
Hitzige Debatten ohne Taten, das ist das traurige Fazit der aktuellen Bildungspolitik in Deutschland. Seit Jahrzehnten wissen wir, dass unser Bildungssystem im Vergleich mit dem skandinavischer Länder viel zu starr und unflexibel ist – zum Nachteil unserer Schüler. Trotzdem passiert: wenig bis nichts. Angst dominiert die Debatte. Es geht um die Sorge um Statusverlust und davor, das neue Abitur könne keinen Wert mehr haben auf dem Arbeitsmarkt. Die Tatsache, dass beispielsweise im Hamburger Bildungsstreit eine Einigung gefunden wurde, die „Schulfrieden“ heißt, zeigt, wie verbittert das Ringen um die jeweiligen Positionen verlief.
Bei all dem Streit über die Anzahl der Schuljahre, ob G8 oder G9, oder Schulform, Hauptschule, Realschule und Gymnasium, Gesamt- oder Sekundarschulen, den Debatten über Hortbetreuung und Mittagessen, um Stundentafeln, Religion oder Ethik und was nicht noch alles, hat man eines immer mehr außer Acht gelassen: die Digitalisierung der Gesellschaft, obwohl sich gerade diese in den letzten 15 Jahren mit Vehemenz in den Alttag von Eltern und Kindern gedrängt hat.
Die Schule, die unsere Kinder für die Zukunft vorbereiten soll, weiß auf die Digitalisierung keine Antwort. Sie kann noch nicht einmal dabei helfen, die richtigen Fragen zu stellen. Die Schule ist ein Hort der Technophobie, und schlimmer noch: Die Bildungspolitik allgemein ist durchsetzt von Digitalisierungsagnostikern, die meinen, dass das, was sie nicht verstehen, auch für den Alltag der Schüler keine Relevanz habe.
Unerträglicher Stillstand
Auch 2014 ist es immer noch völlig normal, dass man über die Nutzung digitaler Werkzeuge an der Schule spricht und jemand sagt: „Aber das kann man doch von den Lehrern nicht erwarten!" Warum nicht? Man erwartet es doch auch von Millionen von Büroangestellten. Es ist völlig normal, dass Schulen zwar Hausmeister haben, aber das Schulnetzwerk von Lehrern in ihrer Freizeit betreut wird. Warum?
Und nicht nur das: Wieso müssen Kinder auch heute noch schwere Ranzen mit Schulbüchern schleppen und mit schlecht fotokopierte Arbeitsbögen lernen? Das war zu meiner Schulzeit schon so, und ich habe vor 22 Jahren Abitur gemacht. Warum entwickeln auch heute noch Eltern-Initiativen beim Thema WLAN in der Schule wirre Gefahrenszenarien durch Strahlung, die seit über 10 Jahren von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und anderen Einrichtungen als haltlos eingestuft wurden? Die Strahlenbelastung von Mobiltelefonen ist wesentlich höher als die eines WLANs, und auch diese ist noch weit unter den hierfür vorgesehenen Grenzwerten. Das ist doch absurd.
Gleichzeitig wird von Medienkompetenzvermittlung geredet, von Internetführerscheinen und was weiß ich nicht noch alles. Es wird von Fitmachen für die Zukunft geredet, aber die Lehrpläne, die Didaktik, die Werkzeuge, und vor allem die Einstellung, das alles kommt noch tief aus dem 20. Jahrhundert. Wie passt das zusammen? Wie lange wollen wir uns noch weiter belügen auf dem Rücken unserer Kinder?
Verpflichtendes Schulfach Computing
Ich fordere ein Schulfach Computing. Und zwar für alle Jahrgangsstufen. Verpflichtend. Ein Schulfach, in dem Kindern beigebracht wird, wie sie mit digitalen Werkzeugen arbeiten, wie sie im Internet recherchieren, wie sie kommunizieren und wie sie eigene Programme entwickeln. Nur so werden Kinder fit gemacht für die Zukunft. Wir müssen sie in die Lage versetzen, ihre Umwelt zu gestalten und nicht nur passiv daran teilzunehmen.
Software wird mehr und mehr der Kit, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Das mag man bemängeln oder auch nicht, aber diese Entwicklung kann die Schule nicht stoppen. Stattdessen sollte sie die Kinder darauf vorbereiten, wie Gestaltungsmöglichkeiten der Zukunft aussehen können. Das bedeutet nicht, dass alle Kinder zu Programmierern ausgebildet werden sollen. Aber sie sollen lernen, was Daten sind, wie sie verarbeitet werden und was sie selbst damit machen können. Und es bedeutet natürlich auch, dass die Lehrerausbildung endlich verändert werden muss. Digitale Didaktik braucht einen besonderen Stellenwert.
Ich fordere eine Umstellung des bisherigen Systems der Schulbücher hin zu Open Educational Ressources – also Lehrmitteln, die digital zur Verfügung gestellt und von Lehrern und Anbietern gemeinsam gepflegt und verbessert werden. Der Vorteil: Lehrende können dadurch auch untereinander vom Wissenstransfer profitieren. Natürlich gehören dazu auch moderne Lernentwicklungstools mit individueller Lernstandskontrolle.
Tablets für alle
Vor allem aber sollten wir die durch Open Educational Ressources frei werdenden finanziellen Mittel, die durch den Wegfall des staatlich finanzierten Oligopols der Schulbuchverlage entstehen, dafür nutzen, allen Kindern ein Tablet zu finanzieren: ein eigenes Tablet für jedes Kind, mit einem speziellen Betriebssystem für Schule und für Freizeitnutzung. Damit entlasten wir nicht nur die Rücken der Kinder, sondern sorgen dafür, dass die Lehrmittel immer auf dem neuesten Stand sind. Wir sorgen für individuelleres Lernen und durch Gamification-Elemente auch für mehr Spaß am Lernen. Ein willkommener Nebeneffekt: Durch die Ausstattung jedes Kindes mit einem Tablet erweitern wir die Teilhabe derer an unserer Gesellschaft, die sich bisher noch keinen Computer leisten konnten.
Und auch das ist dringend notwendig. Denn die Chancen der Digitalisierung der Gesellschaft können wir nur nutzen, wenn die Teilhabe daran verbreitert wird und wir Kinder und Jugendliche in die Lage versetzen, selbst ihre digitale Umgebung zu gestalten. Die Bildungspolitik muss endlich die geeigneten Schritte unternehmen.
Denkt ausnahmsweise an die Kinder und nicht nur daran, die bestehenden Institutionen nicht zu überfordern oder zu verändern. Es bedarf einer gemeinsamen großen Kraftanstrengung, das ist klar, aber diese Kraftanstrengung ist lange überfällig. Wir müssen die digitalen Chancen nutzen!