
Am Donnerstag und Freitag haben sich sich die Staats- und Regierungschef*innen getroffen, um sich über den sogenannten Mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 zu verständigen. Eine Einigung haben sie nicht erzielt und sich auf später vertagt. Zu groß sind die Gräben zwischen den „frugalen Vier“ einerseits – allen voran die österreichische Regierung von Sebastian Kurz und die niederländische von Mark Rutte – und den „Freunden der Kohäsion“ andererseits, all jenen Mitgliedstaaten, die mehr aus dem EU-Haushalt einnehmen, als sie einzahlen.
Weichenstellung der EU-Politik für sieben Jahre
Dabei muss eines klar sein: Wenn wir über die Haushaltsplanung der EU sprechen, ist das keine rein buchhalterische Übung. Vielmehr geht es um die Weichenstellung für die EU-Politik der kommenden sieben Jahre. Nur ein Beispiel: Die EU-Kommission hat berechnet, dass es für die Erreichung unserer Klimaziele zusätzliche Investitionen in Höhe von 260 Milliarden Euro bedarf - jährlich. Nicht jeder Euro davon muss aus dem EU-Haushalt kommen, dafür ist er zu klein - wir reden aktuell von etwa 154 Milliarden Euro pro Jahr, gerade einmal zwei Prozent des europäischen Steueraufkommens. Aber jedem muss doch klar sein, dass die Kürzung von „Horizont Europa“, dem EU-Forschungsprogramm, das unter anderem auch die Erforschung von klimaneutralen Produktionswegen fördert, nicht mit unseren klimapolitischen Ambitionen im Einklang stehen kann.
Ich möchte deshalb, dass wir den Teufelskreis des Euroskeptizismus durchbrechen. Der geht nämlich so: Am Anfang steht der Befund, die EU leiste nicht genug für einen oder - aus jeweils nationaler Betrachtungsweise – das „Falsche“. Also: Mittel kürzen. Dann leistet die EU noch weniger. Die vermeintlich logische Konsequenz: EU-Gelder weiter kürzen. Herzlich willkommen in der Gedankenwelt von Sebastian Kurz. Warum verständigen wir uns stattdessen nicht einfach darauf, was die Europäische Union leisten soll – und finanzieren das dann auskömmlich?
Genau das passiert heute nämlich nicht. Der heutige Ratspräsident Charles Michel etwa hatte im März 2017 noch als Premierminister von Belgien dafür geworben, die Zahl der Studierenden im Erasmus-Plus-Programm zu verzehnfachen. Der Vorschlag war ambitioniert, ja, aber niemals unvernünftig: Erasmus trägt nicht nur zum kulturellen Austausch bei, sondern hilft Teilnehmenden auch nachweislich dabei, schneller und in bessere Jobs zu finden. Als es in dieser Woche dann aber um den Haushalt ging und damit ums Eingemachte, hat Michel den Staats- und Regierungschefs vorgeschlagen, den Budgetvorschlag der EU-Kommission von Erasmus-Plus zu kürzen. Der Ort, an dem wir über die Ziele der EU sprechen, und jener Ort, an dem wir über die finanziellen Bedarfe der EU reden, sind in zwei unterschiedlichen Universen.
Das europäische Haushaltssystem muss sich ändern
Die Bundesregierung tut gut daran, sich nicht mit den frugalen Vier gemein zu machen. Deutsche Priorität sollte es in den Verhandlungen sein, den Schutz der EU-Finanzen zu stärken. Denn Mitgliedstaaten, in denen die finanziellen Interessen der EU in Gefahr sind, weil rechtsstaatliche Institutionen und die Unabhängigkeit der Justiz abgebaut oder eingeschüchtert werden, müssen wir künftig EU-Gelder auch streichen können. Die Europäische Union ist nicht zuletzt ein Bündnis gemeinsamer Werte. Wer sich dem nicht verpflichtet fühlt, kann auch keine finanzielle Solidarität erwarten. Der Zusammenhalt und der Schutz unserer Werte sollte uns wichtiger sein als die zweite Stelle hinter dem Komma im EU-Haushalt. Ich bin froh, dass Heiko Maas und Olaf Scholz sich in der Bundesregierung dafür einsetzen.
Ich habe Verständnis dafür, dass ein nationaler Finanzminister vor allem zuerst seinen eigenen Haushalt im Blick hat. Aber dass sich die EU ganz überwiegend aus Überweisungen der nationalen Haushalte finanziert, war nie vorgesehen. Deswegen strebt das Europäische Parlament eine Reform des sogenannten Eigenmittelsystems an. Wir wollen Einnahmen generieren aus Abgaben, die durch gemeinsame europäische Regelung erzielt werden können, und damit langfristig Zuweisungen aus den nationalen Haushalten verringern.
Das sind dann keine EU-Steuern. Die Eigenmittelverordnung muss vom Bundestag ratifiziert werden, die Bundesrepublik behält also ihre Steuerhoheit. Aber wir können doch gemeinsam beschließen, all jene zur Finanzierung des EU-Haushalts einzuspannen, die am meisten vom europäischen Binnenmarkt profitieren. Und die EU-Mitgliedstaaten könnten verabreden, dass Finanzflüsse, die aus europäischer Gesetzgebung entstehen, auch in den EU-Haushalt fließen. Ich denke an eine Kerosinabgabe, eine Digitalsteuer, oder die Ausweitung des Emissionshandelssystems auf Schiffe.
Mit diesen Vorschlägen ließen sich die großen Gräben zwischen den frugalen Vier und den Freunden der Kohäsion dann auch überwinden. Die Staats- und Regierungschefs tun gut daran, dies möglichst schnell zu tun, denn die Zukunft der EU hängt eben auch an einem gut ausgestatteten EU-Haushalt.