Mindestlohn ja, aber wie viel?

Vera Rosigkeit24. Februar 2006

Nach Angaben des SPD-Chefs arbeiten zweieinhalb Millionen Menschen in Deutschland in Vollzeitjobs und leben trotzdem unter der Armutsgrenze. "Wir können nicht mehr zugucken, dass es ganze
Bereiche gibt, in denen keine existenzsichernden Einkommen gezahlt werden", sagte er der "Bild"-Zeitung und forderte: "Wir müssen hier eine Grenze einziehen, damit die Einkommen nicht ins Bodenlose
fallen."

Generalsekretär Hubertus Heil erinnerte daran, dass in Deutschland rund 2,5 Millionen Vollzeitbeschäftigte für Löhne arbeiten, die weniger als 50 Prozent des Durchschnittslohnes betrügen. In
Westdeutschland würden nur 70 Prozent der Beschäftigten durch Flächen- oder Firmentarifverträge erfasst, in Ostdeutschland seien es nur noch 55 Prozent. Im Dienstleistungssektor, so Heil, liege die
Tarifbindung noch wesentlich darunter.

Dass durch die Tarifvereinbarungen immer weniger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erfasst werden, bedauert auch der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie, Gustav A.
Horn. Dass sei auch der Grund, weshalb eine Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen inzwischen unvermeidlich sei, sagte er in der Berliner Zeitung.

Fünf, sechs oder sieben Euro Mindestlohn?

Während Arbeitsminister Franz Müntefering vor übereilten Festlegungen warnt, "weil man mit der Nennung von Beträgen sehr vorsichtig sein müsse", sprach sich Fraktionschef Struck für einen
Mindestlohn nicht unter fünf Euro aus: Es dürfe nicht sein, "dass in Deutschland Gewerkschaften gezwungen sind, Tarifverträge von unter fünf Euro Stundenlohn abzuschließen," so Struck in der
Berliner Zeitung (Freitagausgabe). "Bei 170 gearbeiteten Stunden im Monat kommt dann ein Bruttolohn von weniger als 850 Euro heraus. Das kann man niemandem zumuten."

Zeitungsberichten zufolge war in ersten Koalitionsgesprächen von einem Mindestlohn von etwa sechs Euro die Rede. Dazu Gustav Horn: "Das ist eine Höhe, über die man reden kann. Davon kann man
zwar nicht gut leben. Aber es ist zum Teil deutlich mehr als das, was derzeit für manche Tätigkeiten nach Tarif gezahlt wird."

DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer wies unterdessen Berichte zurück, wonach die Gewerkschaften sechs Euro Mindestlohn akzeptieren würden. "Bei uns ist bisher keiner der Beteiligten bereit,
so weit herunterzugehen. Wir reden über 7,50 Euro aufwärts", sagte die Gewerkschafterin der "Passauer Neuen Presse" (Freitagausgabe). Mit sechs Euro Stundenlohn käme man bei einer 40-Stunden-Woche
auf einen Bruttolohn von 1300 Euro, rechnete der Chef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Franz-Josef Möllenberg. Nach Abzug von 20 Prozent Abgaben und Steuern sei das noch lange kein
existenzsicherndes Mindesteinkommen.

Mindestlohn oder Kombilohn oder weniger Abgabenbelastung für niedrige Einkommen?

Während die SPD die Einführung eines gesetzlichen MIndestlohns favorisiert, will die Union ein Kombilohnmodell für den Niedriglohnsektor einführen. Kombilöhne sollen Arbeitslosen ermöglichen,
Arbeit anzunehmen, deren Lohn unter oder relativ nah am Niveau staatlicher Transferleistungen liegt.

Das von der Union favorisierte Kombilohnmodell stößt hingegen bei SPD-Politikern und Experten auf Kritik. Bundesarbeitminister Franz Müntefering hatte bereits im Januar seine Bedenken
angekündigt: "Was nicht sein darf, ist, dass dauerhaft der Staat Lohnzuschüsse zahlt und damit die Lohnverpflichtung der Unternehmen dauerhaft durch Steuern ersetzt", sagte er im Deutschlandradio.
Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und SPD-Vize Kurt Beck wandte sich ebenso gegen flächendeckende staatliche Lohnergänzungen. "Es darf nicht so sein, dass die heutigen unteren Lohngruppen
dann letztendlich alle vom Staat subventioniert werden".

Als nur bedingt sinnvoll bewertet der SPD-Wirtschaftexperte Rainer Wend Zuschüsse für Geringverdienende. Als Beispiel nannte er Branchen, in denen mit Hilfe von Lohnzuschüssen in erheblichem
Umfang neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten.

Fritz W. Scharpf vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung bewertet die Zahlung von staatlichen Lohnzuschüssen als ein Korrigieren an Symptomen. Der Mangel an einfachen
Arbeitsplätzen würde dadurch nicht beseitigt, sagte er im vorwärts Interview. "Wirksamer wäre es, die Abgabenbelastung für die einfachen Tätigkeiten zu senken." Bei der Lohn- und Einkommenssteuer
gäbe es bereits einen Grundfreibetrag. Der sollte auch bei den Sozialabgaben eingeführt werden, um eine Entlastung der Niedrigeinkommen zu erreichen.

Quellen: Berliner Zeitung; Bild; Deutschlandfunk, Passauer Neue Presse

Interview mit Fritz W. Scharpf, Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung:
Wundermittel Kombilohn?

Interview mit Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Würzburg:

Nur so gibt`s neue Jobs im Land