Master an der Universität Marburg

Neuer Studiengang: Wie eine Uni gegen Rechtsextremismus schult

Jonas Jordan09. Juni 2022
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit Etris Hashemi, der den rechtsterroristischen Anschlag in Hanau überlebte.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit Etris Hashemi, der den rechtsterroristischen Anschlag in Hanau überlebte.
Rechtsextreme Vorfälle haben sich in Hessen zuletzt gehäuft. Nun soll ein Studiengang im Kampf gegen Rechts unterstützen. Tina Dürr von der Philipps-Universität Marburg erzählt, wie es dazu kam.

Zum Wintersemester 2022/23 startet an der Philipps-Universität Marburg der Master-Studiengang „Beratung im Kontext Rechtsextremismus“, der in dieser Form deutschlandweit einmalig ist. Wie kam es dazu?

Als Demokratiezentrum koordinieren wir das Beratungsnetzwerk in Hessen, das Mobile Beratung, aber auch Opfer- und Distanzierungsberatung leistet. Seit zehn Jahren bieten wir eine modulare Weiterbildungsreihe an, die deutschlandweit nachgefragt wird und mit der wir Beraterinnen und Berater methodisch und inhaltlich weiterbilden. Die Fachkräfte kommen mit einem hohen Engagement und einer akademischen Vorbildung in den Job, brauchen später aber eine spezifische Weiterbildung. Das können einzelne Workshops sein oder eine Weiterbildungsreihe. Wir haben versucht, das zu bündeln und in einen Studiengang münden zu lassen, der ein weiterbildender und berufsbegleitender Studiengang ist und mit einem Master abschließt.

An wen richtet sich der Studiengang?

Er zielt darauf ab, Fachkräften über zwei Jahre hinweg ein berufsbegleitendes Angebot zu machen, sich wissenschaftlich fundiert zu qualifizieren. Wir setzen eine einschlägige Berufserfahrung voraus. Die Leute kommen mit Vorerfahrungen im Kontext Rechtsextremismus, Rassismus und in der Beratung.

Mit Blick auf die Vorfälle im Kontext des Rechtsextremismus in Hessen in den vergangenen Jahren, sei es der Anschlag in Hanau oder auch der Mord an Walter Lübcke, stellt sich fast die Frage: Warum gibt es den Studiengang erst jetzt?

Ich bin froh, dass es ihn jetzt gibt und hoffe, dass er an den Start geht. Das ganze Berufsfeld der Mobilen Beratung wird bedeutsamer und stärker wahrgenommen – leider aufgrund der Vorfälle, die Sie erwähnt haben. Dadurch wird die Gesellschaft, aber auch Behörden sensibler. Die Förderung dieser Arbeit durch und Bund und Länder wird ausgebaut. Und in Hessen sind wir derzeit in der Situation, dass die Regierung diese Arbeit und auch den Studiengang unterstützt bzw. unterstützen will.

Sehen Sie ein strukturelles Problem in Hessen, was Rechtsextremismus angeht?

Wir haben mit Rechtsextremismus und Rassismus in Deutschland ein Problem. Es ist aber kein hessenspezifisches Problem. Der NSU war beispielsweise ein deutschlandweites Phänomen. Teilweise gibt es ein Gefälle zwischen Stadt und Land mit Blick auf den Umgang mit Rechtsextremismus, wie sensibel man reagiert. Auf der anderen Seite müssen Behörden und Institutionen jetzt stärker und strenger hingucken, was in ihren Reihen stattfindet und was in einem demokratischen Staat nicht stattfinden darf.

Innnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat kürzlich einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorgestellt. Wie beurteilen Sie ihr Handeln?

Gerade mit Nancy Faeser gehen Dinge in die richtige Richtung. Ich habe sie auch hier in Hessen erlebt. Sie ist eine Frau, die wirklich hinter dem Thema steht und der der Kampf gegen Rechtsextremismus wirklich am Herzen liegt. Da nehme ich sie ernst.

In Hanau und dem Main-Kinzig-Kreis haben sich nach dem Anschlag vom 19. Februar 2020 zahlreiche Vereine und Initiativen im Kampf gegen rechts und für die Demokratie gegründet. Ist die Zivilgesellschaft auch jenseits der Universitätsstädte aufgewacht?

Hanau ist ein spezieller Fall. Der Anschlag hatte in dem Großraum enorme Auswirkungen. Da passiert zivilgesellschaftlich viel. Was den ländlichen Raum angeht, ist es etwas anders. Da haben wir schon 2014/15 die einen Kommunen erlebt, die auf uns zugekommen sind, weil sie eine Willkommenskultur etablieren wollten. Und es gab wiederum andere Kommunen, wo es erst rechtsextreme Vorkommnisse geben musste, dass jemand auf die Idee kam, sich von außen Rat zu holen. Warum es diese unterschiedlichen Kulturen gibt, untersuchen wir aktuell mit einer Studie.

Zurück zum Studiengang, der zum Wintersemester 2022/23 mit 20 Plätzen starten soll. Ab wann kann man sich bewerben und wie werden die 20 Studierenden ausgewählt?

Seit Anfang Mai kann man sich für den Studiengang bewerben. Bewerben können sich alle, die ein abgeschlossenes Bachelorstudium und einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr im Kontext der Beratung haben. Die Zulassung erfolgt chronologisch. Das Studium wird möglich sein, wenn wir mindestens 15 Teilnehmende haben. Da es ein weiterbildender Studiengang ist, ist er vollkostendeckend finanziert. Aktuell haben wir eine Förderung in Aussicht, die jedoch noch nicht schwarz auf weiß ist. Deswegen müssen wir derzeit von einer Studiengebühr in Höhe von 3.950 Euro pro Semester ausgehen. Das ist viel und zu viel für unsere Zielgruppe. Daher sind wir in Verhandlungen mit dem hessischen Wissenschaftsministerium. Wir hoffen, die Gebühren noch um mehr als die Hälfte senken zu können.

Wie viele Bewerbungen gibt es bislang?

Aktuell haben wir zehn Bewerbungen, aber mit circa 30 Leuten gesprochen, die ernsthaft überlegen, sich zu bewerben. Bis Mitte Juli können sie das noch tun. Ich gehe davon aus, dass wir bis dahin genug Bewerbungen haben, um den Studiengang starten zu können.

Der Studiengang ist ein Pilotprojekt. Würden Sie sich wünschen, dass andere Universitäten nachziehen?

Erst mal würde ich mir wünschen, dass wir den Studiengang erfolgreich durchziehen und nach Abschluss die nächste Kohorte begrüßen können. Es wäre von Vorteil, wenn es mehr Studiengänge dieser Art gäbe: Denn das Interesse ist da.

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Kommentare

da gelingt die

Energiewende nicht wegen fehlendem Fachpersonals- Auftragsstau gerade im Heizungsbau. Auf dem Bau ist auch alles zappenduster, offene Stellen, aber keine Bewerber.

Wie auch immer, der Kampf gegen rechts muss Priorität behalten, und wir brauchen auch da mehr akademisch gebildete Fachleute . Die Richtung stimmt, und wann kommen die anderen Universitäten und Fachhochschulen, um auch dort entsprechende Studiengänge einzurichten?