Über eine sinnlose Debatte

Nur Strom, keine Wärme: Warum Atomkraft unser Gas-Problem nicht löst

Benedikt Dittrich27. Juni 2022
Atomkraft als Ersatz für russisches Erdgas? Eine weltfremde Debatte.
Atomkraft als Ersatz für russisches Erdgas? Eine weltfremde Debatte.
Konservative und Liberale bringen eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken ins Spiel, um Gas zu sparen. Was für eine sinnlose Debatte!

Entscheidungen hinterfragen, Entwicklungen mitdenken, Politik an der Realität orientieren – all das sind gute Ratschläge für Menschen in Verantwortung. Allerdings gibt es auch Entscheidungen, die auch nach dem Hinterfragen sinnvoll bleiben. Der Atomausstieg in Deutschland gehört dazu. Das hält einige Lobbyverbände, Konservative und vermeintliche Wirtschaftsfreund*innen aber nicht davon ab, immer wieder daran zu rütteln. Der neuste Vorschlag: mehr Atomkraft, um Erdgas einzusparen.

Dabei ist klar: Egal, wie viel oder wie wenig Erdgas aus Russland in das europäische Energienetz strömen wird: In der Bundesrepublik werden die Überreste der Atomenergie keinen sinnvollen Beitrag leisten können, um die Gasspeicher zu füllen.

Eine Debatte über den Ausstieg aus dem Ausstieg geht daher völlig an der Sache vorbei – und zwar aus mehreren Perspektiven.

Perspektive eins: die Politik

Schon im Februar, als nach dem Überfall Wladimir Putins auf die Ukraine über gedrosselte Gas-Lieferungen oder gar ein Gas-Embargo diskutiert wurde, begannen die Befürworter*innen der Atomenergie zu trommeln. Uran als Ersatz für Erdgas, auf dem Papier CO2-frei, drei Meiler sind ohnehin noch aktiv. Sie müssten „nur“ weiterlaufen. So lautete ihre Argumentation.

Er würde das ideologisch nicht abwehren, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck dazu Ende Februar, aber sein Ministerium habe diese Option schon geprüft. Das Resultat: Sicherheitsbedenken, eine mögliche fehlende Versorgung mit Brennstäben und außerdem: Es würde nicht viel bringen.

Damit hätte die Diskussion beendet sein können. Doch in konservativen Kreisen, zuletzt auch von der FDP, wird weiter so darüber gesprochen, als ob es die inhaltliche Begründung des Wirtschaftsministers nie gegeben hätte. Bis heute.

CDU-Chef Friedrich Merz sagte erst jüngst im Deutschlandfunk, man müsse sich doch „alle Optionen offen halten“, an anderer Stelle fordert er eine Debatte „ohne Tabu“. Expert*innen wie die Ökonomin Claudia Kemfert lehnen einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke dagegen klar ab: zu unwirtschaftlich, zu risikobehaftet.

Perspektive zwei: die Wirtschaft

Sogar die Energieversorger*innen selber winken ab: Zu teuer, zu kompliziert, zu unwirtschaftlich sei der verlängerte Betrieb von Atomkraftwerken. Sie haben sich längst auf den Weg in eine Zukunft mit Erneuerbaren Energien gemacht. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hält deswegen am Atomausstieg fest, da laut Fachleuten ein Weiterbetrieb nicht problemlos möglich wäre und somit Atomkraft kurzfristig keine Lösung sei.

Beim Bundesverband der Deutschen Industrie sagte Scholz vor kurzem: Erneuerbare Energien brächten „mehr Energiesicherheit und mehr Energiesouveränität“ für Deutschland und damit „langfristig“ auch niedrigere Preise. „Diesen Weg müssen wir weitergehen.“

Perspektive drei: die Infrastruktur

Atomstrom löst ohnehin keines der Probleme, vor denen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft im Winter stünden, sollten Gas-Importe aus Russland komplett ausfallen. Auch wenn Erdgas zeitweise in deutschen Gaskraftwerken zur Stromerzeugung genutzt wird: Es fehlt dann Gas, kein Strom. Denn der fossile Energieträger wird vor allem in der Industrie als Grundstoff gebraucht und im Winter in Heizungsanlagen verfeuert. Der Gas-Anteil am Strommix betrug im April laut „Strom-Report“ rund sieben Prozent. Atomkraft steuert zwei bis drei Prozent bei.

Atomkraftwerke können aber weder Ammoniak, noch Methanol, noch Fernwärme produzieren.

Die Antwort lautet Energiesparen

Stattdessen macht die Ampel-Koalition gerade das einzig Richtige: Sie wählt aus den weniger schlechten Optionen die aus, die am wenigsten schlecht ist: Kohlekraftwerke in der Reserve sollen hochgefahren werden, um die Gas-Verstromung zu bremsen und bei Fernwärme zu unterstützen. Das ist kurzfristig schlecht für die CO2-Bilanz, stellt aber weder den Atomausstieg, noch den Kohleausstieg zur Debatte. Und das ist auch gut so.

