Mitgliederbefragung

Warum Nina Scheer und Karl Lauterbach Parteivorsitzende werden wollen

Benedikt Dittrich28. August 2019
Karl Lauterbach und Nina Scheer bewerben sich als Duo um den Parteivorsitz der SPD.
Wer kandidiert für den Parteivorsitz? Der „vorwärts“ stellt alle nominierten Kandidat*innen in einem Interview vor. Alle bekommen identische Fragen und haben gleich viel Platz für das Interview. Diesmal antworten Nina Scheer und Karl Lauterbach. Sie wollen Deutschland sozialer machen, die Schuldenbremse für Investitionen in Bildung und die Energiewende aussetzen sowie mehr Platz für die Ideen der Parteibasis schaffen.

Nach der ersten Runde der Mitgliederbefragung haben es die Duos Klara Geywitz mit Olaf Scholz und Saskia Esken mit Norbert Walter-Borjans ins Finale geschafft. Alle übrigen Kandidierenden sind ausgeschieden.

Warum wollen Sie Parteivorsitzende werden?

Eine gerechte Gesellschaft braucht eine starke Sozialdemokratie, die unverkennbar für die Durchsetzung ihrer Grundwerte kämpft - in allen Lebensbereichen. Wir stehen für eine SPD, die den Erhalt von Lebensgrundlagen, den Schutz von Ressourcen, Klimaschutz und eine zu beschleunigende Energiewende als Frage von Gerechtigkeit und Teilhabe versteht. Wir stehen für eine starke sozial-ökologische Politik, die ungerechte Ungleichheiten vermindert und damit, besonders in der Bildungspolitik, die Arbeitsplätze der Zukunft schafft. Nur die SPD kann die Zukunftsfragen der Digitalisierung beantworten, weil wir sowohl die Möglichkeiten wie auch die Risiken der fortschreitenden Digitalisierung sehen und gestalten wollen. Diese Aufgaben wollen wir als Parteivorsitzende mit der Basis der Partei angehen.

Wie haben Sie sich zu diesem Duo zusammengefunden und wo unterscheiden Sie sich?

Uns verbindet ein fachübergreifender Blick. So ist Gesundheitspolitik verknüpft mit Bildung und Forschung, mit Umweltbelastungen, gesunder Ernährung, Vorsorge und damit auch dem Schutz von Lebensgrundlagen. Über die Themen Klimaschutz und Energiewende haben wir einen großen gemeinsamen Nenner wahrgenommen. Einen Dissens hatten wir, als es um die die Große Koalition ging. Nina Scheer war gegen eine Fortsetzung, Karl Lauterbach dafür.

Warum sind Sie zur SPD gekommen?

Wenn einem das Thema Gerechtigkeit am Herzen liegt, kann es nur eine Partei geben.

Persönlich

Nina Scheer

Geboren: 11. September 1971 in Berlin

Landesverband: Schleswig-Holstein

In der SPD seit: 1987, Mitglied der Grundwertekommission seit 2011, Kreisvorsitzende der SPD Herzogtum Lauenburg, Mitglied des Landesparteirates der SPD Schleswig-Holstein.

Beruf: Bundestagsabgeordnete

 

Karl Lauterbach

Geboren: 21. Februar 1963 in Düren

Landesverband: Nordrhein-Westfalen

In der SPD seit: 2001, Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion seit 2013

Beruf: Bundestagsabgeordneter

Was sind für Sie die drei wichtigsten Themen?

