Die Diskussion verlief kritisch, aber sachlich. Von Empörung über die Pläne zur Parteireform fehlte am vergangenen Montag sowohl im Parteivorstand als auch im Parteirat jede Spur. In der
Kritik stand dagegen die Art und Weise, wie Funktionäre und Basis vom Vorhaben der Parteiführung erfahren hatten, nämlich aus der Zeitung. Dieses Vorgehen stehe in krassem Widerspruch zu den
Zielen der Reform, merkten einige der Teilnehmer an.
"Es soll Freude machen, in der SPD mitzuwirken. Dazu müssen wir unsere innerparteiliche Kultur verbessern", heißt es in dem
Diskussionsentwurf für ein "Organisationspolitisches Grundsatzprogramm", den Generalsekretärin Andrea Nahles, Bundesgeschäftsführerin
Astrid Klug und Schatzmeisterin Barbara Hendricks Mitte Juni vorgelegt haben. "Wir wollen politisches Engagement ermöglichen. Das bedeutet, offen für diejenigen zu sein, die sich engagieren
wollen, ohne gleich Mitglied zu werden", schreiben die drei.
So könnten bei der Aufstellung von Kandidaten für öffentliche Ämter und Mandate - wie etwa Bürgermeister oder Bundestagsabgeordnete - künftig Vorwahlen vorgeschaltet werden, an denen auch
Nichtparteimitglieder beteiligt werden. "Wir wollen die Einbeziehung von Nichtmitgliedern ermöglichen, nicht vorschreiben", betont Andrea Nahles.
Öffnung der SPD in alle Richtungen
Doch das ist nur die eine Seite der Pläne. "Wir ermutigen alle Gliederungen, neue Wege zu gehen. Wir wollen die Mitglieder motivieren und ihre Beteiligungsmöglichkeiten stärken", benennen
Nahles, Klug und Hendricks das Ziel der Reform. Und auch SPD-Chef Sigmar Gabriel ist überzeugt: "Um wieder alte Stärke zu erreichen, müssen wir die Rechte unserer Mitglieder stärken."
Deshalb sollen nach seinem Willen künftig Vorsitzende und Kandidaten auf allen Ebenen auch durch Mitgliederentscheide gewählt werden können. Sogar das Parteiengesetz möchte Gabriel ändern,
um eine Urwahl mit Briefwahl zu ermöglichen. Die ist dort bisher nicht vorgesehen. Auch Mitgliederentscheide zu Sachthemen soll es in Zukunft geben.
"Wir wollen aber auch Angebote für all diejenigen machen, die mit dauerhafter klassischer Parteiarbeit nichts anfangen können und sich vielleicht nur temporär engagieren wollen", sagt
Bundesgeschäftsführerin Astrid Klug. An all diese richten sich die neuen Möglichkeiten für Nichtmitglieder. Klug nennt das eine "Öffnung der SPD in alle Richtungen".
Teil eines langen Prozesses
Von der hatte Sigmar Gabriel in etwas anderen Worten schon auf dem Parteitag in Dresden vor eineinhalb Jahren gesprochen. "Früher war es natürlich, dass die SPD Nervenenden in den Städten,
Gemeinden, Betrieben, bei der Feuerwehr, im Sport - überall - hatte. Heute gibt es dieses sozialdemokratische Milieu nicht mehr. Deshalb müssen wir auch unsere Angebote an die, die sich für
Politik interessieren, ändern." Es folgten eine Befragung der rund 10 000 Ortsvereine, eine Konferenz der Unterbezirksvorsitzenden im Willy-Brandt-Haus sowie sogenannte Werkstattgespräche zu
verschiedenen Themen wie "Beteiligung von Nichtmitgliedern" oder "Mitgliederwerbung und Betreuung".
Schließlich wurden eine organisationspolitische Kommission sowie ein wissenschaftlicher Beirat eingerichtet. Die nun vorliegenden Reformvorschläge wurden in der Kommission erarbeitet - und
sollen eine Diskussionsgrundlage sein. "Unsere Richtung ist klar, aber kein Vorschlag ist in Stein gemeißelt", betonen Sigmar Gabriel und Andrea Nahles in einem Brief an die Mitglieder des
Parteivorstands (PV) und des Parteirats. Das werden diese erleichtert gelesen haben.
Das Willy-Brandt-Haus will Ortsvereine besser unterstützen
Denn nach den bisher vorliegenden Plänen sollen die Gremien deutlich verkleinert (dem PV sollen künftig statt 45 nur noch 20 Mitglieder angehören) bzw. im Falle des Parteirats gleich ganz
abgeschafft werden. Stattdessen soll es einen "Länderrat" geben, in dem neben dem Parteivorstand die Landes- und Bezirksvorsitzenden, die SPD-Ministerpräsidenten sowie Vertreter aus Landtagen,
Bundestag und Europaparlament sitzen.
"Niemandem ist damit gedient, wenn wir große Vorstände, aber eine geringe Beteiligung der Mitglieder haben", begründet Sigmar Gabriel den Schritt. Allerdings betonen PV-
undParteiratsmitglieder einhellig die Bedeutung des Parteirats für den Kontakt zur Basis. Auch die Erfüllung der Frauen- und zukünftig der Migrantenquote könne in einem deutlich verkleinerten
Parteivorstand schwierig werden.
Entscheidung auf dem Parteitag
Begrüßt wird dagegen, dass Ortsvereine in Zukunft von aufwändigen Verwaltungsaufgaben befreit und aus dem Willy-Brandt-Haus besser unterstützt werden sollen. Hilfestellung soll es etwa bei
der Kassenführung und der Erstellung des Rechenschaftsberichts geben. Eine bundesweite Servicestelle hilft bei allen Fragen rund um Ein- und Austritte sowie bei der Mitgliederbetreuung. Besonders
aktive Kreisverbände werden künftig aus einem beitragsfinanzierten "Innovationsfonds" unterstützt. Und schließlich sollen sogenannte Organizer nach amerikanischem Vorbild auf bisher Politikferne
zugehen und für die Sozialdemokratie werben. Ausgebildet werden sie von der SPD als "Kümmerer"-Partei.
Doch bis es soweit kommt, ist es noch ein langer Weg. Entscheiden wird der Bundesparteitag Anfang Dezember. Bis dahin soll die SPD ausgiebig diskutieren. Sigmar Gabriel und Andrea Nahles
sind dazu bereit. "Wir wissen, dass es Risiken bei jeder Veränderung gibt", betonen beide. "Aber das größte Risiko ist, alles so zu lassen wie es ist."