SPD-Bundestagsfraktion

Neuling mit 70: Wie Herbert Wollmann sensationell in den Bundestag kam

Kai Doering07. Oktober 2021
Will die Gesundheitspolitik mitgestalten: Mediziner und Neu-Abgeordneter Herbert Wollmann
Will die Gesundheitspolitik mitgestalten: Mediziner und Neu-Abgeordneter Herbert Wollmann
Der Listenplatz aussichtslos, das Direktmandat unwahrscheinlich: Dass Herbert Wollmann in den Bundestag einzog, ist eine Sensation. Der 70-jährige Arzt ist der älteste Neuling in der SPD-Bundestagsfraktion.

Eigentlich hatte Herbert Wollmann den Einzug in den Bundestag fast schon abgeschrieben. Als die SPD Sachsen-Anhalt im Frühjahr ihre Landesliste aufstellte, landete er nur auf Platz acht (von neun), eine herbe Enttäuschung. Das Direktmandat in der Altmark, wo Wollmann antrat, hatte die SPD zuletzt 2005 geholt. „Eigentlich war es unmöglich, aber ich habe es auch nie für ganz aussichtslos gehalten“, sagt Herbert Wollmann rückblickend.

Am Ende erlebte der 70-Jährige einen entspannten Wahlabend. Früh lag er mit komfortablem Vorsprung vor seinem Kontrahenten von der CDU und baute diesen Stunde um Stunde immer weiter aus. Mit 27,5 Prozent gewann er den Wahlkreis schließlich direkt mit fast sechs Punkten Vorsprung auf Platz zwei. Die Sensation war perfekt und umso größer, da sie SPD bei der Landtagswahl ein Vierteiljahr zuvor in Sachsen-Anhalt gerade mal 8,4 Prozent der Stimmen erhalten hatte.

Bekannt, bevor der Wahlkampf begann

„Du musst aktiv sein, dann klappt es“, lautet eine der Lehren, die Herbert Wollmann aus den vergangenen Wochen zieht. „Ich habe schon den gesamten Landtagswahlkampf mitgemacht“, erzählt er. Am 6. Juni wurde in Sachsen-Anhalt gewählt. „Ich habe mich bei den Landtagskandidaten eingeklinkt und viele Termine gemeinsam mit ihnen absolviert“, berichtet Wollmann. So sei er schon bekannt gewesen bevor der Bundestagswahlkampf begann.

Obwohl: Wirklich bekannt machen musste sich Herbert Wollmann in der Altmark ohnehin nicht mehr. „Als Arzt bin ich gut vernetzt und auch in vielen Vereinen aktiv.“ 1992 kam er aus Berlin in die Region, um als Kardiologe ein Herzkatheterlabor am Johanniter-Krankenhaus in Stendal aufzubauen und zu leiten. Seit 1996 ist er als Hausarzt-Internist mit kardiologischem Schwerpunkt ambulant tätig.

Noch heute arbeitet er in Stendal, war mit seinem Team auch in die Impfkampagne gegen Corona eingebunden. Auf seiner Internetseite erklärt er in einem Video, wie Corona-Tests funktionieren. Auf seinen Wahlplakaten stand der Slogan „Damit die Pflege nicht in die Pflege muss“. Auch als Abgeordneter will er nicht ganz auf seine Patienten verzichten. „Ich arbeite mit einem Minijob weiter“, erzählt er. „Heute habe ich noch ein paar Herz-Ultraschalle.“

Gemeinsam mit dem Stellvertreter nach Berlin

Und auch im Stendaler Stadtrat will Herbert Wollmann bleiben. Hier macht er seit 12 Jahren Kommunalpolitik. 2019 erhielt er parteiübergreifend von allen Kandidat*innen die zweitmeisten Stimmen. „Den Fraktionsvorsitz werde ich aber abgeben“, kündigt Wollmann an. „Das wird sonst doch etwas viel.“ Im Rat bilden SPD und FDP eine gemeinsame Fraktion. Der Vize-Vorsitzende Marcus Faber sitzt bereits seit vier Jahren für die FDP im Bundestag. „In Zukunft werden wir die Altmark gemeinsam in Berlin vertreten“, freut sich Herbert Wollmann.

