Sozialdemokratie

Neuseeland: Was die SPD von Jacinda Ardern lernen kann

Liban Farah28. Dezember 2020
Vorbild für die SPD? Jacinda Ardern ist ein Shootingstar der internationalen Sozialdemokratie.
Vorbild für die SPD? Jacinda Ardern ist ein Shootingstar der internationalen Sozialdemokratie.
Jacinda Ardern ist ein Shootingstar der internationalen Sozialdemokratie. Mit ihrer Politik begeistert sie nicht nur die Menschen in Neuseeland. Die SPD kann von ihr einiges lernen.

Der rechtsextremistische Terroranschlag von Christchurch, ein Vulkanausbruch und nun die verheerende COVID19-Pandemie: Jacinda Ardern, die junge Premierministerin Neuseelands, musste bereits in ihrer ersten Amtszeit mehrere, gewaltige Krisen überstehen. Dem Wahlergebnis vom 17. Oktober nach zu urteilen, macht sie ihre Arbeit allerdings gut. Die Wähler*innen attestierten ihr ein herausragendes Zeugnis: Ihre politisch mitte-links positionierte „Labour Party“ erlangte zum ersten Mal seit Einführung der personalisierten Verhältniswahl eine absolute Mehrheit. Deutsche Sozialdemokrat*innen haben da sicherlich sehr genau hingehört. Denn die Ähnlichkeit des neuseeländischen Wahlsystems zum deutschen, macht Analysen wesentlich sinnvoller als beispielsweise Vergleiche mit Ländern wie Großbritannien, Frankreich oder Dänemark.

Lange befand sich die Labour Party in Neuseeland in einer Krise. Bei der Parlamentswahl im Jahr 2014 lag die politisch mitte-rechts verortete „National Party“ unter dem damaligen Premierminister John Key das dritte Mal in Folge vorn. Noch Ende 2016 hatte die Partei mit fast 50 Prozent Zustimmung in den Umfragen einen kaum aufzuholenden Vorsprung. Dann kam Jacinda Ardern.

Die Rahmenbedingungen

Auch wenn einiges an der Situation der Labour Party mit der der SPD vergleichbar ist, so sind es einige Punkte nicht: In Neuseeland gab es keine „große Koalition“ zwischen den Volksparteien. Labour wird in den Augen der Wähler*innen daher nach wie vor als soziale Wahlalternative gesehen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass es in der parteipolitischen Landschaft Neuseelands keine große Spaltung zwischen Sozialdemokrat*innen und Linken gab.

Die SPD, die sich seit 2005 in einer politischen Zange zwischen „Mitte-Anspruch“ und Angriffen von Links befindet, hat also wenig mit der neuseeländischen Labour Party gemein. Denn die einzig ernsthafte, linke Alternative zu Arderns Labour ist eine linke Grüne Partei. Und gerade an diesem Punkt ist bemerkenswert, dass Jacinda Ardern – trotz absoluter Mehrheit – dennoch mit den neuseeländischen Grünen regiert. Der Anspruch, dass keine starke Opposition links der traditionellen Arbeiter*innenpartei entstehen darf, ist wohl eine der erfolgreicheren Strategien der Labour Party.

Die Themen

Wohnungskrise, soziale Ungerechtigkeit und der Klimawandel – wem diese Themen bekannt vorkommen, der wird feststellen, dass ein Vergleich zwischen Labour und der SPD auch inhaltlich interessant ist. Jacinda Ardern hat diese Themenschwerpunkte in während ihrer ersten Regierungszeit bewusst gesetzt: Es sind Fragen, die konservativ-wirtschaftsliberale Parteien nicht lösen können. Was in Berlin, Köln oder auch in einer 77.000-Einwohner-Stadt Marburg (in der auch der Autor wohnt) klar wird – nämlich, dass der Markt die Wohnungskrise nicht lösen kann – ist auch bei den „Kiwis“ nicht unbemerkt geblieben. Das Versagen der National Party in diesem politischen Feld hat für eine Rückbesinnung alter Erkenntnisse geführt.

Es braucht stattdessen einen starken Staat, der die negativen Auswirkungen des Marktes eindämmt und essenzielle Güter wie bezahlbares Wohnen, Daseinsvorsorge oder die Umwelt schützt. Auch wenn es in der Opposition natürlich leichter wäre, so muss es auch der SPD als Juniorpartner in Regierungsverantwortung möglich sein, klar zu benennen wo sie in diesen Bereichen Fehler gemacht hat und warum eine unionsgeführte Bundesregierung bestenfalls unzureichende Antworten geben kann, eine sozialdemokratisch geführte Koalition dagegen die richtigen. Niemals darf die SPD vergessen zu betonen, dass sie die einzige Partei außer der CDU ist, die bereits Kanzler gestellt und Regierungen geführt hat.

Die Person

Die Sozialdemokratie wird aufgrund ihrer Hauptkompetenz gewählt: Soziales. Dies sollte von der SPD widergespiegelt werden. Denn eine Partei, die vor allem als streitend wahrgenommen wird, ist nicht nur im „stabilitätsliebenden“ Deutschland unattraktiv. Es ist besonders widersprüchlich, wenn „die soziale Partei“ schlecht mit ihrem Spitzenersonal ungeht. Machtkämpfe gehören zwar zur Politik dazu, das ist auch in Neuseeland nicht anders. Doch der stille Aufstieg der neuseeländischen Parteivorsitzenden Ardern und ihr darauffolgender Ansehensgewinn als „Kümmerin“ und „immer-positiv“ Vorsitzende, gibt den Wähler*innen ein gutes Gefühl, wenn sie sich für die Labour Party entscheiden.

