Gerichtsverfahren

NSU-Prozess: Blind waren nicht nur Polizei und Verfassungsschutz

Christian Rath11. Juli 2018
Ein Gericht hat Beate Zschäpe und vier NSU-Helfer zu Haftstrafen verurteilt. Der Prozess konnte offene Fragen allerdings nicht klären. Dafür offenbarte er ein Ermittlungsdesaster sowie ein Problem der Geheimdienste.

Der NSU-Prozess ist zu Ende. Das Oberlandesgericht (OLG) München verurteilte Beate Zschäpe zu lebenslanger Haft. Vier NSU-Unterstützer erhielten Haftstrafen zwischen drei und zehn Jahren. Das unermessliche Leid, das die brutale Mordserie der Neonazis über die Familien der Opfer gebracht hat, bleibt zwar bestehen, strafrechtlich ist der Prozess nun aber zu einem angemessenen Abschluss gekommen - obwohl viele Fragen offenbleiben.

Als Mittäterin verurteilt

Gegen Beate Zschäpe wurde das schwerste mögliche Urteil verhängt. Sie wurde als Mittäterin der Morde verurteilt, nicht nur als Helferin und nicht nur als Mitglied einer terroristischen Vereinigung. Die lebenslängliche Freiheitsstrafe war die zwingende Folge. Weil das Gericht zudem auch eine "besondere Schwere der Schuld" feststellte, ist auch eine Entlassung nach 15 Jahren ausgeschlossen. Es wird wohl auf eine Mindestverbüßungszeit von über zwanzig Jahren hinauslaufen.

Das Urteil ist hart, weil Zschäpe selbst keinen einzigen Schuss abgegben und wohl an keinem Tatort zugegen war. Doch das Gericht ging zurecht davon aus, dass das Trio die Taten gemeinsam geplant und gewollt hat. Zschäpe wurde nicht stellvertretend für die beiden toten Haupttäter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos verurteilt, sondern weil sie mit diesen gemeinsam die Tatherrschaft hatte.

Nicht überraschend

Dieses Urteil kommt aber nicht überraschend, sondern entspricht der Anklage der Bundesanwaltschaft aus dem November 2012. Im ganzen Prozessverlauf zeichnete sich ab, dass das OLG der Anklage folgen wird. Zschäpe sitzt schon seit 2011 in Untersuchungshaft. Formal hat die Strafe damit noch nicht begonnen, faktisch ist sie aber schon lange hinter Gittern. Der Mordgehilfe Ralf W., der die Tatwaffe besorgt hat, ist ebenfalls schon lange in Haft, seit September 2017 auch der engste Helfer Andre E.

Ob es darüber hinaus ein Helfernetzwerk in den Städten der Morde gab, konnte der Prozess nicht aufklären. Die Bundesanwaltschaft zeigt sich an dieser Frage bemerkenswert uninteressiert, obwohl die Auswahl der Opfer teilweise kaum nachvollziehbar war - vor allem für ortsfremde Neonazis aus Thüringen. Es spricht aber viel dafür, dass die Bundesanwaltschaft mit ihrer restriktiven Linie nur verhindern wollte, den Mammut-Prozess weiter ausufern zu lassen. Und wenn es ein Helfer-Netzwerk gab, dann müsste es wohl in verschiedenen Städten existiert haben. Doch auch jetzt, elf Jahre nach dem letzten Mord gibt es außer vagen Vermutungen keine konkreten Hinweise.

1998 untergetaucht

Auch die Anwälte der Nebenklage, die teilweise selbst recherchiert haben, kamen an diesem Punkt nicht weiter. Es spricht deshalb einiges dafür, dass Mundlos, Böhnhard und Zschäpe die Morde tatsächlich allein geplant haben. Bei manchen Taten, etwa in Nürnberg, München, Dortmund und Kassel lassen sich anhand von aufgefunden Unterlagen Vorbereitungshandlungen nachvollziehen.

Eines jedenfalls muss man auseinanderhalten. Nicht alle Helfer, die dem Trio beim Untertauchen halfen, sind automatisch auch Unterstützer der Mord-Taten. Dass außer den Dreien und den jetzt verurteilten Mitangeklagten jemand von den Mordplänen wusste, ist bis heute nicht bewiesen. Untergetaucht sind die drei 1998, weil sie wegen anderer Taten gesucht wurden.

