Bundesinnenministerin

Mögliche Kandidatur von Nancy Faeser: Die scheinheilige Kritik der CDU

Karin Nink01. Februar 2023
Bald in Doppelfunktion? Bundesinnenministerin Nancy Faeser
Bald in Doppelfunktion? Bundesinnenministerin Nancy Faeser
Berichten zufolge will Nancy Faeser auch als Spitzenkandidatin für die hessische Landtagswahl als Bundesinnenministerin im Amt bleiben. Die Union spricht bereits von einer „Teilzeitinnenministerin“. Sie sollte in ihre eigene Geschichte blicken.

Mal angenommen, die Medienberichte stimmen, wonach Nancy Faeser auch als Spitzenkandidatin für die hessische Landtagswahl Bundesinnenministerin bleiben will. Wo ist das Problem? Die Frage lässt sich recht einfach beantworten: Bei den Gedächtnislücken von vor allem Grünen und Unionsleuten, die jetzt von einer „Teilzeitinnenministerin“ fabulieren.

Denn viele Politiker*innen haben und hatten mehrere Funktionen inne, ohne eine ihrer Aufgaben zu vernachlässigen. War Helmut Kohl zum Beispiel zu Zeiten der deutschen Wiedervereinigung Teilzeitkanzler, nur weil er auch CDU-Vorsitzender war? Wir wollen es nicht hoffen – oder gibt es in der Union da Zweifel? Dann hätten wir das gerne geklärt. Gleiches gilt für Angela Merkel zu Zeiten der Finanzkrise 2008 oder während der Flüchtlingszuwanderung 2015.

Auch Habeck hatte eine Doppelfunktion

Schaut man sich bei den Grünen, die ja großen Wert auf die strikte die Trennung von Amt und Mandat legten, in Sachen Doppelfunktion um, ist die messerscharfe Trennung inzwischen auch obsolet. Denn nachdem Robert Habeck auf dem Parteitag im Januar 2018 zum Bundesvorsitzenden neben Annalena Baerbock gewählt worden war, wurde die Unvereinbarkeit von Bundesvorstand und Ministeramt deutlich entschärft, um Habeck eine Übergangszeit von acht Monaten als schleswig-holsteinischer Umwelt- und Landwirtschaftsminister zu ermöglichen. Kein Landtagswahlkampf dauert so lange!

Aber kommen wir zurück zu Union, deren Vertreter*innen offenbar auch mit Erinnerungslücken zu kämpfen haben.

Oberbürgermeister, Umweltminister, Ministerpräsident

Denn ausgerechnet die hessische CDU hatte gleich zwei Politiker, die aus ihrem (damals noch Bonner) Ministeramt heraus, Spitzenkandidaten im Landtagswahlkampf waren: Der erste ist 1987 Walter Wallmann. Wallmann wurde nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl als erster Bundesumweltminister von Helmut Kohl in sein Kabinett geholt – nach Tschernobyl eine wahrhaft herausfordernde Aufgabe für den bis dato Frankfurter Oberbürgermeister.

Doch nur wenige Monate später führte er als Bundesumweltminister und Spitzenkandidat der hessischen CDU einen erfolgreichen Wahlkampf und wurde zum Ministerpräsidenten des Bundeslandes ernannt. Hat Wallmann als Bundesumweltminister nach dieser atomaren Katastrophe, die auch in Deutschland ganze Landstriche radioaktiv belastete, etwa in Teilzeit gearbeitet?

Bundeskabinett, Wahlkampf und zurück

Das zweite CDU-Beispiel ist acht Jahre später Manfred Kanther.  Ein strammer Rechtsaußen, Bundestagsabgeordneter, bis ihn 2000 die CDU-Spendenaffäre einholte und fünf Jahre (von 1993 bis 1998) Bundesinnenminister in der Regierung von Helmut Kohl. Zwischendurch war auch Kanther nicht nur Bundesinnenminister, sondern zugleich Spitzenkandidat der hessischen CDU im Landtagswahlkampf 1995. Sein Amt führte er währenddessen ungerührt weiter und blieb es auch, als er nicht Ministerpräsident wurde.

Oppositionsführer in Hessen wurde ein gewisser Roland Koch, und Kanther kommentierte das mit den Worten „Oppositionsführer war ich schon.“ Die konservative „Welt“ schrieb damals: „Es wäre… ziemlich unsinnig gewesen, den in seinem Amt tüchtigen Bundesinnenminister Manfred Kanther nur um eines formalen Prinzipes willen nach der verlorenen Hessenwahl auf den Stuhl des Oppositionsführers in Wiesbaden zu verfrachten.“

Röttgen taugt nicht als Vergleich

Dem ist wenig hinzuzufügen. Deswegen nur der Vollständigkeit halber: Auch der in diesen Tagen vielfach angeführte Norbert Röttgen wurde 2012 nicht daran gehindert, dass er als Spitzenkandidat der NRW-CDU Bundesumweltminister blieb. Dass Angela Merkel ihn nach der krachend verlorenen Wahl aus ihrem Kabinett entließ, hatte andere Gründe. Ihn als Vergleich mit Faeser anzuführen ist folglich unpassend.