Deutschland muss sozialer werden als es derzeit ist oder zu sein scheint. Große Unterschiede in Lebenserwartung, Lebensqualität, Einkommen, Vermögen und Bildung drohen das Land in eine Zwei- oder sogar Dreiklassengesellschaft zu spalten. Diese Ungleichheiten gehen meist nicht auf Leistung, sondern Herkunft und Privilegien zurück. Auch müssen die Fehler der Agenda 2010 beseitigt werden. Hartz IV wollen wir abschaffen. Der Arbeitsmarkt in Deutschland steht vor den Aufgaben der Digitalisierung, der Energiewende, des demographischen Wandels und den Schutz unserer Lebensgrundlagen. Daher muss dringend in Infrastruktur, Bildung und in die Energiewende investiert werden. Die Gerechtigkeitsfragen von morgen sind unmittelbar mit dem Schutz von Ressourcen und Lebensgrundlagen verknüpft. Wir müssen nachhaltiger sein und dabei konsequent die Klimaziele einhalten. Daher sollte das Ziel Umstieg auf Erneuerbare Energien ins Grundgesetz aufgenommen und die Schuldenbremse für Investitionen in Bildung und Infrastruktur ausgesetzt werden. Die Wirtschaft muss die Lebensbedingungen für alle verbessern und nicht Megakonzerne immer mächtiger und die Reichen immer reicher machen. Nachhaltigkeit umfasst aber auch sozialen Fortschritt. Die Plattformen in der neuen Arbeitswelt schreien nach einer starken Sozialdemokratie, die für faire Arbeitsbedingungen steht, weil sonst große Steuerverluste und Verluste an Arbeitnehmerrechten drohen. Und Deutschland muss sicherer werden. Dazu gehört Sicherheit vor rechter Gewalt, vor Terrorismus, vor der organisierten Kriminalität, vor kriminellen Clans, aber auch Sicherheit vor Altersarmut oder vor gesundheitlichen Schäden. Dazu zählt auch die öffentliche Sicherheit: Privatisierungen und globaler Wettbewerb dürfen nicht zum Ausverkauf des Staates führen. Unser Steuer- und Finanzsystem muss auf die Förderung von Gemeinwohl ausgerichtet werden. Es muss belohnt werden, zugunsten des Gemeinwohls zu wirtschaften. Wir streiten zudem für die Garantie von Daseinsvorsorge - von Bildung, Pflege, Gesundheitsversorgung bis hin zu einer auf Teilhabe ausgerichteten Infrastruktur. Global betrachtet muss es um fairen Handel gehen - auch zur Bekämpfung von Fluchtursachen.

Was wollen Sie als Parteivorsitzende verändern?

Die Sozialdemokratie muss in in allen Bereichen aus sich heraus für sozialdemokratische Politik stehen. Sätze wie „wir müssen nicht grüner als die Grünen sein“ sind genau das Gegenteil dieses Selbstverständnisses, da man sich hierbei von dem Agieren anderer Parteien abhängig macht und politische Lücken entstehen lässt. Es ist falsch, die Positionierung der Sozialdemokratie möglichen Bündnisoptionen unterzuordnen. Damit macht sich unsere Partei klein und verliert an Inhalten wie Glaubwürdigkeit. In der Parteiarbeit muss die Arbeit der Parteibasis in den Mittelpunkt. Der Ideenreichtum unserer Parteimitglieder muss die Grundlage sozialdemokratischer Aktion werden. Wenn eine gewisse Anzahl an Gremien einen gleichlaufenden Antrag stellt, muss dieser auf dem Bundesparteitag diskutiert werden. So z.B. kann die Basis besser einbezogen werden.  Zudem muss das Leitantragswesen überarbeitet werden. Heute erzielen Leitanträge leider häufig den Effekt einer Konsenslinie, die wertvolle inhaltliche Auseinandersetzungen vermeidet. Damit geht der Partei viel an Ideen und Kampfgeist verloren. Wir stehen für Loyalität und Solidarität - im Team und in unserem Selbstverständnis was die Parteiarbeit betrifft.

Wo sehen Sie die größte Herausforderung, vor der die SPD steht?

Die SPD muss wieder ein klares Profil bekommen als die einzige Partei, die glaubwürdig Sozial- und Umweltpolitik zusammenbringen kann. SPD muss wieder ein Synonym für Glaube an eine bessere Zukunft werden. Die Partei, die das Zentrum fortschrittlicher Politik in Deutschland ist.

Wie stehen Sie zu einer Regierungsbeteiligung der SPD im Bund?