Anonymer Terror

Vor diesem Hintergrund ist auch das Ermittlungsdesaster der Sicherheitsbehörden zu bewerten. Es ist dem NSU-Trio leider gelungen, einen völlig anonymen Terror zu verbreiten. Auch als ganz Deutschland von Feme-Morden einer ominösen türkischen Mafia ausging, gaben sich die Nazis nicht als Urheber zu erkennen. Das Verschicken von Bekennervideos hoben sie sich als letzten Triumph bis zu ihrem Ende im November 2011 auf.

Doch warum kam niemand auf die Idee, dass das untergetauchte Thüringer Trio hinter der Mordserie auf migrantische Kleingewerbler stecken könnte? Man muss die Frage wohl an diejenigen zurückgeben, die sie später so selbstgerecht gestellt haben. Blind waren ja nicht nur Polizei und Verfassungsschutz, sondern auch Journalisten und Politiker, die über die Mordserie schrieben. Fast keiner sagte: Das müssen Nazis sein. Der Spiegel schrieb noch Anfang 2011 von einer "Allianz türkischer Nationalisten, Gangster und Geheimdienstler".

Misstrauische Verhalten der Polizei

Doch auch als im Sommer 2006 endlich ein Polizei-Profiler erkannte, dass hinter der Mordserie auch ein rassistischer Einzeltäter oder eine entsprechende Kleinstgruppe stecken könnte, half dies nicht weiter. Die Ermittlungen blieben weitere fünf Jahre lang erfolglos wie zuvor. Die richtige These allein führte also auch nicht zu den Tätern. Die allzu selbstverständliche Annahme einer Mordserie im Milieu ausländischer Mafia-Strukturen zeigte zwar einen gewissen institutionellen Rassismus bei den Sicherheitsbehörden, aber eben keine Deckung oder Kumpanei mit den Tätern. Gerade dieser Verdacht und das misstrauische Verhalten der Polizei gegenüber den Angehörigen stellte für diese aber eine zusätzliche unerträgliche Belastung dar.

Eine skandalöse Rolle nahm bei den Ermittlungen auch der Verfassungsschutz in Bund und Ländern ein. Trotz vielfältiger V-Leute in der rechten Szene, teilweise im direkten Umfeld des Trios, gelang es nicht, diese zu aufzuspüren. Doch auch hier gibt es bisher keine belastbaren Hinweise auf eine Kumpanie mit der Nazi-Bande.

Treppenwitz der Geschichte

Eher zeigte sich ein typisches Problem der Geheimdienst-Arbeit. Sobald V-Leute im Spiel sind, ist der Schutz von deren Identität oft wichtiger als die Verwertung der gelieferten Erkenntnisse. So erreichen diese oft nicht einmal im Amt die verantwortlichen Personen und erst recht nicht bei der eigentlich zuständigen Polizei. Dass später unter Verweis auf die NSU-Morde die Befugnisse des Verfassungsschutz ausgeweitet wurden, ist ein Treppenwitz der Geschichte. Auch den Prozess am OLG München haben die V-Leute, die häufig nur begrenzte Aussageerlaubnis hatten, nicht wirklich voranbringen können.

Die Länge des Prozesses, der fünf Jahre und neun Wochen dauerte, kann leider nicht mit den dadurch gewonnen Erkenntnissen gerechtfertigt werden. Eher ging es darum, prozessual keine Fehler zu machen, um das Urteil revisionssicher zu machen. Außerdem wurden auch dem Erkenntnis-Interesse der Nebenkläger breiter Raum gewährt. Dennoch erbrachte auch der OLG-Prozess nur wenig neue Erkenntnisse. Insoweit zeigt der Ausgang des Münchener Verfahrens aber in aller Deutlichkeit, dass auch ein mit großen Mitteln und fast unbegrenzter Zeit ausgestatteter Strafprozess nur eine begrenzte Annäherung an die Wahrheit erbringen kann. Auch insoweit ist es gut, dass dieser Prozess nun endlich zu Ende ging.

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Kommentare

prejudicial policing

"Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Daran arbeiten alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck."