Statt uns mit Diskussionen aus dem vergangenen Jahrtausend aufzuhalten, sollten wir unsere Energie als Gesellschaft deshalb vielmehr darauf verwenden, in den kommenden Monaten möglichst viel Energie zu sparen. Geben wir uns nicht der Illusion hin, dass wir mit Uran oder Plutonium einfach so Erdgas ersetzen könnten.

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Kommentare

Strohmann-Argumente nützen auch nichts!

Mit den verbliebenen kläglichen 3 KKWs kann man eben Strom liefern. Für den Niedergang dieser Industrie sind Grüne&SPD&CDU seit 1998 verantwortlich. Über die Nutzbarmachung der Abwärme der Kühltürme der KKWs hatte man sich wohl nie Gedanken gemacht.

Zu Fragen der Energieversorgung muss man Naturwissenschaftler und Ingenieure befragen und eben keine Ökonomen oder gar Politikwissenschaftler.

Der "inhaltliche Begründung" des jetzigen Bundeswirtschaftsministers für die Abschaltung der KKWs müssen deshalb naturwissenschaftlich-technische Argumente zugrundeliegen. Da darf man gespannt sein, ob die geliefert werden.

Die Probleme mit der Gas-Versorgung hat man durch den Boykott von Energieträgerlieferungen [Steinkohle, Erdöl, Erdgas] aus Russland selbst erzeugt. Ebenso die fehlende ausreichende Lagerung solcher Energieträger in Deutschland.

Dass von leistungslos wohlversorgten Personen Sparappelle verkündet werden, zeigt deren Weltfremdheit und die Verachtung vieler Bürger an, die angesichts der von den leistungslos wohlversorgten Personen verursachten und zu verantwortenden Probleme bereits jetzt schon nicht mehr ein noch aus wissen.

Wohlfeiles Gerede hilft da nicht.

Energieversorgung ist nicht nur Wissenschaft

Mit Verlaub, es geht beim Thema Energieversorgung auch um politische Entscheidungen und gesellschaftliche Folgen. Naturwissenschaftler*innen und Ingeneur*innen können zur Energieproduktion und Verteilung viele technische Erklärungen und Lösungen anbieten, die Frage nach Kohle- und Atomausstieg ist doch aber viel mehr als eine technische Entscheidung. Man bedenke nur die Proteste der Vergangenheit der Anti-AKW-Bewegung oder die Proteste der Windkraftgegner*innen, die sind ja auch nicht rein wissenschaftlich getrieben.
Diese gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen (und auch die ökonomischen) müssen bei solchen Fragen also zwingend mitgedacht werden.

Die Frage nach Kohle- und Atomausstieg

Die Frage nach Kohle- und Atomausstieg ist aus meiner Sicht einzig und allein eine technische Frage, in der ökonomische Bedingungen und Folgen immer schon mitgedacht wurden. Naturwissenschaftler und Ingenieure waren und sind ja keine ökonomischen Analphabeten.

Die Proteste der Vergangenheit gegen KKWs waren jedoch nie vom naturwissenschaftlich-technischen sowie ökonomischen Sachverstand geprägt. Das sage ich als naturwissenschaftlich-technisch wie wirtschaftlich ausgebildeter Zeitzeuge. Die Proteste gegen KKWs waren und sind von nahezu religiöser Inbrunst bestimmt, die keine sachliche Argumentation zulassen.

Über die technisch-materiellen Bedingungen für Grosswindanlagen [Rotoren mit ca. 100 m Durchmesser ...] und deren Folgen [Störung der Luftströme mit Austrocknung des Bodens ...] muss man ebenso sachlich reden, doch auch hier herrscht eine nahezu religiöse Inbrunst vor.

Ebenso muss man sachlich über die technisch-materiellen Bedingungen für Solaranlagen oder eine industrielle Wasserstofftechnik reden, ohne sich auf ideologische Holzwege ["grüner Wasserstoff"] führen zu lassen.

Es kommt letztlich auf Schädlichkeit sowie Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit an.

Nicht immer sachlich...

In der Tat, manche politische Diskussionen werden nicht immer ganz sachlich geführt.

Das ist aber eben die Realität. Man kann ja zum Beispiel sagen, dass ein GAU statistisch sehr unwahrscheinlich ist, gerade in Deutschland. Mit dem Argument aber Anti-AKW-Demonstrationen befrieden zu wollen, kann trotzdem illusorisch sein – da ein Restrisiko eben nie ganz ausgeschlossen werden kann. Und ein Endlanger ist nach jahrzehnten der Suche auch immernoch nicht in Sicht.

Und rein subjektiv gesagt: Mir sind wahrscheinliche Folgeschäden von Windkraftanlagen allemal lieber als das Risiko eines GAU - auch wenn das statistische Restrisiko noch so gering ist.