Nicht umsonst sind es hierzulande gerade Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz oder Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern, die seit Jahren konstant als Anwärterinnen für Kanzlerkandidaturen der SPD gehandelt werden. Insbesondere in Zeiten des „männlichen Chaos“ bei der CDU-Vorsitzendenwahl, bleibt die kompetente und regierungserfahrene Kümmerin der sozialdemokratische Trumpf.

Die Botschaft

Jacinda Ardern besetzt ihr Kabinett divers. Mit acht Frauen, mehreren Ureinwohner*innen und Vertreter*innen der LGBTIQ-Community. Es ist ein Kabinett, das wirklich die Gesellschaft abbildet. Die Botschaft soll folgende sein: Die Sozialdemokratie muss sich, insbesondere in Zeiten des erstarkenden Hasses, mehr um den Dialog zwischen den gesellschaftlichen Gruppen kümmern. Sie muss, genauso wie in Neuseeland, die Bewegung des Zusammenhalts und der Repräsentanz sein.

Das heißt für die SPD, dass sie sich wieder stärker auf ihre Wurzeln als Partei der Arbeiter*innen und der Menschen mit Migrationshintergrund besinnen muss. Sie darf im Angesicht von Tabubrüchen, wie der Wahl Thomas Kemmerichs mithilfe der AfD, nicht „nur“ antifaschistisch sein. Sie muss proaktiv antirassistisch sein und auch mal eigene Strukturen hinterfragen. Nicht nur ihre Ansprache muss jünger, weiblicher und bunter werden, sondern auch ihr Personal. Also muss wohl eine weitere kompetente Anwärterin hinzu kommen: Vielleicht die schleswig-holsteinische Landesvorsitzende und stellvertretende Bundesvorsitzende: Serpil Midyatli?

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Kommentare

Mit dem Lernen ist das in der SPD immer so eine Sache ...

Rührt "das Lernen" nicht an den Strukturen der Partei, nicht am Spitzenpersonal, nicht an dem was für die eine oder andere denkbare Koalition als möglicher notwendiger inhaltlicher Kompromiss vorzuhalten wäre und sichert dieses den jetzigen Mandatsträgern diese Mandate auch für die Zukunft ab - mithin wenn "alles beim Alten bliebe" - ist die Lernfähigkeit riesengroß ...

Der versemmelte "inhaltliche und personelle Erneuerungsprozess" nach der ersten desaströsen Bundestagswahl (2009) hat leider deutlich gemacht, dass "Lernen" nicht zu der Stärke der SPD gehört!

Lernen

Genau richtig ! Der strukturkonservative Apparat verhindert das Lernen und er stützt sich dabei auch auf die neoliberalen Medien. Seit die Seeheimer in den Nullerjahren die SPD dominieren ist von Lernen nichts mehr zu merken - Aufrüstung, USAdministrations-Hörigkeit, Politik für die Wohlhabenden und Konzerne, das ist seither das Markenzeichen der SPD. Einen linkel Flügel gibt es nicht mehr (verkaufe mir jetzt keiner den Kevin), richtige Sozialdemokraten gibt es eher in anderen Parteien (und auch dort haben sie es schwer) oder sind parteilos. Wenn die "linken" Parteivorsitzenden diesen Finanzminiser zum SPD Spitzenkandidaten vorschlagen .... was bitte ist dann LINKS ? Der bedingungslose Opportunismus gegenüber dem Kapital seit Schröder hat sich bis jetzt für die Partei nicht gelohnt - reicht das nicht um endlich zu lernen ?

Strukturelle Probleme sind entscheidender als Personen

Die Vergleichbarkeit an den Wahlsystemen festzumachen ist eher schwierig. Von der parteipolitischen Landschaft her ist Dänemark zB. viel näher, weil auch hier die Sozialdemokraten starke Konkurrenz von links haben.

Da das System in Neuseeland lange das Mehrheitswahlrecht war, ist die historische Entwicklung auch eine ganz andere. Was wir sehen, ist die Bedeutung von Persönlichkeiten, die zur richtigen Zeit das Richtige sagen oder die richtige Geste finden. Das ist aber keine neue Erkenntnis, und hat auch weniger mit dem Geschlecht zu tun.

Der aktuelle Zustand der SPD hat kaum etwas mit Koalitionen oder dem Wahlsystem zu tun. Sicher fehlen überzeugende Persönlichkeiten, aber die grundlegenden Probleme sind andere. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich sehr stark verändert, und die Partei findet darauf keine Antwort bzw. will sich gar nicht darauf einlassen. Das fängt schon an mit dem krampfhaften Festhalten am Begriff der "Volkspartei".

warum bringen Sie

ausgerechnet DK ins Spiel? Da herrscht vornehmlich bei den Sozialdemokraten eine Migrationskritische Einstellung, die auf Deutschland nicht übertragen werden kann. Sie bringen die SPD mit dem Verweis auf Erfolge in DK in eine ausserordentliche Bedrouille. Ich bitte Sie, das zukünftig in Erwägung zu ziehen, bevor Sie damit in die Öffentlichkeit gehen.