Zwei Untersuchungsausschüsse im Bundestag, elf Untersuchungsausschüsse in den jeweiligen Bundesländern, eine Bund-Länder-Kommission zur Aufarbeitung des Rechtsterrorismus, ein Da­ten­be­stand und Nut­zung der An­ti­ter­ror­da­tei (ATD) und der Rechts­ex­tre­mis­mus-Da­tei (RED).

Es hat sich einiges getan. Dem Technikwandel folgte nach und nach ein Bewusstseinswandel. Aber das [blinde] Vertrauen in Polizei- und Geheimdienstbehörden ist lückenlos dahin. Mehr noch, ein unaufgeklärtes Dunkelfeld an Helfern, ein technisch nicht ausgewertete Anzahl an Terrorangriffen mit der Tatwaffe, sogar mit falscher Munition bis hin zu einem unaufgeklärten Anschlag auf das Grab von Heinz Galinski verdecken weiterhin das unaussprechliche Leid der Opfer und der Hinterbliebenen.

Angela Merkel bleibt weiterhin ihrem Versprechen verpflichtet, den Bedürfnissen der Nebenkläger restlos entgegen zu kommen.

Rechte Terroristen sind keine Gefahr für unseren Staat

Angesichts der Tatsache, daß sogenannte V-Leute vielfach nicht den Erwartungen entsprechen, die die sogenannten Geheimdienste an diese stellen, sollte man diese V-Leute-Tätigkeiten einstellen.
Denn vielfach hat sich bekanntlich gezeigt, daß V-Leute mit ihren "Beobachtungsobjekten" gemeinsame Sache gemacht haben - oder schwiegen, wenn sie bevorstehende Straftaten hätten vorbeugend verhindern müssen.
Im übrigen waren und sind die sogenannten Verfassungsschützer auf dem "rechten" Auge vielfach blind, lassen also rechtsextremistische Gewalttäter unbehelligt, während sogenannte "linke" Aktivistinnen und Aktivisten bis in den letzten Winkel verfolgt werden.
Dies hat sich insbesondere bei den Nachstellungen der Rote-Armee-Fraktion (RAF) klar gezeigt. Hätten die RAF-Terroristinnen und RAF-Terroristen nicht hohe Politiker oder Wirtschaftsbosse getötet, sondern "normale" Bürgerinnen und Bürger, hätten sie ihr "Werk" vermutlich unbehelligt fortsetzen können. Sobald sich jedoch die Herrschende Klasse unmittelbar angegriffen fühlt, machen staatliche Organe, allen voran die sogenannten Verfassungsschützer im Namen der Politik, Tabula rasa. Die NSU war eben keine echte Gefahr.

da ist was dran

das zeigt auch der Mord an Suzanna. Hier wurde fiel die Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde in die Waagschale.

Das kann man auch von einer

Das kann man auch von einer anderen Seite betrachten. Sobald sich Zugehörige der elitären Klasse oder deren Vertreter (Politiker) in Bedrängnis kommen könnten, wird vorgezogen, den Sumpf nicht aufzuklären. Zumeist begehen dann wichtige Zeugen Selbstmord oder sterben eines natürlichen Todes in jungen Jahren.

Staatliche Eliten waren vom NSU in keiner Weise bedroht

Wenn die sogenannten staatlichen Eliten sich durch Terroristen oder militante Gegner bedroht fühlen, werden sie in der Regel alles daransetzen, sich durch Gegenmaßnahmen vor einer derartigen Bedrohung zu schützen, nötigenfalls durch eine gewisse Art von "Selbstjustiz".
Beispielhaft waren die angebliche Selbsttötung von Andreas Bader und Ulrike Meinhof.
Sogenannte "rechte" Terroristen wie etwa die verbrecherische Clique des NSU bedrohen keine staatlichen Amtsträger oder sonstige Eliten, sondern Migranten oder Andersgläubige.
Also müssen staatliche Eliten sich vor diesen Kreisen in keiner Weise fürchten. Im Gegenzug werden "rechte" Terroristen nicht von Polizei und Staatsschutz verfolgt und auch nicht von den sogenannten Nachrichtendiensten (Verfassungsschutz) aufgeklärt. Man arrangiert sich einfach...

Es gibt auch so etwas wie

Es gibt auch so etwas wie Staatsterrorismus. Helmut Schmidt erwähnte es zu Lebzeiten in einem Interview einmal.

