
SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch ist am Mittwoch der erste Sozialdemokrat, der ans Rednerpult des Bundestages geht. Schon in den vergangenen Wochen hatte der Sozialdemokrat deutlich gemacht, was er von den jüngsten Vorschlägen von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hält: nicht viel. Bei der Generaldebatte zum Thema Nachhaltigkeit ging Miersch zum Generalangriff auf den CDU-Minister über.
Er sagte am Mittwoch im Bundestag: „Nachhaltig kann alles und nichts sein. Die Frage, wie es konkret werden kann, ist im politischen Raum die eigentlich entscheidende.“ Mit Nachhaltigkeitszielen für 2030, 2040 oder 2050 könne man leicht von eigenen Unzulänglichkeiten ablenken. Deswegen sei im Klimaschutzgesetz eine jährliche Überprüfung der Ziele festgeschrieben. „Damit wir die Regierung stellen können!“, rief er seinen Parlamentskolleg*innen zu.
Nebelkerzen aus dem Wirtschaftsministerium
Dass CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier nun eine Charta für Energie schaffen wolle, bezeichnete Miersch als Nebelkerze: „Er hat zu liefern“, forderte der SPD-Fraktionsvize Altmaier auf, konkret zu werden. Schon im Kohleausstiegsgesetz sei der Ausbau der Erneuerbaren Energien festgeschrieben. Altmaier hingegen habe vor kurzem noch den Ausbau der Photovoltaik behindert. „Ich hätte mir gewünscht, dass er für seine Charta etwas mehr Arbeitskraft in die wirklich wichtigen Felder gelegt hätte.“
Obendrein sei das Geld für nachhaltige Entwicklung ja da, erklärte der Sozialdemokrat mit Blick auf das Konjunkturprogramm – und nahm dabei direkt CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer in Haftung: „Wenn ich dann höre, dass von diesem Geld in dieser Legislaturperiode noch nichts abfließen kann, weil im Verkehrsministerium erst noch Förderrichtlinien erarbeitet werden müssen“, so Miersch, „dann kann ich nur sagen: Das stellt mich als Abgeordneter nicht zufrieden.“ Stattdessen müsse da jetzt „Dampf drauf“, forderte er.
Grundrente und Investitionen als nachhaltige Projekte
Dabei verdeutlichte Miersch auch die unterschiedlichen Auffassungen von Nachhaltigkeit allein innerhalb der großen Koalition: Nachhaltige Entwicklung brauche einen starken handlungsfähigen Staat, wie betonte er. Ein Staat, der investieren könne in Digitalisierung, Bildung und Infrastruktur. „Und dann können wir gerne darüber sprechen, wie wir die Einnahmenseite gestalten“, schickte er in Richtung des CDU/CSU-Fraktionschefs Ralph Brinkhaus hinterher.
Unionspolitiker*innen hatten in den vergangenen Wochen vor allem darüber debattiert, wann die Schuldenbremse wieder in Kraft treten müsse. Brinkhaus selbst hatte außerdem behauptet, dass bei einer „echten“ Nachhaltigkeitsprüfung es die Grundrente nicht gegeben hätte. „Ganz viel Nachhaltigkeit hängt aber mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt zusammen“, erklärte Miersch. Anerkennung von Lebensleistung, Alterssicherung, Würde – allesamt Aspekte der Grundrente, die Miersch aufzählte und als nachhaltig begründete: „Nachhaltigkeit und Grundrente sind kein Widerspruch, sondern notwendige Paare.“
Katja Mast: Soziales nicht ignorieren
Das griff auch Mierschs Kollegin Katja Mast im Verlauf der Debatte noch einmal auf. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende stellte die sozialen Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung in den Vordergrund. Es gehe darum, Ökonomie, Ökologie und Soziales dauerhaft in Einklang zu bringen. Bei Ökologie habe die Regierung aus SPD und Union geliefert, sagte sie mit Verweis auf den festgeschriebenen Ausstieg aus Kohle- und Atomenergie. Das Soziale spiele in der Debatte aber bisher eine untergeordnete Rolle. „Dabei hält unser Sozialstaat die Gesellschaft zusammen“, sagte Mast, „und er ist auch der Garant für Wohlstand und Wachstum!“ Deswegen müsse er ausgebaut werden – um soziale Sicherheit auch in Zukunft garantieren zu können. „Wir müssen Schutz und Chancen im Wandel geben“, so Mast weiter und verwies auf bereits geplante oder umgesetzte Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld, das Verbot von Werksverträgen sowie finanzielle Unterstützung für Familien in der Corona-Krise.
Doch damit ist die Legislaturperiode noch nicht abgehakt, die SPD pocht aktuell noch auf ein weiteres nachhaltiges Werkzeug, das bisher am Widerstand innerhalb der großen Koalition scheitert: ein Lieferkettengesetz. Die UN fordern in ihren Nachhaltigkeitszielen auch den Kampf gegen Armut und Hunger, auf die sich wiederum Matthias Miersch bezog: „Wenn wir den Hunger in der Welt und die Armut bekämpfen wollen, dann haben auch deutsche und europäische Unternehmen eine Verantwortung.“ Eine Verantwortung, die die SPD mit einem Lieferkettengesetz verbindlich festschreiben möchte – gegen den Widerstand aus der Wirtschaft, der Union und der FDP. „Der Markt ist per se nicht nachhaltig“, geißelte Miersch dabei vor allem neoliberale Hoffnungen auf einen Handel, der von sich aus gerechter und nachhaltiger wird, „der Markt braucht Regeln!“
Die Nachhaltigkeitswoche im Bundestag ist eine Premiere: Erstmals wird im Parlament in mehreren aufeinander folgenden Debatten über die langfristige Entwicklung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat in Deutschland für eine nachhaltige Zukunft gesprochen. Vorbild ist die Haushaltswoche, in dem im Parlament traditionell über die Finanzpläne der Regierung gestritten wird.