Darauf wollte ich hinaus. Naturwissenschaftliche Bewertungen und Argumentationen alleine reichen oft nicht aus, um gute, überzeugende Politik zu machen, die mehrheitsfähig ist und von der Gesellschaft mitgetragen wird.

Zu dieser Debatte ...

Die SPD regiert seit ca. 9 Jahren (mit) und Richtung Erneuerbare leif da wenig. Tchnisch-anurwissenschaftlich wurde die Gefährdubng durch Harrisburg - Tschernobyl - Fukuschima ziemlich klar, denn das war Technikversagen.
Und solange die Entsorgung des radioaktiven Abfalls, der entsteht schon bei der Urangewinnung, nicht naturwissenschaftlich-technisch gelöst werden kann solange ist diese Technologie abzulehnen.
Zu den Windanlagen: Da braucht es für die Rotoren und die ganzen Getriebe spezielle langzeitbelastbare Stähle, mit Nickel und Chrom und solchen Legierungsmetallen - woher kommen die zur Zeit ?
Ja sagt das mal den grünlichen "Freunden": um von russischem Gas und Öl unabhängig zu werden braucht es russische Metalle und chinesische Solarpannels.

Technikfolgeabschätzungen müssen Naturwissenschaftler vornehmen

Würde man das berücksichtigt haben, wären wir heute nicht in solchen Zwangslagen.

Bei dem Begriff "GAU" handelt es sich bspw. um einen von Wissenschafts- und Technikgegnern magisch-mystisch benutzen Begriff, den die Verwender nicht im Ansatz verstanden haben, ihn aber wie einen Fetisch vor sich hertragen.

Es handelt sich bei einem "GAU" um einen Auslegungsstörfall. Auslegung bezeichnet in der Technik die Gestaltung von Bauteilen, Geräten, Maschinen und Anlagen, damit sie ihren definierten Zweck erfüllen können. Das kann alle Aspekte des Entwurfs, der Konstruktion, der Herstellung, des Betriebs und des Einsatzendes betreffen.

Tatsächlich sorgen Facharbeiter, Techniker, Ingenieure und Naturwissenschaftler tagtäglich dafür, dass unsere Gesellschaft "funktioniert". Dank des stetigen naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts gelingt das immer besser.

Fragwürdige Stempel der Umweltverträglichkeit...

Politik entscheidet nicht für die Umwelt sondern leider oft für eine Ideologie oder für die Grüne Lobby. Das hilft leider der Umwelt nicht.

Beispiele:
Rotorblätter für Windräder bestehen bei einigen Herstellen aus Balsaholz, dass mit einem Laminat beschichtet wird. Für 3 Rotorblätter werden etwa 40 Bäume gebraucht. Balsaholz wächst in den Tropen...

Agro-Sprit wie E5, E10 werden dafür genutzt um die CO2 Emission rechnerisch zu reduzieren. Dabei bei der Herstellung diese Komponenten mehr Fossiles CO2 frei als durch die Verbrennung von Diesel oder Benzin! Weiter wird durch den Anbau ölhaltiger Pflanzen in Borneo Regenwald zerstört. Die Politik hat sich entschieden in den nächsten Jahren kein Palmöl mehr dafür zu verwenden. Ein Wechsel zu anderen ölhaltigen wäre aber eine "Verschlimmbesserung", da die Palmöl-Pflanze mit Abstand die effizienteste Ölpflanzen ist!

Batterieelektrische Fahrzeuge werden von der Politik per Definition als Null-Emisson-Fahrzeuge bezeichnet. Leider sind sie das nicht, allein weil sie überwiegend aus Ladesäulen mit Strom des Energiemixes geladen werden.

Biogas-Anlagen werden oft mit dafür angepflanzten Pflanzen betrieben

Debatte

Also Fernwärme liese sich mit AKWs schon machen.
Wenn die 33 verbliebenen AKWs aber weiterlaufen sollten, dann hätten schon längst umfangreiche Wartungsarbeiten durchgeführt werden müssen und neuer Brennstoff hätte rechtzeitig bestellt werden müssen (in RUSSLAND !). Das Abfallproblem ist noch immer nicht gelöst.
AKWs und andere thermische Kraftwerke brauchen Kühlung und bei der seit Jahren vorherrschenden Niederschlagsarmut (Dürre) scheint die nicht an jedem Standort gesichert. Wir Oberflächenwasser (Flüsse, Seen etc.) auf 28°C erwärmz, so löst sich nur noch wenig Sauerstoff im Wasser, was dann den Tod von Fischen und anderen Wasserlebewesen bedeutet.

33

Natürlich sind es nur 3.

Vieln Dank für die Info, das ist mir

jetzt klar geworden.
Die liefern ja n u r Strom die Dinger, und was wir brauchen ist Wärme- und die kommt ja aus Wärmepumpen.
sehr gut, dass der VORWÄRTS diesen Punkt mal abräumt