Wenn sich selbsternannte Eliten bedroht fühlen...

Was der inzwischen verstorbene frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt mit "Staatsterrorismus" gemeint haben könnte, erschließt sich mir leider nicht. Selbst wenn autoritäre Staaten mit drakonischen Mitteln etwa gegen Menschen vorgehen, wäre dies nicht mit "Terrorismus" vergleichbar.
Staaten fürchten sich nur vor solchen "Terroristen", die ihre selbsternannten Eliten bedrohen, wie seinerzeit hierzulande die RAF.
Wenn terroristische Organisationen wie der NSU jedoch lediglich (!) ausländische Mitwürgerinnen und Mitbürger bedrohen oder sogar töten, fühlen sich diese Eliten in keiner Weise tangiert.
Und das ist und bleibt schlimm, ganz schlimm.

Da Herr Schmidt nicht weiter

auf das Thema Staatsterrorismus eingehen wollte, kann man nur spekulieren. Ich vermute, damit sind die Verstrickungen staatlicher Akteure in kriminelle terroristische Aktionen gemeint. Eine geheimdienstliche Unterwanderung/ Steuerung terroristischer Gruppen wie der RAF, Brigade Rosso oder NSU ist nach heutigem Kenntnisstand nicht auszuschließen.
Bei letzterer wurden Ermittlungsakten über die Verstrickung von V-Leuten für absurde 120 Jahre unter Verschluß genommen.
In einem GEO-Artikel zur Ermordung des italienischen Politikers Aldo Moro 1973 durch Brigade Rosso wird erwähnt, dass ca. ein Drittel (!) der zahlreichen Attentate jener Zeit in Italien False Flag- Aktionen waren, um linke bzw. kommunistische Bewegungen zu diskreditieren. Unter diesem Aspekt sind alle spektakulären Terrorismus-Fälle kritisch zu beäugen, und geheimdienstlichen Verlautbarungen muss mit äußerster Skepsis begegnet werden.

Ich gehe davon aus, dass es

Ich gehe davon aus, dass es bis heute keine Terroranschläge/Attentate auf Politiker gibt, die nicht von in- und/oder ausländändischen Geheimdiensten instrumentalisiert wurden. Terroranschläge sozusagen als Steuerungsmechanismus um z.B. Rechte der Bürger einzuschränken bzw. Personen ausschalten, die nicht auf Linie sind.

So pauschal

So pauschal würde ich es nicht formulieren.
Die Klaviatur an Möglichkeiten zur Steuerung ist viel komplexer, denke ich.
Gute und schockierende Augenöffner in diesem Zusammenhang sind meiner Meinung die Bücher "Schock-Strategie" von Naomi Klein oder "Bekenntnisse eines Economic Hitman" von John Perkins.

Blindheit

Rechte Terroristen stellen das bestehende Wirtschaftssystem nicht infrage noch fordern sie eine weitergehende Demokratisierung, vondaher sind sie keine Bedrohung für die selbsternannten "Eliten".
Aber Polizei und "Verfassungsschutz" sind nicht blind auf dem rechten Auge; Die haben ihren Klassenauftrag und dem kommen sie auch nach. Das ist Struktur und so KKK Mitglieder bei der Polizei BW sind eben kein "bedauernswerter" Einzelfall. Warum wir der Fall Temme nicht aufgeklärt, was ist mit Bouvier und wie hängen "sozialdemokratische Sicherheitspolitiker" mit in den Strukturen ?????
Wer Akten 120 Jahre lang wegsperrt dient nicht dem Schutz des demokratischen Staates, sondern macht ihn unglaubwürdig.

http://de.wikimannia.org/Helmut_Schmidt

Da Helmut Schmidt die Ausdeutung seines Satzes im Interview ablehnt, kann man nur den Kontext des Zeit Interviews betrachten. Im Zusammenhang mit "privat" organisierten Terroristen fällt hierbei einerseits die Unterstützung der DDR wie auch die Kooperation der RAF mit der PLO, die wiederum mit Petro Öl unterstützt wurde, ins Auge. Aber auch die "terroristischen" Auswirkungen totalitärer Regime wie Militärdiktaturen nach dem zweiten Weltkrieg.