
Entscheidungen hinterfragen, Entwicklungen mitdenken, Politik an der Realität orientieren – all das sind gute Ratschläge für Menschen in Verantwortung. Allerdings gibt es auch Entscheidungen, die auch nach dem Hinterfragen sinnvoll bleiben. Der Atomausstieg in Deutschland gehört dazu. Das hält einige Lobbyverbände, Konservative und vermeintliche Wirtschaftsfreund*innen aber nicht davon ab, immer wieder daran zu rütteln. Der neuste Vorschlag: mehr Atomkraft, um Erdgas einzusparen.
Dabei ist klar: Egal, wie viel oder wie wenig Erdgas aus Russland in das europäische Energienetz strömen wird: In der Bundesrepublik werden die Überreste der Atomenergie keinen sinnvollen Beitrag leisten können, um die Gasspeicher zu füllen.
Eine Debatte über den Ausstieg aus dem Ausstieg geht daher völlig an der Sache vorbei – und zwar aus mehreren Perspektiven.
Perspektive eins: die Politik
Schon im Februar, als nach dem Überfall Wladimir Putins auf die Ukraine über gedrosselte Gas-Lieferungen oder gar ein Gas-Embargo diskutiert wurde, begannen die Befürworter*innen der Atomenergie zu trommeln. Uran als Ersatz für Erdgas, auf dem Papier CO2-frei, drei Meiler sind ohnehin noch aktiv. Sie müssten „nur“ weiterlaufen. So lautete ihre Argumentation.
Er würde das ideologisch nicht abwehren, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck dazu Ende Februar, aber sein Ministerium habe diese Option schon geprüft. Das Resultat: Sicherheitsbedenken, eine mögliche fehlende Versorgung mit Brennstäben und außerdem: Es würde nicht viel bringen.
Damit hätte die Diskussion beendet sein können. Doch in konservativen Kreisen, zuletzt auch von der FDP, wird weiter so darüber gesprochen, als ob es die inhaltliche Begründung des Wirtschaftsministers nie gegeben hätte. Bis heute.
CDU-Chef Friedrich Merz sagte erst jüngst im Deutschlandfunk, man müsse sich doch „alle Optionen offen halten“, an anderer Stelle fordert er eine Debatte „ohne Tabu“. Expert*innen wie die Ökonomin Claudia Kemfert lehnen einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke dagegen klar ab: zu unwirtschaftlich, zu risikobehaftet.
Perspektive zwei: die Wirtschaft
Sogar die Energieversorger*innen selber winken ab: Zu teuer, zu kompliziert, zu unwirtschaftlich sei der verlängerte Betrieb von Atomkraftwerken. Sie haben sich längst auf den Weg in eine Zukunft mit Erneuerbaren Energien gemacht. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hält deswegen am Atomausstieg fest, da laut Fachleuten ein Weiterbetrieb nicht problemlos möglich wäre und somit Atomkraft kurzfristig keine Lösung sei.
Beim Bundesverband der Deutschen Industrie sagte Scholz vor kurzem: Erneuerbare Energien brächten „mehr Energiesicherheit und mehr Energiesouveränität“ für Deutschland und damit „langfristig“ auch niedrigere Preise. „Diesen Weg müssen wir weitergehen.“
Perspektive drei: die Infrastruktur
Atomstrom löst ohnehin keines der Probleme, vor denen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft im Winter stünden, sollten Gas-Importe aus Russland komplett ausfallen. Auch wenn Erdgas zeitweise in deutschen Gaskraftwerken zur Stromerzeugung genutzt wird: Es fehlt dann Gas, kein Strom. Denn der fossile Energieträger wird vor allem in der Industrie als Grundstoff gebraucht und im Winter in Heizungsanlagen verfeuert. Der Gas-Anteil am Strommix betrug im April laut „Strom-Report“ rund sieben Prozent. Atomkraft steuert zwei bis drei Prozent bei.
Atomkraftwerke können aber weder Ammoniak, noch Methanol, noch Fernwärme produzieren.
Die Antwort lautet Energiesparen
Stattdessen macht die Ampel-Koalition gerade das einzig Richtige: Sie wählt aus den weniger schlechten Optionen die aus, die am wenigsten schlecht ist: Kohlekraftwerke in der Reserve sollen hochgefahren werden, um die Gas-Verstromung zu bremsen und bei Fernwärme zu unterstützen. Das ist kurzfristig schlecht für die CO2-Bilanz, stellt aber weder den Atomausstieg, noch den Kohleausstieg zur Debatte. Und das ist auch gut so.
Statt uns mit Diskussionen aus dem vergangenen Jahrtausend aufzuhalten, sollten wir unsere Energie als Gesellschaft deshalb vielmehr darauf verwenden, in den kommenden Monaten möglichst viel Energie zu sparen. Geben wir uns nicht der Illusion hin, dass wir mit Uran oder Plutonium einfach so Erdgas ersetzen könnten.