„Meine Familie wurde zum Großteil ausgerottet“, sagt der österreichische Sozialdemokrat Rudolf Gelbard und schaut in die Kamera. „19 Mitglieder meiner Familie wurden ermordet.“ In einem Facebook-Video der Organisation „SOS Mitmensch“ warnt der 87-jährige Holocaust-Überlebende vor einer Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen FPÖ. Die Partei sei von rechtsextremen Burschenschaftlern durchsetzt, sagt er – sie gehöre nicht in die Regierung. Fast 100.000 Aufrufe und knapp 1.000 „Likes“ hat sein Video, im Netz wird Gelbard dafür aber auch massiv angefeindet.
FPÖ-Verhandler: „Heil Deutsche Burschenschaft!“
Er sei „gekauft“, heißt es in den Kommentarspalten. Ein „Lügner“, der „Hetze“ verbreite und die „Nazikeule“ schwinge. Die Einträge zeigen, welche Stimmung in manchen Teilen Österreichs mittlerweile herrscht: Wenn sich ein Zeitzeuge und Opfer des Nationalsozialismus mit einer Warnung vor den Rechten zu Wort meldet, erntet er einen Shit-Storm. Dass FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache womöglich Innenminister werden könnte, scheint dagegen viele kalt zu lassen – obwohl er als junger Mann in der militanten Neonazi-Szene aktiv war. Es gibt sogar Fotos, die ihn in Sturmmaske und Tarnkleidung zeigen. In der Hand ein Sturmgewehr.
Seit Ende Oktober verhandelt die österreichische Volkspartei ÖVP unter Parteichef Sebastian Kurz mit der FPÖ über eine gemeinsame Regierung. In der FPÖ-Delegation sitzen dabei einige ausgewiesene Rechtsextremisten. Das renommierte „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands“ stuft knapp die Hälfte der 51 FPÖ-Abgeordneten im Nationalrat als rechtsextrem ein. Sehr bald könnten sie Regierungsverantwortung tragen.
In die Verhandlungsrunden mit der ÖVP hat die FPÖ hat unter anderen die Abgeordneten Anneliese Kitzmüller und Axel Kassegger geschickt. Laut Medienberichten hat Kitzmüller tiefe Verbindungen in die rechte Szene und ein Faible für germanisches Brauchtum. „Kassegger ist Mitglied der deutschnationalen schlagenden Burschenschaften Germania Graz und Thessalia Prag in Bayreuth“, heißt es auf der Facebook-Seite von „SOS Mitmensch“. „Eine seiner Reden wurde wohlwollend im rechtsextremen und neonazinahen Magazin ‚Aula‘ abgedruckt.“ Das Schlusswort seiner Rede: „Heil Deutsche Burschenschaft!“
KZ-Häftlinge als „Landplage“ diffamiert
Die Zeitschrift „Aula“ gilt als das Sprachrohr FPÖ-naher Akademiker, viele davon Burschenschaftler. Oft erscheinen eindeutig rechtsextreme Beiträge. Im Juli 2015 veröffentlichte das Blatt nicht nur die Rede des FPÖ-Manns Kassegger, sondern auch einen Artikel, in dem KZ-Häftlinge als „Landplage“ diffamiert werden. Deshalb ist der Holocaust-Überlebende Gelbard so schockiert, dass FPÖ-Politiker wie Kassegger sehr bald Posten in der Wiener Regierung besetzen könnten.
In seinem Online-Appell spricht der Sozialdemokrat aus Wien eine deutliche Warnung aus: Die FPÖ habe beste Verbindungen zu rechten Burschenschaften. Diese wiederum ehrten bis heute auch jene Mitglieder, die als NS-Verbrecher in die Geschichte eingegangen seien. „Darum trifft mich das besonders, dass durch den jetzigen Wahlausgang eine Partei stark gewonnen hat, die von den Burschenschaften durchsetzt wird“, sagt Gelbard, der von 1942 bis 1945 im KZ Theresienstadt inhaftiert war.
Innenminister aus der Wehrsportgruppe
Die bürgerlich-konservative Volkspartei ÖVP ist dennoch fest entschlossen, gemeinsam mit der FPÖ zu regieren. Fernsehaufnahmen der vergangenen Tage zeigen, wie ÖVP-Chef Kurz und die Mitglieder der FPÖ-Delegation bestens gelaunt am Verhandlungstisch sitzen.
Als Sebastian Kurz am Freitagnachmittag zusammen mit FPÖ-Vize Norbert Hofer in Wien vor die Presse tritt, beschreibt er eine „relativ positive Großwetterlage“ im Land. Die Botschaft: Die Koalitionsverhandlungen kommen gut voran. „Wir haben uns von Beginn an auf einen ordentlichen Umgang miteinander verständigt“ sagt er und spricht vom „gemeinsamen Politikverständnis“, das seine Partei mit der FPÖ verbinde – die vielen Rechtsextremisten in den Reihen seines zukünftigen Koalitionspartners schließt der designierte österreichische Bundeskanzler offenbar mit ein.