Fazit: Für die Union war es nie ein Problem, dass Spitzenkandidaten (es waren nur Männer) bei Landtagswahlen auch Bundesminister waren. Manche waren erfolgreich, andere nicht. An diese Fakten sollten sich alle Politiker*innen bei ihrer Kritik an der landes- und bundespolitisch hocherfahrenen Nancy Faeser erinnern. Alles andere wäre billiges Wahlkampfgetöse oder gar verlogen.

Wie auch immer die Entscheidung von Nancy Faeser ausfallen wird, es gibt keinen Grund zur Sorge. Und so können wir ganz entspannt abwarten, was sie sich zutraut.

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Kommentare

na ja, nicht alles was hinkt, ist ein Vergleich

Habeck war Agrarminister in SH, das ist ja wohl ein anderer Schnack als Innenministerin in Deutschland, jedenfalls in diesen Tagen, Wochen, Monaten und Jahren. Ich würde mir wünschen, Sie übernimmt die Führung in Hessen, ohne "wenn und aber"- die Chancen stehen doch sehr gut, und ein klares Wortwirkt sicher positiv auf den Zuspruch der Wählerschaft, auf den es ankommt. dass die CDU Oppositionspolitik betreibt, ist ja klar, damit lockt man keinen Hund hinter dem Ofen hervor. Wichtig ist doch, dass die Hessenwahl gewonnen wird, und das setzt mE ein klares Wort der Kandidatin voraus. Röttgen sollte Mahnung sein, der ist ja nun nur noch "unter ferner liefen" zu finden- ein so genannter Außenpolitikexperte, selbsternannt. Experte bin ich auch, wenn mich jemand fragen würde, ob ich einer bin

Nancy Faeser for president in hessen

warum nur diese Scheinheiligkeit bei CDU und (leider auch) bei Grünen gegen eine angebliche Unvereinbarkeit des Amtes einer Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit deren Wahlkampf für das Amt einer Ministerpräsidentin in Hessen? Etwa deshalb, weil sie eine Frau ist und nicht ein Mann, wie seinerzeit Wallmann ( Bundesumweltminister) und Kanther ( Bundesinnenminister). Wird hier mit zweierlei Maß gemessen oder ist es nur von Angst um den eigenen Erfolg getriebenes Wahlkampfgeschrei des noch amtierenden Ministerpräsidenten Rhein? Nancy Faeser verdient eine faire Chance.

scheinheilige Kritik der CDU

wiederholt sich doch bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Sie pocht auf die Vergesslichkeit der Bevölkerung.

Leider ist die SPD vielfach zu anständig, um diese Verlogenheit der Pseudochristen in der gleichen Weise anzuprangern, wie diese es praktizieren. Natürlich helfen da auch viele Medien dabei tatkräftig mit, während sie die Veröffentlichungen der SPD z.T. ignorieren.

na ja, als es umgekehrt zuging und Röttgen gekniffen hat, war es

der SPD ein Fest, dies auszuschlachten. Ehrlicherweise muss man zugestehen, dass jede Opposition zulässigerweise recht einfältig daher kommen kann. Was dem Gegner schaden kann, wird bemüht. naund wenn schon- das sind rituale. Wir haben Argumente und sollten vernünftig und sachgerecht agieren- die Opposition wird auch dann rumlabern, aber eben nicht so sehr öffentlichkeitswirksam. Halten wir als der CDU/ nicht vor, was auf uns selbst zurückfallen könnte und kümmern wir uns um Wahre, nämlich die Eignung und Qualifikation der Kandidatin, deren halbherziges agieren der Sache schadet. Oder glaubt sie selbst an einen erfolgreichen Wahlkampf nur unter Inanspruchnahme eines göttlichen Wunders? Das dann wohl doch nicht, denn dann bräuchte sie gar nicht erst antreten

na ja, als es umgekehrt zuging

Diesen Ausführungen kann man nicht widersprechen.

Was will uns der Autor damit

Was will uns der Autor damit sagen? Dass Röttgen als (damals noch) Bundesminister parteiitern schon vor seiner Wahlniederlage in NRW auf der Abschussliste von Angela Merkel stand und diese das danach konsequent zu seinem Leidwesen umsetzte? Vergessenheit und Vergessenmachen als Politikstil, der ankommt?

achtung bitte...die

Autorin, soviel Sorgfalt sollte sein, gendern hin gendern her

jedenfalls lese ich Bild und

Vornamen so

Die Angst der CDU

Die Kampagne der CDU und der ihr zugeneigten Medien zeigt nur eines: die Befürchtung, Nancy Faeser könnte die Hessenwahl überzeugend gewinnen und in die Staatskanzlei einziehen. Es ist Heuchelei, was ihreKritiker da vortragen. Als Kohl, Kanter und Wallmann sich als Ministerpräsidenten bewarben hat man von den heutigen Kritikern kein Wort gehört oder gelesen. Ich bin sicher, Nancy Faeser hat sich richtig entschieden.

Wolfgang Reuter, Offenbach

Kandidatur: Nancy Faeser

Wenn sie weiterhin Bundesministerin bleibt, sind ihre Chancen eher gering die Wahl in Hessen zu gewinnen. Zu SCHLECHT ist ihre Arbei im Bund. Das wird abfärben.
Sie für ihre Tätigkeit zu loben, ist ja Ihre Aufgabe.
Ich denke es ist fatal, sie mit den aufgeführten Männern der CDU zu vergleichen. Sie kann und konnte keinem das Wasser reichen.