Regierungsbeteiligungen stehen immer für Gestaltungsmacht. Sie müssen somit auch immer ein parteipolitischer Anspruch sein. Für eine glaubwürdige Politik darf zugleich nur dann regiert werden, wenn es inhaltlich zielführend ist. Da die genannten wesentlichen Zukunftsaufgaben der Sozialdemokratie von der Großen Koalition in zu vielen Bereichen nicht bewältigt werden, empfehlen wir die Große Koalition zu verlassen. Über Austritt oder Verbleib wollen wir die Mitglieder befragen, schließlich haben sie auch über den Eintritt in die Große Koalition entschieden. Ein produktives Regierungsbündnis sehen wir insofern in rot-grünen Konstellationen. Regierungsbündnisse sind aber kein Selbstzweck. Das „Ob“ hängt immer an möglichen Verhandlungsergebnissen.

 

Hinweis in eigener Sache:

Liebe Leserinnen und Leser,

der „vorwärts“ hält Sie über das Verfahren für die Wahl des Parteivorsitzes auf dem Laufenden. Das betrifft das Verfahren genauso wie die Vorstellung der Kandidierenden oder später die Berichterstattung über Regionalkonferenzen. Anders als die klassischen Medien berichten wir als Mitgliederzeitung aber erst, wenn die Kandidierenden offiziell vom Wahlvorstand nominiert worden sind und damit auch alle vom Parteivorstand beschlossene Kriterien erfüllt haben. Dabei ist uns die Gleichbehandlung aller Kandidierenden wichtig. Deswegen stellen wir allen identische Fragen, und alle haben gleich viel Platz für das Interview. Über die Länge der Antworten zu den einzelnen Fragen können die Kandidierenden selbst entscheiden. Auf weitere Berichterstattung über einzelne Kandidierende (Einzelne oder Teams) verzichten wir im Sinne der Gleichbehandlung, bis die Bewerbungsphase abgeschlossen ist.

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Kommentare

Nette Werbesprüche

"SPD muss wieder ein Synonym für Glaube an eine bessere Zukunft werden"

Ja das klingt ganz nett.
Wohin sollen dann aber die ganzen "vernetzten" Politiker abgeschoben werden ? Umerziehen wird kaum gehen, da steht jahrzehnte alte Agenda-Überzeugung dagegen.

Selbst wenn Willi Brandt persönlich wiederaufersteht und den Vorsitz übernimmt, das Erste was der gute Mann machen würde wäre sofortiger Parteiaustritt.

Mit den ganzen Verfilzungen die die SPD schon in den Jahren vor Schröder angesammelt hat sowie dem permanenten Unterwerfen unter die Interessen eben der "Megakonzerne" die man angeblich einhegen will ist jeder noch so integre Bewerber(/in/*) auf verlorenem Posten.

Hier muß die gesamte Partei und die gesamte Fraktion zeigen das sie sich wirklich von den Irrwegen der Agenda (und der Geldgeber !) lösen will und wird.

Und was die "Digitalisierung/Industrie 4.0" angeht, liebe Politiker (aller Parteien), hört bitte endlich auf Eure umfassende fachliche Inkompetenz in diesen Belangen täglich, ja stündlich, vorzuführen...

Es hat Gründe warum industrielle Programmierumgebungen zunehmend für weniger Qualifizierte ausgelegt sind.(z.B., TIA-Portal basic)...

who is who

wer hat den hier was geantwortet?

"...den Effekt einer Konsenslinie, die wertvolle inhaltliche Auseinandersetzungen vermeidet."

das scheint mir bei der beantwortung der fragen auch der fall zu sein

Gemeinsame Antworten

Den Kandidierenden bleibt es selbst überlassen, ob sie auf die gestellten Fragen eine gemeinsame Antwort formulieren (wie in diesem Fall) oder unabhängig voneinander antworten (wie beim Duo Kampmann/Roth).

Beste Grüße

Karl ist kein Spaltpilz !

Wenn Olaf Scholz, wie von Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke im Deutschlandfunk-Interview gesagt, der Spaltpilz unter den SPD-Kandidat/innen ist, so könnte Karl Lauterbach und Nina Scheer den für die SPD nötige Konsensfähigkeit herstellen, wenn auch dem Genossen Karl bisweilen eine noch zu große Nähe zu Pharma-Industrie nachgesagt wird. Aber das ließe sich ja durch entsprechend angekündigte Anti-Lobby-Gesetzgebung entkräften ! Ich denke da kommt noch was !