
Mit Belgien, Bulgarien, der Tschechischen Republik, Dänemark und Estland geht es los. Die fünf EU-Staaten waren die ersten, die am Dienstag dem neuen „Rechtsstaatscheck“ der Europäischen Union unterzogen wurden. „Wir beginnen in alphabetischer Reihenfolge. So können wir auf jedes Land einen sehr präzisen Blick werfen, die Eigenheiten verstehen und vielleicht sogar etwas daraus lernen und es bei uns noch besser machen“, erklärt Europastaatsminister Michael Roth das Verfahren.
Die Unterschiede werden deutlich benannt
Am Dienstag hat er sich mit seinen Kolleg*innen im „Rat für Allgemeine Angelegenheiten der EU“ getroffen – Corona bedingt natürlich virtuell. Zentrales Thema der Runde war der „Rechtsstaatsdialog“, den die deutsche EU-Ratspräsidentschaft in den vergangenen Monaten etabliert hat. Vor allem der SPD war er ein Anliegen. „Der neue Dialog ist präventiv ausgelegt. Er soll also wachrütteln, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist“, erklärt Roth den Gedanken. Anhand einheitlicher Kriterien sollen zweimal im Jahr jeweils fünf EU-Staaten in Sachen Rechtsstaatlichkeit unter die Lupe genommen werden.
„Die Gleichberechtigung aller Länder ist uns dabei wichtig“, betont Michael Roth. Vorverurteilungen soll es nicht geben. Das bedeute aber nicht, dass es in allen Ländern gleich gut um die Rechtsstaatlichkeit bestellt sei. „Die Unterschiede werden natürlich klar zutage kommen und auch deutlich benannt.“ Die Kernidee des Rechtsstaatschecks sei, alle Mitgliedstaaten gleich zu behandeln und sie nach objektiven Kriterien zu überprüfen.
Ende September hat die EU-Kommission zudem erstmals einen Rechtsstaatsbericht über alle 27 Mitgliedsstaaten veröffentlicht. Während für Deutschland vor allem die langsame Digitalisierung und die bevorstehende Überalterung im Justizwesen kritisiert wurde, fiel die Mängelliste für Ungarn, Polen und Bulgarien deutlich länger aus. Allerdings gibt es weder beim Rechtsstaatsbericht noch beim Rechtsstaatscheck echte Sanktionsmöglichkeiten. Europastaatsminister Michael Roth sagt trotzdem: „Wir sorgen als EU-Ratspräsidentschaft dafür, dass das Thema Rechtsstaatlichkeit kontinuierlich ganz oben auf der europäischen Tagesordnung bleibt.“
Bei Rechtsstaatsverstößen wird Geld gekürzt
Dafür soll auch ein zweites Instrument sorgen, das noch während der deutschen Ratspräsidentschaft in diesem Jahr eingeführt werden soll: der Rechtsstaatsmechanismus. Stellt die EU-Kommission in einem Land einen Verstoß gegen die Prinzipien des Rechtsstaats fest, können der Regierung Gelder aus dem europäischen Haushalt gekürzt werden. Voraussetzung ist, dass im Ministerrat mindestens 15 Staaten, die mehr als 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, dafür stimmen.
„Der Rechtsstaatsmechanismus ist nicht die Lösung für alles“, gibt zwar die Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley, zu, doch könne die Kürzung von EU-Mitteln Staaten wie Ungarn und Polen empfindlich treffen. Polen erhielt im vergangenen Jahr 16,4 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt, Ungarn 6,2 Milliarden – Gelder, auf die die Regierungen in Warschau und Budapest wohl nicht verzichten könnten.
Polen und Ungarn stellen sich quer
Und doch haben sich Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und sein polnischer Amtskollege Mateusz Morawiecki am Montag entschieden, auf Konfrontationskurs zu gehen. Die Botschafter beider Länder legten ihr Veto gegen den EU-Haushalt ein, sollte dieser an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien gekoppelt bleiben. Bleibt es beim Nein aus Warschau und Budapest, könnten auch die Gelder aus dem Corona-Wiederaufbaufonds nicht fließen, auf die vor allem Spanien und Italien sehnsüchtig warten. Für die Einführung des Mechanismus ist Einstimmigkeit erforderlich.
Aus Sich des Vorsitzenden der SPD-Abgeordneten im Europaparlament, Jens Geier, zeigen Orbán und Morawiecki damit eindeutig, „dass ihnen sehr bewusst ist, welchen Schaden sie am eigenen Rechtsstaat anrichten. Ansonsten hätten sie keine solche Angst vor einem Instrument zum Schutz des Rechtsstaats in der EU.“ Entscheidend sei nun, dass sich die anderen Staaten nicht „in Geiselhaft nehmen lassen“. Ansonsten würde die ganze Staatengemeinschaft verlieren.