
Sven Plöger, den wir als Wetterexperten der ARD kennen und schätzen, stürmt mit seinem neuen Buch zum Klimawandel die Bestsellerlisten. Beim Spiegel steht „Zieht Euch warm an, es wird heiß! – Den Klimawandel verstehen und aus der Krise für die Welt von morgen lernen“ auf Platz 1. Das ist ein gutes Zeichen, zeigt es doch, dass auch die in den letzten drei Monaten dominierende Corona-Krise die Aufmerksamkeit auf die Klimagefahren nicht verdrängt hat. Dem Autor kommt der Verdienst zu, dass er seit Jahren den anthropogenen Klimawandel verständlich erklärt, seine Ursachen beschreibt, vor den Gefahren warnt und Auswege aus der Klimakrise aufzeigt. Das macht Plöger in seiner bekannt leicht verständlichen, anregenden und engagierten Weise.
Interessanter Vergleich mit Covid-19
Am Anfang des Buches zieht er trotz aller Unterschiede den Vergleich zu Covid-19, den kleinen Bruder der Klimakrise. Tatsächlich ist auch die Aufheizung der unteren Luftschichten durch Treibhausgase ein planetarischer Virus, der mit seinem Fieber die Erdatmosphäre, das Immunsystem unseres Planeten, zerstört. Wenn es so weiter geht, wird nach den Untersuchungen des Weltklimarates eine globale Erwärmung von 1,5 Gard Celsius um das Jahr 2045 herum erreicht werden. Und rund 25 Jahre später die 2 Grad Celsius-Grenze.
Plögers These heißt: Die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen während des weltweiten Herunterfahrens wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Aktivitäten in der Corona-Zeit ist quantitativ das, was wir in den nächsten Jahren als Absenkung brauchen, allerdings nicht nur für einige Wochen, sondern über die ganze Zeit. Eine Reduktion von 7,6 Prozent wäre erforderlich – und zwar jährlich und bis zu Mitte unseres Jahrhunderts.
Wer früh reagiert, handelt richtig
Plöger zieht im Vergleich zur Corona-Pandemie das Fazit: Länder, die den Ausbruch frühzeitig bemerkt haben und entsprechend der wissenschaftlichen Erkenntnisse schnell reagoeren, sind die erfolgreichsten. Allerdings hat die Klimakrise sowohl flächenmäßig als auch in den Auswirkungen eine noch deutlich größere Dimension. Nationale Vorreiter sind notwendig, aber sie allein werden die Klimakrise nicht verhindern. Richtig ist, dass es bei den Corona-Gefahren genauso eine Verdrängung der Warnungen gegeben hat wie beim anthropogenen Klimawandel, denn die ersten Hinweise gegen die Corona-Viren gab es bereits 2003 und es folgten sieben weitere. Allerdings ist die Ursache-Wirkungskette bei Corona viel schneller, beim Klimasystem müssen wir von einer Anpassungsfrist an die erhöhten Emissionen von mehreren Jahrzehnten ausgehen.
Natürlich stellt der Autor fest, dass wir seit vielen Jahren über die Klimagefahren Bescheid wissen, der Widerspruch zwischen Wissen und Handeln aber immer größer wird. Zwei Fakten dazu, die auch dem Buch gut getan hätten:
Gefährliche Untätigkeit seit Jahrzehnten
Vor jetzt 30 Jahren hat die Klima-Enquete einen detaillierten Maßnahmenkatalog beschlossen, der im Deutschen Bundestag sogar einstimmig beschlossen wurde. Wäre dem Vorschlag gefolgt und in der zweiten Phase von 2005 bis 2020 die aufgezeigte Reduktionslogik fortgesetzt worden, lägen die Treibhausgas-Emissionen heute um rund 70 Prozent niedriger als damals. Doch es kam anders und es waren fast immer kurzfristige wirtschaftliche Interessen, die das Umsteuern verhindert haben.
Zwei Jahre später, 1992, hat die Weltgemeinschaft auf dem UN-Erdgipfel zu Umwelt und Entwicklung den Klimarahmenvertrag beschlossen, der weltweit eine Reduktion der Treibhausgase fordert. Doch seitdem haben sich die Kohlendioxid-Emissionen verdoppelt – trotz der jährlichen UN-Klimaschutzkonferenzen, die deshalb durchgeführt werden, um zu einer wirksamen Klimadiplomatie zu kommen. Auch die Festlegungen der Pariser Klimakonferenz, auf der das Ziel einer Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius beschlossen wurde, kommen nur langsam, zu langsam voran.
Wir brauchen einen ökologischen New Deal
Sven Plöger hat Recht: Darauf zu hoffen, dass wir uns nun aus tiefer Einsicht verändern, ist naiv. „Die Gier, die in unserem jetzigen System steckt, muss gelenkt werden. Nur so bekommen wir den dringend nötigen Green Deal hin.“ Ja es ist richtig, die Klimakrise nicht auf individuelle Verhaltensweisen zu reduzieren, weil sie auch eine systemische Frage ist, die nicht zu trennen ist von der Art zu wirtschaften und zu konsumieren. Und auch nicht von der Gerechtigkeits- und Verteilungsfrage.
Deshalb ist es auch besser, vom ökologischen New Deal zu sprechen und nicht nur vom ökologischen Deal. Der New Deal – die Neuausteilung der Karten, die 1933 zum Wohlfahrtsstaat in den USA führte – hat nämlich eine historische und analytische Würde, die durch die soziale Disziplinierung der Wirtschaft die Nachkriegsentwicklung in den westlichen Industriestaaten geprägt hat. Auch heute geht es nicht nur um einen ökologischen Deal, so wichtig er ist, sondern um die Verbindung des ökologischen Umbaus mit sozialer Sicherheit, also um die soziale und ökologische Disziplinierung der Wirtschaft, und damit auch um die Modernisierung des Wohlfahrtsstaates.
Falsches Wachstum beschleunigt die Krise
Mehr noch: Der Klimawandel ist der tiefste Einschnitt in der europäischen Moderne. Denn vor allem der Glaube an die Linearität, der in der Ideenwelt des Fortschritts, die in den letzten Jahrhunderten zum Weltmodell aufgestiegen ist, fest verankert ist, setzt auf Wachstum als Problemlöser. Tatsächlich ist Wachstum aber auch ein Problemtreiber. Die unbefriedigenden Ergebnisse der jährlichen UN-Klimakonferenzen haben letztlich ihre Ursache darin, dass nationale Wachstumsinteressen scheinbar noch immer wichtiger erscheinen als die globale Verantwortung für die soziale und natürliche Mitwelt. Doch durch die sich beschleunigende Klimakrise gerät die Menschheit an den Rand des Friedens, die globalen Erschütterungen und Verteilungskonflikte werden größer. Denn auf einer unwirtlichen Welt kann es schon bald keine gesicherten grünen Oasen des Wohlstands geben.
Sven Plöger beschreibt in einigen wichtigen Bereichen, was wir heute tun müssen und tun können, um den Klimawandel zu stoppen. Von daher gibt es nicht nur einen Widerspruch zwischen Wissen und Handeln, sondern auch die Unfähigkeit, das Notwendige möglich zu machen. Doch das ist jetzt das Wichtigste. Auch deshalb: Das Buch nicht nur lesen, sondern auch die Vorschläge ernsthaft umsetzen.
Sven Plöger: Zieht Euch warm an, es wird heiß! Den Klimawandel verstehen und aus der Krise für die Welt von morgen lernen, Westend-Verlag, ISBN: 978-3-86489-286-8, 19,95 Euro