
Kerstin Tack, wird das beschlossene Paketboten-Schutz-Gesetz alle Probleme in der Branche beseitigen?
Nein, es ist nur ein erster, aber zentraler Schritt. Die Kontrollen des Zolls hatten Anfang des Jahres ja ergeben, dass es erhebliche Verstöße in der Paketbranche gibt. Das waren Verstöße gegen den Mindestlohn, gegen Aufenthaltsbestimmungen, teilweise gab es noch nicht mal einen Führerschein. In der Hauptsache wurden Sozialversicherungsbeiträge umgangen. Die Branche ist offensichtlich hoch anfällig für betrügerische Machenschaften. In der Paketbranche arbeitet eigentlich nur DHL mit hauptsächlich eigenem Personal, alle anderen geben die Aufträge weiter an Sub-, Sub-Sub- und sogar Sub-Sub-Subunternehmen.“.
Diese zahlreichen Verstöße, die festgestellt wurden, steckt dahinter ein System?
Das grenzt an kriminelle Energie. Die Branche boomt ohne Ende, kein anderes Land bekommt so viele Pakete wie wir: Im Jahr durchschnittlich 45 pro Kopf! Da gibt es einfach nicht genug Fachpersonal, deswegen ist die Branche anfällig für Betrüger.
Kernprinzip des Gesetzes ist die Nachunternehmerhaftung. Wie funktioniert die?
Wer Lieferaufträge an einen Subunternehmer weitergibt, muss sich von diesem bescheinigen lassen, dass alle Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden. Die werden von den Unfallversicherungen, den Krankenkassen und so weiter ausgegeben. Passiert das nicht, ist der Auftraggeber dafür haftbar, wenn bei Kontrollen Mängel festgestellt werden.
Was passiert dann bei Verstößen?
Wenn es Verstöße gibt, obwohl eine Bescheinigung vorliegt, gibt es für den Subunternehmer erstmal keine weitere Bescheinigung mehr. Dann wird er wahrscheinlich nicht mehr von den Generalunternehmen beauftragt werden.
Können Mitarbeiter jetzt darauf hoffen, dass sie fest angestellt werden?
Ehrlicherweise hat die Mehrzahl der Unternehmen keine Strukturen dafür. Aber grundsätzlich können auch Subunternehmer gute Löhne bieten, vernünftige Arbeitsbedingungen schaffen und Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Das System ist also erstmal nicht verwerflich. Wir wollen aber, dass es keine Wettbewerbsverzerrungen gibt, weil die einen ihre Mitarbeiter gut absichern und andere nicht. Der Kampf um den günstigsten Transport sollte nicht auf den Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden.
Ohne Kontrolle entfalten aber auch die besten Gesetze keine Wirkung.
Wir haben das Personal für die „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“, die dafür zuständig ist, deutlich aufgestockt: Perspektivisch wird es dafür mehr als 10.000 Stellen beim Zoll geben. . Außerdem hat die Abteilung weitreichendere Kompetenzen. Wenn also Verstöße festgestellt werden, können die stärker sanktioniert werden. Das haben wir mit dem Schwarzarbeiterbekämpfungsgesetz schon vor der Sommerpause gemacht. Man muss aber auch feststellen, dass man nicht hinter jedem Unternehmen jeden Tag stehen kann. Es kann immer nur Schwerpunktkontrollen geben. Unternehmen und Beschäftigte können sich aber immer an den Zoll wenden und auch anonym Hinweise geben.
Inzwischen liefern Supermärkte oder große Online-Versandhäuser auch selber aus. Gibt es da ein Schlupfloch für Unternehmen, die nicht primär Pakete ausliefern?
Nein. Wenn Unternehmen selber Pakete ausliefern, fallen sie genau wie alle anderen unter dieses Gesetz. Wir haben im Gesetz nur unterschieden zwischen Speditionen, die Möbel und ähnliches ausliefern und Paketlieferdiensten. Aber wer Pakete ausliefert, fällt unter dieses Gesetz, ohne Ausnahme.
Das Gesetz soll noch vor dem Weihnachtsgeschäft in Kraft treten. Werden die Mitarbeiter denn etwas davon spüren?
Eigentlich nur diejenigen, die zuvor betrogen wurden. Für alle anderen ändert sich ja nichts. Der Bundesrat muss dem Gesetz im November noch zustimmen, dann kann es noch vor dem ersten Advent in Kraft treten.
Wenn das Paketboten-Schutz-Gesetz nur der erste Schritt ist, was sind denn die nächsten Schritte?
Generell beschäftigen wir uns mit der Frage, wie wir mit denen umgehen, die nicht mehr als den Mindestlohn bekommen, weil es keine Tarifverträge gibt. Deswegen wollen wir einen höheren Mindestlohn durchsetzen. Aber wir wollen auch die Tarifbindung stärken. Unternehmen, die tarifgebunden sind, sollen bei den Steuern bessergestellt werden. Wir wollen auch, dass sich die Beschäftigten sich stärker gewerkschaftlich organisieren. Wenn es eine Interessenvertretung der Mitarbeiter gibt, werden Verstöße besser wahrgenommen.