Er selbst möchte gerne im Auswärtigen Ausschuss oder Gesundheitsausschuss arbeiten. Am liebsten wäre ihm, einen der Ausschüsse hauptamtlich und den anderen vertretend zu bekommen. Da man von ihm in der Region erwarte, einen  Bezug zu den Problemen des ländlichen Raumes herzustellen, ist ihm ein Mitgestalten der Gesundheitspolitik sehr wichtig. Dem fühlt er sich als Praktiker mit über 40-jähriger Berufserfahrung durchaus gewachsen. Auch der Sportausschuss interessiert ihn, da er in Vereinen als Sportmediziner tätig ist.

Ein Wahlkreis so groß wie das Saarland

Die erste Woche als frisch gewählter Abgeordneter hat er in guter Erinnerung. „Es war etwas ungewohnt, aber sehr beeindruckend“, berichtet der 70-Jährige, der als Neuling der älteste Abgeordnete der SPD ist. „Ich freue mich schon drauf, wieder hinzufahren.“ Im Moment ist Herbert Wollmann dabei, Gespräche mit möglichen Mitarbeiter*innen zu führen. Bis er ein eigenes Büro hat, wird noch etwas Zeit vergehen. Eine Wohnung in Berlin will er sich aber nicht mieten. „Bei 50 Minuten Fahrtzeit zwischen Berlin und Stendal kann ich gut pendeln.“ Viel unterwegs wird Wollmann ohnehin sein: Sein Wahlkreis zwischen Stendal, Salzwedel und Gardelegen hat in etwa die Größe des Saarlands.

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Kommentare

bitte nicht persönlich nehmen, aber

ich finde es mit Blick auf den ohnehin schon hohen Altersdurchschnitt bedenklich, einen 70 jährigen Neuling hier abzufeiern. das soll nicht bedeuten, dass ich ihm das Mandat nicht gönne, oder nicht zutraue. Vielmehr sollte doch der Bundestag Abbild der ganzen Gesellschaft sein, das gelingt mit seiner Altersstruktur schon mal gar nicht. Arbeitnehmer werden mit Erreichen dser rentenaltersgrenze zwangsverrentet, im Bundestag wäre man mit 65 geradezu ein Jüngling. Muss das sein? Warum können die Politiker nicht loslassen- es gibt doch andere Beschäftigungsmöglichkeiten im Alter- Reisen, Ehrenamt - Fernsehen- Rundfunk- Spazierengehen. Alles allen zuzumuten, nur nicht den Politikern

70-jähriger Abgeordneter

Angesichts der vielen jungen Leute in der neuen SPD-Fraktion, finde ich es völlig in Ordnung, dass ein älterer Genosse neu in den Bundestag geht.

Gerade richtig so!

Ich finde den Kommentar zum Altersschnitt sehr abwegig. Hier kommt mal jemand in den Bundestag, der mit seiner ganzen Lebenserfahrung und beruflichen Expertise richtig wertvoll sein kann. Wenn man im Bundestag 1:1 die Altersverteilung abbilden möchte, würden im Wesentlichen nur junge Menschen nachrücken - dann hätten wir weit überwiegend Berufspolitiker im Bundestag, die nie ein "normales" Leben geführt hätten. Man kann als Partei darüber nachdenken, Listen und Direktkandidaten nur für begrenzte Zeiträume aufzustellen (bzw. nur im Einzelfall davon abzuweichen). Aber den 70-jährigen Neuling zu kritisieren bewirkt genau das Gegenteil - der Bundestag würde an Vielfalt verlieren. Und wenn man nur 5min darüber nachdenkt, kapiert man das auch.