Engagement für die Partei und für die gute Zusammenarbeit in den vergangenen beiden Jahren. Gemeinsam mit Saskia Esken hat er 2019 den Vorsitz in einer schwierigen Zeit übernommen, nun ist die SPD die stärkste Fraktion im Deutschen Bundestag und stellt voraussichtlich den nächsten Kanzler. Ich bin mir sicher, Norbert Walter-Borjans geht mit einem guten Gefühl. Er kann stolz sein auf das Erreichte.

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Kommentare

Koalition muss inhaltlich durchstarten

Bei Koalitionen von "Projekten" zu reden ist grundsätzlich falsch. Es geht darum, das Land pragmatisch, nüchtern und nach Möglichkeit gut zu regieren, zum Wohl der Menschen. Es geht nicht persönliche Eitelkeiten von Politikern und ihren Vorstellungen.

Das Land muss an vielen Stellen -dringend- modernisiert werden, weil es gedanklich eher in den 1990ern steckt als der Gegenwart (von der Zukunft gar nicht zu reden). Selbstkritisch muss man als SPD konstatieren: der Verweigerung, zu Gestalten, durch Fr Merkel wurde auch von der SPD zu wenig entgegen gesetzt.

Wenig sinnvoll erscheinen Spekulationen über einen Neuzuschnitt von Ministerien und der Schaffung von Riesenressorts. Die beiden "Superministerien" aus der rot-grünen Ära haben sich damals mE nach nicht bewährt. Wichtiger als diese Strukturen wird es sein, die inhaltliche Arbeit schnell in Gang zu bringen. Das Beispiel von Präsident Biden zeigt, wie wichtig ein guter Start ist (bzw wie schlecht ein verkorkster Start ist).

FDP geführte Ampel

Liest man in der FAZ oder ähnlich gestrickten Medien, so sind diese glücklich über die Sondierungen.
Wenig sozialdemokratisches, aber sehr viel FDP. Noch ist vieles unbestimmt, aber ich fürchte Schlimmes für die Gesellschaft und die SPD, die ihre Wahlkampfversprechungen schon vergessen hat. Und selbst die "Grünlichen" haben sich von Tempo 130 verabschiedet.

„Unser Projekt ist die Modernisierung“.

„Norbert Walter-Borjans gilt mein großer Dank; … er kann stolz sein auf das Erreichte“. Nach Bedauern klingt das nicht. Könnte es sein, dass Olaf Scholz klammheimlich froh ist, dass der Warner vor der „Voodoo-Ökonomie“ des Herrn Lindner weg ist? Wie auch immer: Das Projekt „Modernisierung“, das nicht nur den Investitionsstau von etwa 400 Milliarden für marode staatliche Infrastruktur auflösen, sondern auch geschätzte jährliche staatliche Investitionen für den ökologischen Umbau von 50 Mrd. stemmen soll, ist angesichts der steuerlichen und Schulden verhindernden FDP-Grenzpfähle kaum machbar. Die FDP hat alle ihre im Wahlkampf vorgetragenen Ziele durchgesetzt – von Tempo 130 bis aktiengestützte Rente. (Offenbar hat die Scholz-SPD nichts aus dem Fiasko der Riesterrente gelernt.) So funktioniert bestenfalls die Moderni-sierung der Verwaltungen von Staat und Kommunen. Der „menschengemachte Klimawandel, eine der größten Herausforderungen unserer Zeit“ (Sondierungspapier), kann so nicht gestoppt werden. Nicht einmal die Möglichkeit ist offengehalten worden, Steuern und

Projekt Modernisierung (2)

Schuldenbremse zu überdenken, wenn sich herausstellte, dass eine Finanzierung durch vorhandene Mittel und Streichungen nicht gesichert wäre. Frau Baerbock hat Recht, wenn sie fordert, dass die komplette Regierung Klima-Politik zu machen habe, nicht nur der grüne Partner. Ich habe den Eindruck, auch große Teile der Gesellschaft sehen das so. Die Scholz-SPD irrt, wenn sie glaubt, ein Scheitern oder auch nur Verzögern der ökologischen Wende würde lediglich die Grünen treffen.