
Der Vertreter der Bundesanwaltschaft legte sich früh fest. „Ich gehe von einem politischen Attentat aus, das Sie alleine vollzogen haben“, sagte Oberstaatsanwalt Dieter Killmer, nachdem er Anfang Februar dieses Jahres den mutmaßlichen Mörder von Walter Lübcke sechs Stunden lang befragt hatte. Es war das dritte und letzte Mal, dass Stephan E. im Ermittlungsverfahren vernommen wurde. Noch einmal hatte der Kasseler Rechtsextreme die Ermittler von etwas zu überzeugen versucht, was er in seinem ursprünglichen, kurz nach der Festnahme abgelegten und später widerrufenen Geständnis noch selbst bestritten hatte: dass sein Kamerad und heutiger Mitangeklagter Markus H., 44, mitverantwortlich war für den tödlichen Schuss auf den Kasseler Regierungspräsidenten am 1. Juni 2019. Und zwar maßgeblich.
Zweites Geständnis im Widerspruch zu Hinweisen
Am Donnerstag und Freitag, den letzten beiden Verhandlungstagen vor einer dreiwöchigen Sommerpause, wurde die auf Video aufgezeichnete Vernehmung im Prozess vor dem Frankfurter Oberlandesgericht gezeigt. Und auch wenn Stephan E. darin überzeugender wirkt als bei der Vernehmung im Januar, als er stammelnd seine neue Tatversion vom unglücklich schief gegangenen Versuch einer „Abreibung“ erstmals präsentiert hatte, mochte ihm Killmer ebenso wenig glauben wie zuvor der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs. Für den Oberstaatsanwalt folgte Stephan E. mit der Tat einer „Blaupause“ der Ausspähung politischer Gegner und der Spurenverwischung, die er sich Jahre zuvor angelegt habe. „Wir haben Hinweise gefunden, dass Sie das perfekte Verbrechen geplant haben.“ Und niemand sonst.
Bei Stephan E., der sich zunächst ebenfalls als Einzeltäter und, wie er selbst sagt, „Psychonazi“ dargestellt hatte, klingt das in dieser dritten Vernehmung ganz anders: „Es ging von H. aus, von Anfang an“, sagt er. Immer wieder fangen seine Sätze mit den Worten „Markus meinte“ oder „Markus sagte“ an; der Freund, der auch bei ihren politischen Diskussionen „meistens der Wortführer“ gewesen sei, habe den Tatplan bestimmt, das Tatdatum, die Vorsichtsmaßnahmen, und er habe auch in der Tatnacht das Kommando gegeben: „Los, wir machen das jetzt.“ Der Plan: Er, Stephan E., habe den CDU-Politiker schlagen oder treten sollen, Markus H. habe ihn mit dem Revolver bedrohen sollen. Mehr nicht.
Waffenlager am Arbeitsplatz
Was dann im Einzelnen auf der Terrasse des Hauses von Walter Lübcke in Wolfhagen-Istha geschah, dazu schweigt Stephan E. in dieser Vernehmung. Dafür aber berichtet er, wenn auch widerstrebend, von einem weiteren Mann, der, sollten die Angaben zutreffen, einer Komplizenschaft zumindest nicht völlig unverdächtig wäre: Sein Arbeitskollege Jens L., mit dem er die rechte Gesinnung geteilt und dem er etliche Waffen verkauft haben soll, habe beim Vergraben des Tatrevolvers und weiterer Waffen auf dem Gelände ihres Arbeitsortes Schmiere gestanden. Ob der Kollege auch wusste, was es mit diesen Waffen auf sich hatte, will Stephan E. allerdings lieber nicht beantworten.
Aber noch etwas Bemerkenswertes erzählt der 46-Jährige: Nicht nur er und Markus H. kommunizierten verschlüsselt über den Messengerdienst Threema, sondern es gab dabei noch genau einen weiteren Chatpartner: Alexander S. Auch er ist ein bekannter Rechtsextremer. Der langjährige NPD-Aktivist, heute 30 Jahre alt, gehörte den „Freien Kräften Schwalm-Eder“ an, einer nordhessischen Neonazi-Kameradschaft, die gegen Ende der 2000er-Jahre mit einer Serie von Gewalttaten für Angst und Schrecken in der Region gesorgt hatte. Aus ihren Reihen kam 2008 der Angriff auf ein Zeltlager der Linksjugend Solid, bei dem ein 13-jähriges Mädchen lebensgefährlich verletzt wurde. Auf dem Computer von Alexander S. fanden die Ermittler damals unter anderem Anleitungen zum Bombenbau.
Weitere Lücken in der Erzählung
Worüber sich Stephan E. und Markus H. mit diesem erwiesenermaßen gewaltgeneigten Kameraden ausgetauscht haben? Darauf bleibt der mutmaßliche Lübcke-Mörder eine klare Antwort schuldig. Einmal, sagt er nur noch, seien sie alle drei zusammen auf einer Demo der AfD in Erfurt gewesen. Die beiden Angeklagten hatten in der neuen rechtsextremen Partei offenbar eine neue politische Heimat gesucht: Gemeinsam hätten sie Stammtische der AfD besucht, im Jahr 2018 „vielleicht zehn Treffen“, sagt Stephan E. Und im August 2018 fuhren sie nach Chemnitz, zum „Trauermarsch“ von AfD, Neonazis und rechtsextremen Hooligans nach einem tödlichen Messerangriff auf dem Chemnitzer Stadtfest. „Auf der Rückfahrt“, sagt Stephan E., „stand fest, dass wir was machen.“ Gemeint ist: gegen Walter Lübcke. Denn wegen seiner flüchtlingsfreundlichen Haltung hätten sie ihn auch für den Tod des in Chemnitz erstochenen Daniel H. verantwortlich gemacht.
Ein Mitangeklagter, der auch ein Mittäter gewesen sein könnte. Ein Kollege als möglicher Mitwisser. Ein bekannter Neonazi als Partner im konspirativen Chat. Und eine rechtsextreme Partei als Resonanzraum. Der Prozess muss zeigen, ob Stephan E. wirklich so allein gehandelt hat, wie die Bundesanwaltschaft glaubt. Am 27. Juli geht es weiter.